Boxkämpfe. Winfried Rochner

Boxkämpfe - Winfried Rochner


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Eigen nennen, imposant vorführte.

      Nach gründlichem Ausschlafen besuchte ich öfter die Vorlesungen, Prüfungen ignorierte ich. Andere Spielorte – mit der Freundin ins Bett und das Internet. Die abfälligen Blicke meiner Freundin auf die Studienbücher störten mich, ja, ich wurde nervöser und sah mich in den Nachbarsemestern um, wo ein gut aussehender Philosophiestudent noch Freude verbreiten konnte. Diese gelegentlichen Schmeicheleien netter und empfindsamer Mädchen schrien nach Belohnung. Ich konnte mich deren Lockrufen nicht entziehen und spendete zärtliche Zuwendungen. Manche Maid traf ich mit eigenem Lustempfinden bis in die freudigsten Tiefen ihres Seins. Diese Beschäftigung zog ich liebend gern einem wirtschaftlichen Nebenjob vor, den ich bald darauf aufgab.

      Nach fünf so erfolgreichen Studienjahren verspürte ich in meinem Erzeugerkreis eine zunehmende Unruhe. Unverständlich für mich, denn meine Haare waren gekämmt, meine Unterwäsche roch noch nicht, und die Schnitzel schmeckten mir prächtig. Also!

      Ach so, mein Erzeuger wollte Studienergebnisse sehen. Mein Prüfungsstand entsprach dem Studium von zwei Jahren, aber was soll’s – ihnen ging es doch nicht schlecht und mir auch nicht!

      Erstrebenswert wäre es, vom Studienende direkt in die Rente zu wechseln, nur das stößt offensichtlich auf den Widerstand der Geldgeber, also meiner Erzeuger. Wo bleibt hier mein demokratisches Freiheitsrecht? Was sollte ein Abschluss ohne Perspektive? Gotteskinder waren wir alle. Marx löste die Frage vom Sein und Bewusstsein, und ich als Philosophiestudent – das ist mir bewusst oder selbstbewusst – lasse die Alten zu Hause bocken. Nun gut, sie leben nicht ewig und könnten ihr Vermögen, in einem umnachteten Augenblick, anderweitig verschleudern, vergeben oder sonst wie stiften. Also, aufgepasst, Junge, ändere deine Lebensweise. Schmeiße einfach das Philosophiestudium und lerne ein wenig im Maschinenbau herum. Die Mädels in diesem Studiengang sind sicher ebenfalls hübsch und vielleicht auch willig. Die Karriere als Philosoph wäre zwar in meinem Sinne gewesen, beispielsweise vom Philosophen zum Liedersänger und Doktor h.c.. Doch ob das immer so klappt und eine neue Wende kommt, ist sehr unsicher. Hoffentlich erreiche ich in weiteren fünf bis zehn Jahren im Maschinenbau einen minimalen Abschluss und somit auch die Sicherheit auf das Vermögen meiner Alten.

      *

      Ein schleichender politischer Aufstieg

      Karrieren verlaufen manchmal steil, sehr steil, und dann wieder bleiben sie auf halbem Wege stecken oder schleppen sich mühsam so dahin. Ja, es soll sogar vorkommen, dass sie nach dem ersten Schritt in dieser Pose ein Leben lang verharren. Andererseits kann ihnen ein Zufall oder klitzekleines Ereignis plötzlich einen riesigen Karriereschub verleihen, der denjenigen fast zu Schwindelanfällen verhilft.

      In der Politik hängen Karrieren von der Redegewandtheit, weniger vom Inhalt ab. Rhetorik ist das alles Entscheidende.

      Markus Schuller saß bereits zehn Jahre im Bundestag, bei der fast immer führenden Partei, der CDU. Er kam durch fleißiges Plakatkleben zufällig auf einen der hinteren Plätze in der Landesliste und damit in den Bundestag. Da kein anderer in seinem Landkreis Lust für eine Kandidatur verspürte und er inzwischen im Bundestag saß, gelangte er dann auf einen besseren Listenplatz und wieder in den Bundestag. Mit seinen 45 Lenzen gehörte er nunmehr zu den ganz jungen Abgeordneten. Er war seinen Nebenleuten als fleißig, pünktlich, als vorbildlich zuverlässig bekannt. Darüber hinaus kannte ihn keiner. Markus Schuller besuchte die ihm zugewiesenen Ausschüsse, fiel dort nicht weiter auf, da er sich bescheiden mit Äußerungen zurückhielt und immer bei großen und kleinen Abstimmungen mit der Mehrheit stimmte. Er wollte nicht anecken und das schöne Mandat behalten bis zur Rente. In den zehn Jahren erarbeitete er zwei wichtige Reden, die er dann auch hielt. Erstens über die Wichtigkeit von Aussagen zu kleinen Schritten und deren herausragende Bedeutung und zweitens über die Auffassung der anderen und deren Wendungen bei der Vergabe von größeren Dingen. Die Mitglieder des Bundestages suchten jedes Mal die Kantine auf und bewahrten ihn vor eventuellen Fragen der Abgeordneten während seines Vortrages. Markus klopfte sich auf seine Schulter über seine gelungenen Reden, nur einige seiner Fraktionsmitstreiter wollten ihn auf ein Mandat in Mecklenburg-Vorpommern setzen, wo ihn auch niemand kannte, wobei es dort sein politisches Aus bedeutet hätte. Ein fleißiger Unbekannter erhielt bei Plakatklebereien in dieser Region kaum eine Fahrkarte in den Bundestag.

