Subliminal. Thorsten Oliver Rehm

Subliminal - Thorsten Oliver Rehm


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waren immer umfangreicher geworden. Und jetzt sollte noch eine dritte Basis dazukommen?! Übernahm er sich da nicht? Wenigstens führte er die Allgäuer Tauchbasis nicht mehr, die in Deutschland bis vor einer Weile noch parallel zu der auf Mallorca bestanden hatte. Es hatte eine Weile gedauert, bis Frank die geschäftlichen Brücken nach Deutschland endgültig abgerissen hatte. Leicht war ihm das nicht gefallen, doch es war besser so. Lange Zeit war er zwischen beiden Ländern hin und her gependelt. Die dafür investierte Zeit und Energie hatte er nun gewonnen, dafür aber gleich das neue Projekt auf der Insel in Angriff genommen. So weit, so gut.

      Was ihm aber in letzter Zeit am meisten zu schaffen machte, war der Umstand, dass er selbst nicht einen einzigen Kurs mehr gab. Er wollte Tauchlehrer sein, liebte die Begeisterung in den Augen seiner Schüler, den Glanz in ihren Augen nach ihrem ersten Tauchgang und den Glanz nach jedem weiteren und den Glanz aufgrund der Vorfreude auf den nächsten Dive. Er war nicht nur dabei – er war mittendrin gewesen.

      Und jetzt? Nicht einmal mehr dabei war er! Er stand im Hintergrund, lenkte den Alltag seiner Mitarbeiter, die das Leben lebten, das er und Jennifer eigentlich hatten leben wollen. Oder sah er das Ganze zu negativ? War es nicht der normale Lauf der Dinge? Er war nicht mehr dreißig, sondern fünfundvierzig. Er und Jennifer hatten sich weiterentwickelt, das Unternehmen hatte sich weiterentwickelt. Unternehmen! Allein das Wort… Er war plötzlich mehr Geschäftsmann als Taucher. Zwar war er noch immer Taucher aus Leidenschaft, nur konnte er selbst dieser Leidenschaft kaum mehr frönen. Und zunehmend hatte er auch immer weniger Momente als Ehemann und Vater, denn auch diesen Rollen schien er immer weniger gerecht zu werden. Er war im sprichwörtlichen Hamsterrad gefangen, raste wie ein Wilder darin voran und kam trotzdem nicht von der Stelle – das wahre Leben zog mehr und mehr an ihm vorüber, so zumindest empfand er es, jeden Tag ein Stückchen mehr.

      Und heute war unvermittelt dieser Anwerber in sein Leben getreten. Ein Wink? Woher? Gut oder schlecht? Er hatte keine Ahnung. Wobei Jennifer alles andere als begeistert gewesen war, als er vorhin ganz nebenbei erwähnt hatte, dass man ihm ein Angebot unterbreitet habe, und er sie gefragt hatte, was sie denn davon halte. Um was genau es denn gehe, hatte Jennifer gefragt. Das könne er ihr auch noch nicht sagen, wisse es selbst nicht genau, habe nur Andeutungen gehört, war seine Antwort gewesen. Es gehe jetzt erst mal darum, ob er grundsätzlich in der Art etwas tun wolle und solle. Als Forscher Geheimnissen auf den Grund gehen – ja! Wenn aber Menschen Geheimnisse hatten – nein! Und noch weniger mochte er es, wenn er aufgrund einer Verschwiegenheitserklärung vor anderen Geheimnisse haben sollte, ohne im Vorfeld aber zu wissen, ob es überhaupt redlich war, sein neues Wissen dann für sich zu behalten. Wer wusste schon, um was es bei dieser Forschung ging und ob es mit seinem Idealismus vereinbar war? Jennifer betrachtete die Sache mit Skepsis, und sie hatte recht. Wenn es ihn aber glücklich mache, solle er es tun. Sofern er nicht nur noch fort sein würde, hatte sie mit ernster Miene hinzugefügt.

      Und trotzdem, da war sie wieder, diese Abneigung gegen Geheimnisse. Wieder schoss es ihm durch den Kopf. Sein damaliges Geheimnis. Und das war nicht klein gewesen. Ja, es hatte damals Mittel zum Zweck sein sollen, um Schlimmeres zu verhindern und das Richtige zu bewirken. Am Ende war er in einen Abgrund geschlittert, und andere Personen gleich mit, inklusive Jennifer. Das wollte er nie wieder erleben. Alles hatte zum Schluss ein gutes Ende genommen, das ja, und hatte sogar zum inneren Frieden geführt und dazu, dass er endlich einen Schlussstrich zog. Aber es war ein schockierender, trauriger und harter Weg gewesen. Zudem hatten einige Personen einen hohen Preis dafür bezahlt, auch wenn er selbst dafür damals nichts konnte. Mit Geheimnissen war es eben so eine Sache, mit den kleinen, und mit den großen erst recht… Nicht immer im Leben heiligte der Zweck die Mittel…

      Aber er solle sich nicht so viele Sorgen machen, das zumindest würde Jennifer sagen. Die Frage war nur, was sie sagen würde, wenn er ihr mitteilen würde, dass er inzwischen so gut wie entschlossen war, sich die Details der Forschung anzuhören und – je nachdem, was dabei herauskäme – höchstwahrscheinlich zuzusagen und über den Winter tatsächlich etwas Neues auszuprobieren? Das war nun seine größte Sorge… Und ganz nebenbei stand noch Grothes Frage im Raum nach hochqualifizierten Tauchern, die sich für die Forschungsarbeiten als Probanden zur Verfügung stellen würden. Er solle überlegen, wer aus seinem Umfeld in Frage komme, und den Kontakt herstellen. Diese Jobs seien gut bezahlt und würden kein gesundheitliches Risiko bergen.

