Subliminal. Thorsten Oliver Rehm
das spürte Frank. Und er hatte sein Interesse geweckt, das musste sich Frank eingestehen.
»Das war früher. In einem anderen Leben sozusagen.«
»Einmal Forscher, immer Forscher. Oder nicht?«
»Warum ich?«
»Wie gesagt: Meinen Informationen nach entsprechen Sie dem Typus, den wir suchen, so perfekt wie sonst niemand. Keiner käme für den Job so gut in Frage wie Sie. Zumindest keiner, den wir ausfindig machen konnten – noch dazu auf Mallorca.«
Dem Typus, den wir suchen…
»Einen Job, den Sie mir noch immer nicht erläutert haben.«
»Das werde ich heute auch noch nicht. Ich möchte nur wissen, ob Sie Interesse an einer wissenschaftlichen Arbeit haben, es sich zumindest vorstellen und sich in den nächsten Monaten dafür die Zeit einplanen können und auch werden. Wenn ja, gehen wir ins Detail, später. Bevor ich Ihnen dann allerdings erkläre, um was es genau geht, müssten Sie eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben.« Grothe trank einen kräftigen Schluck seines Kaffees.
»Vor meiner Entscheidung, ob ich überhaupt für Sie arbeite? Sie scherzen.« Aber es war nicht so, das konnte Frank aus Grothes Miene herauslesen. »Um was geht es? Ein militärisches Projekt mit höchster Sicherheitsstufe? Sind Sie vom Pentagon? Der NSA? « Frank lachte.
Grothe schmunzelte. »Sie müssen das verstehen. Ich muss erst wissen, ob Sie sich ganz grundsätzlich einen Job als fachlicher Berater vorstellen können. Wenn ja, gehen wir ins Detail, dann weihe ich Sie ein. Natürlich können Sie auch danach noch ablehnen. Aber wenn Sie erst mal wissen, um was es geht, werden Sie nicht ablehnen.« Grothe lächelte ihn verschwörerisch an. »Falls aber doch – rein hypothetisch – müssen Sie Stillschweigen bewahren. Auf Dauer. Das ist der Deal. Ich denke nicht, dass das ein Problem für Sie darstellt, Dr. Stebe. Sie sind doch ein Mann der Geheimnisse.« Er setzte bedeutungsvoll eine kurze Pause. »Ich meine natürlich, ein Mann, der es liebt, Geheimnissen auf die Spur zu kommen.«
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Zeichen der Zeit
Fritz Schuster saß in seinem Sessel, seine Frau Erna auf dem Sofa. Schusters Rücken schmerzte. Als der junge Randalierer ihm brutal die Harke aus der Hand gerissen hatte, war er unglücklich auf den Steiß gefallen. Das linke Handgelenk war auch verstaucht. Er würde heute den Garten nicht in Ordnung bringen können, so viel stand fest. Nun saßen er und seine Frau bei einer Tasse Kaffee und lasen die Tageszeitung. Sie hatten sie sich aufgeteilt – beide hielten nur einen Teil in den Händen, später würden sie die Seiten untereinander austauschen.
Fritz Schuster war gerade in eine Pressemeldung auf der Titelseite vertieft, die ihn verwirrte. Am Tag zuvor war ein Büromitarbeiter, der seinen Job kündigen wollte, mit einer Waffe in den Konferenzraum des Unternehmens gestürmt. Nachdem er zunächst die dort anwesenden Kollegen und seinen Chef bedroht und beschimpft hatte, hatte er auf sie geschossen und dabei immer wieder »Jetzt zeig ich‘s euch!« gerufen. Es gab nur drei Überlebende, sie hatten es irgendwie geschafft zu entkommen und berichteten, der Amokläufer sei eiskalt vorgegangen und habe keinerlei Gefühlsregung gezeigt.
Fritz Schuster schüttelte fassungslos den Kopf. War nicht kürzlich etwas Ähnliches vorgefallen? Wo und wann war das gewesen? Es fiel ihm nicht ein.
Er blätterte weiter und begann gerade mit einer anderen Nachricht, als es an der Wohnungstür klingelte. Fritz Schuster ging zur Tür. Seit nunmehr dreißig Jahren wohnten sie dort, im dritten Stock des Mehrfamilienhauses. Von Frühjahr bis Herbst kamen sie eigentlich nur zum Schlafen her, und manchmal nicht einmal das, da sie mitunter auch in ihrem Schrebergarten schliefen. Nun konnten sich die Schusters das allerdings nicht mehr vorstellen – nicht nach dem, was sie erlebt hatten! Erna Schuster war noch immer verstört und kapselte sich ab. Wenn es klingelte, fuhr sie zusammen, als befürchte sie jedes Mal, dass die Jugendlichen vor der Tür stehen und sich dafür rächen würden, dass die Schusters den Vorfall im Schrebergarten der Polizei gemeldet und die drei Täter angezeigt hatten. Heute würden die Jugendlichen dem Richter vorgeführt werden, wie Fritz Schuster vor einer halben Stunde von der Polizei erfahren hatte.
