Boxkämpfe. Winfried Rochner

Boxkämpfe - Winfried Rochner


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lieber Schnuller, Sie kommen bei der nächsten Wahl wieder auf einen aussichtsreichen Listenplatz und eben nicht nach Mecklenburg-Vorpommern.“ Auch er versicherte seine unverbrüchliche Treue zu den Christlichen und wollte sich mit einem warmen Händedruck verabschieden.

      Jedoch die Parteivorsitzende kannte den Spruch der Unverbrüchlichkeit aus ihrer Jugend und ließ ihn auf die Verfassung schwören, die es zwar auch noch nicht gab, aber das Grundgesetz musste es ebenfalls richten.

      Zu Hause bei seiner Frau meinte er ob seiner neuen Popularität: „Wirklich erstaunlich, was doch so eine persönliche Einladung der Schwiegermutter zu meinem Geburtstag, die in der Gewerkschaftszentrale als Schreibkraft arbeitete, für Folgen hat.“

      Dazu die Autopanne seines alten VWs, zufälligerweise vor der SPD-Zentrale, wo er schnell mal dort drinnen den ADAC anrief und auf diesen dann wartete. Jetzt konnte er in Ruhe als Abgeordneter des Bundestages die Rente abwarten.

      *

      Boxkämpfe

      Es gibt viele Sportarten, bei denen die Sportler in Wettkämpfen Höchstleistungen bringen müssen, um damit Geld zu verdienen – und das möglichst viel. Die Freizeitsportler sind darauf nicht scharf. Sie sporteln, um ihre Gesundheit auf Vordermann zu bringen oder um etwas für ihre Figur zu tun, damit diese nicht aus den Formen läuft. Viele betreiben Sport nur so aus Gewohnheit, sie brauchen das eben.

      Der Boxkampf gehört bei diesen Freizeitsportlern in der Regel nicht dazu. Er kann jedoch – abgewandelt als Prügelei nach einer Unstimmigkeit während oder nach einer Kneipentour – mal vorkommen. In den seltensten Fällen bei Streitigkeiten unter Nachbarn, wenn gerade der an der Grenze stehende Apfelbaum des Nachbarn zufällig einige Äpfel auf das andere Grundstück fallen lässt.

      Weniger oft passiert es, wenn die eigene Frau zufällig einige Stunden den Nachbarn besucht und danach etwas verwirrt zu Hause auftaucht. In solchen Fällen kann es schon mal zu Handgreiflichkeiten kommen. Das alles hat mit dem Boxen an sich nichts zu tun. Boxen ist den Amateur- oder Profisportlern vorbehalten. Bei den Profisportlern geht es um Geld, und zwar in Verbindung mit ausgetragenen Kämpfen in Boxarenen sowie einer Unmenge von Zuschauern.

      Mein Freund ist direkt vernarrt, wenn Profiboxer angesagt sind. Er geht dann sofort in die Boxarena, um dort, wie er meint, die Atmosphäre zu genießen. Die Fernsehübertragungen gäben nichts her, da sehe man nur den Schweiß spritzen, bekäme davon aber nichts ab. Er redete lang auf mich ein, mit ihm eine solche Boxveranstaltung zu besuchen. Allerdings bin ich nicht so für Schlägereien und Gewaltausbrüche zu haben. Ich halte es auch nicht für gesund, wenn zwei Männer oder zwei Frauen aufeinander eindreschen, zumal meistens auf den Kopf. Auch dass da, nach all den Schlägen, noch vernünftige Gedanken festsitzen, kann ich mir nicht vorstellen.

      Um meinen Freund aber nicht zu beleidigen, ging ich nach monatelangen Ablehnungen zu einer Veranstaltung mit männlichen Profiboxern mit. Als bekannter Boxergänger bekam er Karten unmittelbar am Boxring. Die Boxarena stellte sich als eine riesige Halle dar, in deren Mitte ein Boxring stand, der mit großen Scheinwerfern ausgeleuchtet wurde.

      Nach meinen vorherigen Erkundungen fanden in dieser Halle überwiegend andere Verwendungen als nur diese Boxerei statt. Große Kinderfeste und Betriebsveranstaltungen der Handwerkerinnungen, überwiegend der Fleischer, manchmal sogar Blutspendeaktionen wurden hier veranstaltet. Öfter gab es die Weltmeisterschaften der Tänzer und auch Hockeyspieler schlugen sich die Köpfe hier ein.

      Heute jedenfalls fanden die einmaligen Weltmeisterschaften einer der drei Weltmeisterorganisationen der Profiboxer statt. Die beiden Kontrahenten wurden über Lautsprecher angesagt und vorgestellt. Markus Feinstecher und Harry Großkotz. Markus Feinstecher besaß in allen drei Weltorganisationen den Weltmeistergürtel und galt als der große Favorit und Lokalmatador, da er aus dieser Gegend stammte.