      Frank hatte schon jemanden im Sinn, dem er von der Sache erzählen würde. Vielleicht würde derjenige dann den Winter über doch auf Mallorca bleiben, statt in die Karibik zu flüchten, was die Chancen erhöhen würde, dass er zum Frühjahr wieder Franks Team verstärkte. Jemand, der inzwischen zu einem guten Freund geworden war und den er, würde er die Insel verlassen, wahrlich vermissen würde.

      ♦

      Zeichen der Zeit

      Larissa Ebel saß auf einem Stuhl in der hinteren Reihe. Hätte ihr Blick töten können, ihre Mitschülerin Marie Gessner wäre just in diesem Moment auf der Bühne umgefallen. Bühne. Podium. Wie auf einen Thron erhoben muss sich die blöde Kuh vorkommen! Lässt sich feiern, die Bitch! Larissa kochte. Hass brachte ihr Blut in Wallung. Neid war es nicht. Warum sollte sie auf Marie neidisch sein?! Dafür, dass diese Schnepfe und ihr Anhang heute vom Bürgermeister persönlich ausgezeichnet wurden? Dafür, dass sie sich mit ihrem vor einem Jahr ins Leben gerufenen Jugendprojekt auf sozialer Ebene in einer Weise verdient gemacht hatte, wie es nur wenige junge Menschen je zuvor fertiggebracht hatten? So jedenfalls nannten es die schleimigen Redakteure der lokalen Presse. Oder dafür, dass nun auch hohe Tiere in Berlin auf das Projekt aufmerksam geworden waren und diese ekligen Good-Girls Lobeshymnen und Blumen von dort erhielten? Dafür, dass sie nun vollends zu Vorbildern stilisiert und schlimmer denn je gelobhudelt wurden? Sicher nicht!

      Diese Tussis! Wie Stars auf der Bühne! Die hatten ja schon immer einen Hang zum Strebertum – aber wie die seit letztem Jahr abgingen – Kotz! Allen voran diese Marie, so was von perfekt! Aber das Blatt würde sich wenden. Die Rollen, die Marie und ihre bescheuerten Freundinnen eingenommen hatten, waren etwas für Loser. Mit ihrem ganzen Gutmenschen-Gehabe und ihrer »Vorbildfunktion für alle Schüler«, wie es immer genannt wurde, würde es bald ein Ende haben. Die Zeit war gekommen. Diese von allen geliebten Püppchen hatten sich für die falsche Seite entschieden, im echten Leben wie auch innerhalb der Community. Und jetzt hatten sich ihre ekelerregend perfekten Einstellungen und Eigenschaften auch noch übel potenziert. Kotz!

      Aber egal – deren Problem. Naja, am Anfang… Inzwischen war es ein Problem der gesamten Community, also ein Problem von allen. Zum Glück gab es ja auch noch Bad-Girls – so wie sie. Früher schon, und inzwischen mehr denn je. Gut so. Noch mehr von diesen Vorzeigepüppchen, die Community würde stinkelangweilig werden.

      Das war ein Problem! Aber ein Problem, das bald gelöst wäre. In den letzten Tagen war Larissa mehr und mehr klargeworden, worin ihre Aufgabe bestand und was zu tun war.

      Die Aula der Mittelschule war zum Bersten gefüllt, Lehrer, Eltern, Freunde, Bekannte und die Presse. Die meisten lauschten dem ganzen Gelaber. Warum war sie eigentlich hergekommen? Sie wusste es selbst nicht so recht. Marie auszuschalten, stand erst später an. Wahrscheinlich wollte sie sich nochmals überzeugen, wie nervig Marie und ihr Anhang tatsächlich waren. Das war gelungen. Wenn sie die Mädels auf dem Podium so sah, war klar, dass sie diesen Weg beschreiten musste. Wie um ihr Vorhaben zu bestätigen, fasste sie in ihren Rucksack und fühlte den Schlagring, den ihr eine Freundin besorgt hatte. Er fühlte sich kalt an. Das passte. Sie grinste in sich hinein.

      Dann schaute sie auf die Uhr. Fast hätte sie die nächste Folge verpasst. Besser würde sie die Dauer der Veranstaltung nicht nutzen können, wo sich doch zum Ende der aktuellen Staffel gerade alles so zuspitzte… Schnell kramte sie ihr Smartphone heraus, stöpselte sich den Lautsprecherknopf ins Ohr, loggte sich im Portal ein und startete die neueste Folge ihrer Lieblingsserie. Schon kurz darauf war sie so darin vertieft, dass sie alles um sich herum ausblendete.

      ♦

      Zeichen der Zeit

      Mit voller Wucht schmiss Tom Meissner die Tür zu seinem Zimmer zu. Sofort war der Wutschrei seiner Mutter zu hören. »Spinnst Du?! Musst Du die Tür immer so zuknallen?!«

      Tom reagierte nicht. Er schmiss seine Jacke in die


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