Talmi. Oskar Jan Tauschinski

Talmi - Oskar Jan Tauschinski


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nichts damit zu tun haben. Die Konsequenzen Ihres Leichtsinns müssen Sie selber tragen.

      Eines noch: Ich kann mich heute nicht so genau an alles erinnern, was ich geschrieben habe. Möglicherweise sind Stellen darin, die wirklich nur für mich bestimmt waren und die eigentlich sogar Sie nicht hätten lesen dürfen. Ich bitte Sie daher nochmals um Diskretion – wenn auch jetzt nicht mehr für mich, sondern für die weibliche Erzählerin Ihres Romans, die Sie dankenswerterweise Sedlak genannt haben.

      Ich erteile Ihnen meine Einwilligung schweren Herzens, aber ich habe nicht das Recht, sie Ihnen zu verweigern, nachdem ich das Tagebuch nun einmal aus den Händen gegeben habe. Ich wünsche Ihnen Erfolg mit Ihrer Arbeit. Reginald kann jetzt von seinem Mikroskop nicht fort, um diesem Brief von sich aus einige Zeilen hinzuzufügen. Er läßt Sie herzlich grüßen, was ich in seinem und meinem Namen hiemit tue.

      Ihre alte Freundin

      Susanne H.

      DER ERSTE AUFTRAG

       (Susannens Aufzeichnungen vom 17. März 1945)

      Heute sind wir wieder fünf Stunden von unserer Geschäftszeit im Keller gesessen. Eigentlich ist mir nur das Frieren daran lästig. Die Angst und Aufregung der anderen kann ich nicht teilen. Es war ja von vornherein damit zu rechnen, daß es so kommen wird. Außerdem sind es die einzigen Stunden, in denen ich sicher bin, nicht beobachtet zu werden. Jeder ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

      Wenn nur Margot nicht so viel und so unbedacht schnattern wollte! Das geht die ganze Zeit: hinauf auf die Gasse, hinunter in den Keller und wieder hinauf …

      »Ach Frau Sedlakchen, nu haben se uns wieder überflochen! Und alle sind se zu uns, nach dem siebenten Bezirk. Sie werden sehen, heute passiert noch was. Ich hab so ’n komisches Jefühl in mir!«

      »Aber Margot, so setzen Sie sich doch endlich hin und geben Sie Ruhe.«

      »Nee, nee – jetzt ist’s wieder ganz still oben, hören Sie? Ich geh’ wieder mal kucken. In dem ollen Keller kriecht man sowieso bloß kalte Füße.«

      Hinauf auf die Gasse, hinunter in den Keller …

      »Frau Sedlakchen, nu is’ so weit. In unserer Richtung brennt’s. Ich bin eben mal auf dem Dachboden jewesen, mit der Angela und mit der Mizzi von der Parfümerie. Man sieht deutlich Rauch. Es kann nich weit von uns sein. So recht nahe vom Flakturm. Daß die Biester och ausjerechnet vor unser Haus dat alberne Zeuch haben hinbauen müssen!«

      Margot hat recht; der Flakturm ist auch für mich eine ständige Beunruhigung, denn der wird früher oder später bestimmt zum Bombenziel. Aber »die Biester« und ähnliche Offenheiten aus ihrem Mund sind doch immer wieder unnötige Gefährdungen. Man weiß, daß sie jetzt bei mir wohnt und daß ihr Enthusiasmus vor zwei Jahren, als sie bei uns als Hilfsmanipulantin eintrat, noch unerschütterlich schien. Grund genug für die Franzi, deren Mann Gestapobeamter ist, die jähe Wandlung in Margots Weltanschauung meinem Einfluß zuzuschreiben, nicht bedenkend, daß eine junge Stalingradwitwe auch ohne meine Bekanntschaft alle Veranlassung hätte, verbittert zu sein. – (Arme Margot! Wenn sie wüßte, daß ich sie als Witwe bezeichne! Sie hofft ja immer noch auf ein Wiedersehen mit ihrem Ferdl.)

      Übrigens sind ihre Prophezeiungen unseres Ruins für heute noch nicht zur Wirklichkeit geworden. Die Eingangstür ist allerdings aus den Angeln gehoben und geborsten obendrein. Alle Gang- und Küchenscheiben sind kaputt; aber vorne in den Zimmern ist so gut wie nichts passiert. Nur der Staub liegt dick wie ein grauer Samtbelag auf allen Gegenständen.

      Das Gröbste haben wir fortgekehrt und mit Hilfe der Hirzberger auch die Tür mit zwei Kistendeckeln unternagelt und eingehängt. Sie läßt sich zwar nicht verschließen und man muß ein Küchenkastl über Nacht davorrücken, aber es ist doch immerhin wieder eine Tür. Vielleicht können wir sie morgen wenigstens mit einem Vorhängeschloß versehen, sonst muß Margot daheim bleiben, und ich gehe allein ins Geschäft, um im dortigen Luftschutzkeller »acte de présence« zu machen.