Er schaute durch den Spion und staunte nicht schlecht. Gerade wollte er die Tür öffnen, als ihm der Gedanke durch den Kopf schoss, dass der Nachbarsjunge vor der Tür möglicherweise mit den Randalierern befreundet sein könnte… Schuster verwarf den Gedanken aber sogleich – es war einfach zu unwahrscheinlich. Die Familien der straffällig gewordenen drei Jungen, die seine Frau und ihn attackiert hatten, wohnten am anderen Ende der Stadt.
Vor der Tür stand der sechzehnjährige Ole Schilling, ein unhöflicher und nicht selten frecher Junge, dem alles egal zu sein schien. Entsprechend verhalten begrüßte Schuster den Jungen. Dieser hatte aber ausgesprochen freundlich »Guten Tag!« gesagt, was Schuster zusätzlich irritierte. Er konnte sich nicht erinnern, dass der Junge jemals gegrüßt hätte – es sei denn, eine Grimasse ziehen ging jetzt als Gruß durch.
»Ich habe gehört, was mit Ihnen – Ihrem Garten – passiert ist.« Der Junge druckste ein bisschen herum, als wüsste er selbst nicht recht, wie er anfangen sollte. »Ich möchte Ihnen meine Hilfe anbieten. Also dass ich Ihnen die nächsten Tage nach der Schule – und natürlich nach den Hausaufgaben – zur Hand gehe und Ihnen helfe, die Schäden zu reparieren. Und neue Gartenpolster mit Ihnen einkaufe, jetzt, wo Sie doch Ihr Auto verkauft haben. Ich könnte Ihnen tragen helfen. Oder die Sachen mit meinem Fahrradanhänger transportieren. Sicher fällt Ihnen alles, was ansteht, ein bisschen schwer, oder? Zumal Sie sich doch etwas verletzt haben.« Der Junge zeigte auf die Bandage, die sich Schuster selbst angelegt hatte.
Schuster wusste gar nicht, über was er zuerst staunen sollte, darüber, dass sich der Junge für sein verstauchtes Handgelenk interessierte, oder über die Tatsache, dass der Junge Hausaufgaben erledigte, oder darüber, dass er ihnen seine Hilfe anbot, den Garten wieder in Ordnung zu bringen… Schuster konnte sehen, dass der Junge sehr wohl seine Skepsis bemerkte, und als habe er gewusst, was Schuster gleich sagen wollte, fügte er hinzu: »Es ist mit meinen Eltern abgesprochen, ich darf das machen.«
Schuster zog die Augenbrauen hoch. Darf? Nicht soll?
»Es war übrigens meine Idee, nicht deren«, schob Ole hinterher, als könnte er Schusters Gedanken lesen. »Also, darf ich Ihnen helfen?«
Da stimmt doch was nicht. Schuster wusste nicht, wie er reagieren sollte. Der Junge blickte ihn an, ohne die Durchtriebenheit, die er sonst für gewöhnlich an den Tag legte. Und er lächelte. Er lächelte! Sogar ausgesprochen freundlich! Und es wirkte ehrlich. Schuster verstand die Welt nicht mehr und stotterte perplex: »Ja – warum nicht – gerne – vielen Dank.«
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Unterwasser-Habitat, Mittelmeer, vor Mallorca
Joachim Seidel starrte auf die kleine weiße Pille in seiner Hand. Es war Zeit. Alle vier Stunden musste er die Dinger schlucken. Diese ständige Wiederholung unterstrich die Monotonie seines Probanden-Daseins in dieser Unterwasser-Forschungsstation. Auf was hatte er sich nur eingelassen? Vierzig Meter über ihm an Land genossen tausende Menschen den Sonnenschein auf Mallorca, und das Leben pulsierte. Hier unten fragte er sich, ob sein Puls überhaupt noch schlug. Vom Leben da draußen bekam er jedenfalls nichts mit. Dass es ihm so schwerfallen würde, zwei Wochen ohne Unterbrechung unter Wasser zu bleiben, hätte er nicht gedacht. Und was für einen bescheuerten Tagesablauf er über sich ergehen lassen musste, erst recht nicht.
»Bist du nicht neugierig, was das für ein Zeug ist?« Seidel warf Manfred Tatzer einen fragenden Blick zu. Der zuckte nur gelangweilt mit den Schultern. Tatzers Desinteresse ging Seidel auf den Keks. Der Typ war die personifizierte Lethargie. Egal bei was. »Ich wüsste zu gern, was zum Geier wir uns da überhaupt reinpfeifen«, setzte er nach.
Die Verantwortlichen dieser Feldversuche hatte er schon gefragt. Das traf es ja wohl: Feldversuche. Sonst wären er und die anderen ja keine Probanden. Und so wurden sie genannt: Probanden! Wiederholt hatte er gefragt, was genau sie einnehmen würden. Dass er keine Auskunft darüber erhalten würde, war ihm eigentlich klar gewesen, und dass er nicht wusste, was die Ärzte seinem Körper zuführten, war Bestandteil der