Subliminal. Thorsten Oliver Rehm

Subliminal - Thorsten Oliver Rehm


Скачать книгу
gewöhnliche Gewusel und Gemurmel, und dennoch… Ach, was soll’s, wahrscheinlich hatte der Chef wieder mal schlechte Laune, wie meistens. Wobei – hatte der nicht jetzt Urlaub? Sie meinte, sich zu erinnern, dass er vor ihrer Abreise etwas in der Art angedeutet hatte. Umso besser, das hellte das dunkle Grau des Tages mächtig auf!

      Natascha goss sich einen Kaffee ein, wechselte ein paar flüchtige Worte im Vorbeigehen, wurde aber das Gefühl nicht los, dass irgendetwas im Argen lag. Der Chef war wirklich seit heute im Urlaub, das hatte sie in Erfahrung gebracht. Prima! Der Tag konnte somit eigentlich nur noch besser werden!

      Sie startete ihren PC, und während der hochfuhr, durchstöberte sie ihr Fach. Es hatte sich eine Menge angesammelt. War ja klar. Nachdem der Computer hochgefahren war, checkte sie ihr elektronisches Postfach, überflog die Mails, löschte direkt jene, die sie für unwichtig hielt, und teilte die zu bearbeitenden in A-, B- und C-Aufgaben ein – außer, sie waren in einer Minute zu beantworten, dann nahm sie sich ihrer sofort an. So arbeitete sie sich wie immer von den älteren zu den neuen Mails durch, auch wenn gute Gründe dafür sprachen, es genau andersherum zu tun.

      Minuten später ließ sie eine der Mails stocken. Sie war gerade mal zwei Tage alt. Dem Betreff nach zu urteilen, handelte es sich um ein Meeting, das man für den nächsten Tag, also gestern, anberaumt hatte, und es war offensichtlich um das Ressort gegangen, das ihrer Verantwortung unterlag. Was sollte das? Was konnte so dringend gewesen sein, dass man es nicht noch einen Tag hätte verschieben können, bis sie wieder da war?! Urplötzlich schob sich da etwas in ihr Hirn, sie konnte nur nicht deuten, was.

      Schnell scrollte sie die Mails nach oben. Sie würde ja wohl zumindest im Nachgang eine Info erhalten, um was es bei der Sitzung gegangen war, in ihrem Postkorb war nämlich kein Protokoll gewesen. Aber da war auch nichts! Dann wird es so wichtig nicht gewesen sein… Hm… Egal.

      Trotzdem, sie fühlte sich außen vor – wieder einmal. So erging es ihr in letzter Zeit ständig. Sie war ja nicht blöd! Es war offensichtlich, dass ihr Chef sie permanent wie Luft behandelte oder gleich nach besten Kräften mobbte. Er wollte sie loswerden, das war ihr schon länger klar. Einzig die Wertschätzung, die der Herausgeber ihr entgegenbrachte, gab ihr Rückhalt, der kannte ihre journalistischen Qualitäten, während ihr Chefredakteur sich von den erotischen Qualitäten dieser Schlampe Vivian buchstäblich um den Verstand bringen ließ. Dass Vivian scharf auf ihren Job war, wusste im Prinzip jeder. Und auch, dass der Chef scharf auf Vivian war. Und dass Vivian mit dem Chef seit einer Weile ins Bett hüpfte sowieso. Ein offenes Geheimnis. Interne Liebeleien, denen sie schlicht im Wege stand. Nicht, dass sie etwas dagegen hätte – obwohl… wenn es nur darum ging, sich in der Firmenhierarchie von unten nach oben zu bumsen, um auf diese Weise Karriere zu machen, dann konnte sie es nicht leiden! An meinem losen Mundwerk will ich zwar arbeiten – aber das heißt ja nicht, dass ich nicht Klartext denken darf!