      Dann endlich, nach vielem Gemurmel und lauten Rufen, kamen nacheinander zwei Männer daher geschritten. Nein, getänzelt, handschuhschwingend und obendrein mit den Hüften wackelnd. Jeder stolzierte in anderer farbenfroher Verkleidung über einen langen Laufsteg, begleitet mit lauter Musik aus der Konserve. Ich vermutete schon, dass ich auf einer Karnevalsveranstaltung sei. Die Jungs sahen richtig sexy aus, sie würden wohl bald ihre Sprüche ablassen und das Volk zum Lachen bringen.

      Sie sprangen elegant über die Seile des Ringes. Einer der beiden verhedderte sich prompt in seinem bunten Bademantel und fiel mit dem Gesicht zuerst auf den Ringboden. Ich sprang auf, klatschte euphorisch in die Hände und begleitete sein Aufstehen mit Bravorufen. Ich war der einzige Applausspender. Dann trabten beide in je eine Ecke des Ringes und entkleideten sich. Der eine setzte seine Krone ab und der andere ein schmieriges Häubchen. Nach den Bademänteln hielten sie inne und behielten die Höschen und Handschuhe an. Ein hübsches Mädchen sang nacheinander zwei lustige Lieder, begleitet von einem Streichtrio, das mitten im Ring saß, wobei alle im Saal aufstanden. Mir gefielen die Lieder nicht, also blieb ich auf meinem Vorzugsstühlchen sitzen – man konnte ja nie wissen! Mich beeindruckte das Spektakel sehr und ich hoffte, die beiden Boys würden in den Gesang mit einstimmen. An deren Gesichtern konnte ich jedoch erkennen, dass sie den Text vergessen hatten.

      Nun begannen sie wieder die Hüften und Arme zu schwingen und ich wartete auf ein lustiges Tänzchen. Dieser Anblick löste bei der holden Weiblichkeit im Saale eine regelrechte Raserei aus. Die Spannung in der Arena stieg ins Unermessliche. Kurz darauf trat ein dritter Mann in die Ringmitte, zitierte die beiden Boxer an seine Seite und redete heftig auf sie ein. Das Ganze sah aus, als trüge er ein Gedicht von Mattias Claudius vor. Dank seiner rhythmischen Kopfbewegungen konnte ich feststellen, dass es das Gedicht Der Mond ist aufgegangen, die goldnen Sternlein prangen … nur sein konnte.

      Ein Gong ertönte von irgendwoher und die beiden Boxer rannten aufeinander zu, umkreisten sich lange, indem sie ihre Fäuste drohend umherschwenkten. Gerade so, als würden zwei Elefanten vor dem Kampf Drohgebärden zeigen, um den Gegner zu schocken. Dann plötzlich sprang einer heftig auf den anderen zu und gab ihm eine Kopfnuss. Der Getroffene drosch zurück und eine lustige Keilerei begann.

      Der Gong ertönte wieder und die zwei Kämpfer sprangen schnell in ihre Ecken. In jeder Ecke standen noch einige Männer, die heftig auf den jeweiligen Boxer einredeten. Ich vermutete, dass sie die Menükarte der nächsten Gaststätte, die nach vollbrachtem Kampfe für ein kräftiges Essen besucht werden sollte, vortrugen. Denn die Boxer nickten immer mit erstem Gesicht nach bestimmten Vortragsabschnitten.

      Mit dem Gong ging es weiter und der dritte Mann im Ring musste viel Mühe aufbringen, die sich ständig ineinander verheddernden Boxer auseinanderzureißen. Jeder Schlag auf den Gegner von Markus wurde mit lautem Klatschen und ebensolchen Zurufen der Menschenmassen begleitet. Bei Schlägen von Harry Großkotz auf seinen Gegner erntete er nur Buhrufe und üble Beschimpfungen. Ich fand das ungerecht und peinlich. In einer der vielen Boxrunden bekam dann Markus Feinstecher einen heftigen Schlag auf den Kopf und fiel um. Er küsste, wie ich vorher mal irgendwo gelesen hatte, quasi den Ringboden.

      Begeistert sprang ich auf, brüllte sehr laut: „Schlag ihn, schlag ihn!“, und fuchtelte wild mit meinen Armen. Ich merkte irgendwann, dass ich der einzige begeisterte Brüller im Saal war, alle anderen stöhnten nur gequält auf.

      Eine Frau neben mir fing an zu weinen und mein Freund zischte erbost: „Halt endlich die Klappe, es ist der Falsche, der da liegt!“

      Ich konnte das nicht verstehen und brüllte aufs Neue: „Schlag weiter, schlag weiter!“ Zumindest so lange, bis mich selbst ein Schlag in den Rücken traf und ich erst nach vorn, dann auf meinen Stuhl zurückfiel.

      Inzwischen rappelte sich der Boxer wieder auf, nach dem Gongschlag taumelte er in seine Ecke und plumpste in sein Stühlchen. Nun begann eine regelrechte Wasser-tatschel-tatschel-Schlacht auf den Boxer einzuwirken. Mehrere Männer sprangen um ihn herum, wedelten wild mit den Tüchern und redeten pausenlos auf ihn ein.

      Ich vermutete diesmal, dass sie ihm seine Freundin noch mal in Erinnerung brachten, die jetzt traurig wäre, und wenn er so weiter boxte, ihn zum Teufel wünschte, denn die Magenschläge


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