      Kein Raum eignet sich jetzt so gut zur Meditation wie der Luftschutzkeller. Die Ecke, in der ich sitze, ist finster und still. Die alte Klavierlehrerin mir gegenüber betet stimmlos ihren Rosenkranz und schläft zwischendurch immer wieder ein. Wenn Margot oder die Lehrmädchen nicht dahergehummelt kommen, um ihre Sensationsnachrichten loszuwerden, dann habe ich Zeit, mich auf deine Geschichte, Ernstl, – mein eigentliches Werk jetzt – zu konzentrieren. So ist mir heute unsere dritte Begegnung greifbar deutlich wieder eingefallen:

      Es mochte etwas mehr als ein Jahr verflossen sein, seit ich den jungen Mann mit seinem Brotauto hatte davonfahren sehen. Ich will nicht leugnen, daß ich in der ersten Zeit meine Einkäufe bei der Milchfrau absichtlich in der Früh tätigte. Mehrmals gelang es mir, das keineswegs pünktliche Eintreffen des Lieferwagens abzuwarten. Gelegentlich kam ich gerade noch zurecht, um es fortfahren zu sehen. Aber neben dem grämlichen Brotausträger saß stets ein magerer, dunkelhäutiger Mensch am Lenkrad. Anscheinend hatte mein junger Freund in diesem Bezirk nur aushilfsweise Dienst gemacht.

      Mit der Zeit gab ich es auf. Ich sah auch ein, daß es sinnlos war, meine Tageseinteilung nach einem belanglosen Chauffeur mit Tanzstundenmanieren und der Mentalität eines Backfisches zu machen. Uninteressante Leute hatte ich genug im Geschäft. Meine einzige geistige Ansprache war damals Aglaia. Zu ihr ging ich lernen in jeder Hinsicht – nicht nur im eigentlichen, handwerklichen Sinn.

      Der Unterricht bei ihr begann meist mit ernster Arbeit. Aglaia setzte eine strenge Miene auf, sprach und erklärte an Hand lebender Modelle. (Sie kannte eine Unzahl von jungen, freundlichen Menschen, Burschen und Mädchen, die mit Begeisterung stillsaßen und stolz waren, Modell spielen zu dürfen.) Ich arbeitete unter ihrer Anleitung in Ton und Wachs, und diese schmiegsamen Materialien, die sich von Hand und Spachtel gefügig formen ließen, kamen meiner schwächlichen Begabung so entgegen, daß ich mich oft wunderte, wie rasch sich unförmige Klumpen belebten und Gestalt annahmen.

      Aglaia selbst war nicht entzückt darüber.

      »Ich wollte«, sagte sie, »du müßtest härter um die Form ringen. Es fällt dir zu leicht. Du spielst, wo du arbeiten solltest. Die Kunst muß einen recht sauer ankommen, sonst bleibt man sein Leben lang ein vielversprechender Dilettant.«

      Leider hatte sie recht! Wenn ich nämlich versuchte, meine flotten Figurinen aus den tönernen Skizzen in Stein zu übertragen, dann sah ich erst, wie wenig ich vermochte. Ich plagte mich und schwitzte. Meine Hände bekamen Schwielen, aber der Block vor mir blieb so steinern und unbeseelt, daß Aglaia, die vorhin mit Lob gegeizt hatte, nun nicht genug Worte des Zuspruchs und der Aufmunterung finden konnte, um meine Verzweiflung zu lindern.

      Am späten Abend kam meist Aglaias Freund, Berti. Es war rührend und ein wenig peinlich, zu sehen, wie sich ihre derben Züge verschönten und ihre energische Männlichkeit schmolz, wenn dieser schmächtige Mensch das Zimmer betrat. Er war fast zwei Jahrzehnte jünger als sie und damals noch weit von den Dreißig entfernt. Dennoch wirkte er nicht jung. Aglaia mit ihrem graumelierten Löwenhaupt und ihrem ältlichen, von vielen Runzeln gezeichneten Antlitz mußte Jugendfrische, beschwingte Lebendigkeit und Elan für sie beide aufbringen.

      Um der übertriebenen Adrettheit willen, die Bertis Außeres kennzeichnete und die offenbar jene Bemühungen widerspiegelte, mit denen er die Zwiespältigkeit seines Wesens »adrett« zu halten versuchte, nannte Aglaia ihn scherzhaft Thomas Buddenbrook, pflegte dann aber bei dem Gedanken an den frühen und plötzlichen Tod dieser Romangestalt stets zu erschrecken und eine ihrer alttestamentarischen Beschwörungsformeln zu murmeln, die ähnlich lauteten wie: »Dir zum Leben!« oder: »Bis hundert Jahr’!«

      Bertrand Lamarque – so hieß Berti – war kurz nach dem vorigen Krieg als französischer Student in Wien aufgetaucht, mit der Absicht, ein bis zwei Semester Germanistik und Kunstgeschichte zu hören. Ich weiß nicht, bei welcher Gelegenheit er Aglaia kennenlernte; jedenfalls scheint er sehr bald zur Überzeugung gelangt zu sein, daß sie ihm die Sicherheit gab, die er brauchte, und daß nur in ihrer Nähe das Leben lebenswert war. Nach Frankreich zog ihn nichts zurück. Er war Vollwaise, und die geringe


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