      Den Mitgliedern des Bundestages stand innerhalb Berlins ein Fahrdienst bereit. Fast alle Abgeordneten nutzten dieses schnelle und bequeme Transportmittel. Von den Grünen gab es so manchen, der lieber sein Fahrrad benutzte. Markus Schuller bemühte immer den Fahrdienst des Bundestages, den er je nach Bedarf anrief, um mit einem entsprechenden Fahrzeug seine Stadtteile in Berlin zu erreichen. Langsam behagte ihm diese Möglichkeit, ständig auf den Fahrdienst angewiesen zu sein, nicht mehr. Also holte er seine alte Schrippe – einen VW Golf 2 – aus seiner Garage, der kaum benutzt wurde. Höchstens mal von seinem minderjährigen Sohn Noa Noel zum Autospielen und früher mal für die Fahrt zum Arbeitsplatz und später ausschließlich zum Hundefriseur. Markus fuhr damit zum Fußpflegesalon. Das fiel beim ersten Mal mit dem eigenen Auto noch nicht auf. Am nächsten Tag fuhr er zur Zentrale des Gewerkschaftshauses. Einige Reporter standen da herum, sie stellten ihm Fragen über seine neuerlichen Ambitionen und machten unzählige Bilder. Ihm, der locker in Freizeitkleidung aus dem Auto stieg, wurde das alles sehr unangenehm und er flüchtete regelrecht in das Gewerkschaftshaus.

      Am nächsten Tag gab es in der landesweiten Presse mehrere Fotos. Markus Schuller, wie er aus dem Auto stieg, seine abwehrende Haltung den Presseleuten gegenüber und dann, wie er in die Zentrale des Gewerkschaftshauses flüchtete. Dazu passend die Schlagzeile:

      Abgeordneter der CDU verbündet sich mit den Gewerkschaften – strebt wahrscheinlich hohen Gewerkschaftsposten an!

      Selbst zwei Tage später gab es in der Presse noch zahlreiche Kommentare und Spekulationen, wie ein Konservativer mit der Gewerkschaft kungelte.

      Eine Woche später streikte sein Auto vor dem Willi-Brandt-Haus, der SPD-Zentrale, in das Markus Schuller hineinging. Die Presse überschlug sich:

      Schuller bandelt mit der SPD an, wie wahrscheinlich ist ein Übertritt? – Er galt schon immer als Abweichler vom konservativen Kurs!

      Der Generalsekretär der CDU war alarmiert. Er berief umgehend eine Sondersitzung ein und stellte Schuller vor die Wahl: „Wir oder die.“ Der Generalsekretär sah Schuller zum ersten Mal und war verwundert, wie gut der aussah, so jetzt in Arbeitskleidung mit Schlips und Anzug mit einer korrekten Bügelfalte an beiden Hosenbeinen. Er wurde nun von allen anwesenden CDU-lern, die ihn jetzt bewusst erkannten, in die Zange genommen. Was er wohl bei der Gewerkschaft und bei der SPD zu suchen hätte. Schuller hob vor so viel spontaner Zuwendung seiner Parteimitstreiter beide Schultern und redete von einer Politik seiner Partei, die man etwas anders gestalten könnte, und er stünde fest zur CDU. Danach wetterte er etwas über die Wirtschaftspolitik der SPD, die das Handelsabkommen mit den USA nicht in den Griff bekäme.

      Die SPD, angeregt durch die Presse und die Vorladung des untreuen Abgeordneten Schuller beim CDU-Generalsekretär, reagierte prompt. So lud der SPD-Vorsitzende Markus Schuller in das Willi-Brandt-Haus zu einer freundschaftlichen Informationsfindung zwischen Kollegen ein. Der Parteivorsitzende der SPD schwafelte über dies und das, wie er so mit der Politik der CDU zufrieden wäre. Er freue sich sehr, mit einem Mann der CDU über soziale Themen Gespräche zu führen und so viel Verständnis dabei zu finden. Ganz nebenbei erwähnte er, bei ihm fehle noch ein Staatssekretär für wirtschaftliche Zusammenarbeit und er könnte sich gut vorstellen … Freudig erregt und beschwingt ging Schuller zu seinem alten VW und fuhr – nach einer kleinen Runde durch die Stadt – zufrieden nach Hause. In der Presse hieß es dann:

      Der Abgeordnete Schuller hatte mit dem Parteivorsitzenden der SPD ein informatives, auf gleicher Augenhöhe geführtes freundschaftliches Gespräch. – Ein Übertritt zur anderen Seite erscheint in die Nähe des Möglichen zu treten.

      Danach herrschte totale Unruhe in der CDU-Zentrale, da der SPD-Vorsitzende in einem Interview im Fernsehen das anregende Gespräch mit dem CDU-Abgeordneten so ganz nebenbei deutlich erwähnte. Nun durfte Markus Schuller sofort


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