      Vor einer wie Vivian konnte sie einfach keinen Respekt haben. Sie habe sich hochgearbeitet, hieß es gemeinhin. Hochgearbeitet – na klar! Die Frage war nur, wie! Nach oben gebumst, das war auch noch untertrieben. Sie hatte im Erdgeschoss angefangen, damals noch als kleine Praktikantin, und kein Stockwerk und keine Chance ausgelassen. Nun saß sie in der obersten Etage von Blueball News. Hier saß der Chefredakteur, hier hatten die wichtigsten Ressorts ihren Platz und die besten Ressortleiter und wichtigsten Redakteure auch. Diese Anordnung war vor ein paar Jahren auf Balders Mist gewachsen und Spiegelbild seiner Arroganz. Natascha hatte sich hart nach oben gearbeitet, Vivian hingegen sich hart nach oben… Natascha!

      Komm runter! Du redest sonst nicht so, und die Tussi ist es nicht wert! Vivian entsprach so sehr dem Klischee der Betriebsschlampe, dass Natascha es nicht glauben würde, wüsste sie es nicht besser. War sie in einem klischeehaften Hollywood-Streifen gefangen?! Selbst der miese Chef kam darin vor: Balder.

      Sie lehnte sich in ihrem Bürostuhl zurück und nippte nachdenklich an ihrem Kaffee. Das eigentliche Problem war ein anderes. Balder hatte Natascha fortwährend angebaggert und war richtig penetrant gewesen. Doch er hatte immer darauf geachtet, dass es nicht offensichtlich war und sein Image sauber blieb. So richtig bei Balder verkackt hatte sie es nämlich erst, seit sie auch auf der Weihnachtsfeier letztes Jahr nicht auf seine Anmache angesprungen und – anders als Vivian kurze Zeit später – auch nach ein paar Gläschen zu viel nicht mit ihm in die Kiste gesprungen war. An dem Abend war das Ganze zum Höhepunkt gekommen – nur nicht zu dem, den er im Sinn hatte… Wie könnte sie auch! Der Kerl sah zwar gut aus, war finanziell gutgestellt, bestens vernetzt und einflussreich. Doch er war ein Widerling – zumindest nach Nataschas Geschmack. Geschmäcker waren ja bekanntlich verschieden. Seit diesem Event stand Natascha nun auf seiner Abschussliste.

      Dieser geile Bock! Wenn es so weitergeht, kostet mich sein verletztes Ego noch meinen Job! Wie in Trance starrte sie auf den Monitor. Sie würde zu gern wissen, um was es bei dem Meeting gegangen war. Was war so wichtig gewesen, dass es nicht hatte warten können, und gleichzeitig so banal, dass man es nicht für nötig erachtet hatte, sie im Nachgang einzuweihen? Es ging schließlich um ihr Ressort!

      Nataschas Smartphone riss sie aus ihren Gedanken. Gleichzeitig poppte ein kleiner Briefumschlag auf ihrem Monitor auf. Eine Mail. Absender war der Mann, der auf der Liste der Mistkerle in ihrem Leben auf Platz zwei rangierte, wenn auch mit meilenweitem Abstand zu ihrem Ex: Klaus Balder, ihr Chefredakteur.

      Sie ahnte nichts Gutes. Derzeit stand sie in der Redaktion extrem unter Druck. Nachdem sie die Mail gelesen hatte, wünschte sie sich, sie hätte die drei Kamikaze-Taucher von ihrem letzten Tauchgang dazu gebracht, bei ihrer nächsten Mission Balder ins Visier zu nehmen… Nataschas offensichtlich bereits chronische Wut hatte ein neues Ziel: Balder. Sie las die Zeilen noch einmal und konnte nicht glauben, was er ihr geschrieben hatte:

      Hallo Natascha,

      in unserer gestrigen Sitzung sind wir zu dem Entschluss gekommen, »Die Augenöffner« einzustampfen. Wir wollen der zuletzt von Flops gebeutelten Rubrik allerdings noch eine letzte Chance geben. Liefern Sie uns einen Burner, etwas, das die Leser mitreißt! Ein Thema, das wir über mindestens vier Folgen ausschlachten und mit dem wir die Reichweite von Blueball News wieder dorthin katapultieren können, wo sie war, als Ihr Vorgänger noch verantwortlicher Redakteur war. Schaffen Sie das? Ich hoffe es! Ansonsten müssten wir uns zum Quartalsende ernsthaft über Ihre Zukunft unterhalten. Ich muss es leider so deutlich zum Ausdruck bringen. Lassen Sie es nicht so weit kommen! Ich zähle auf Sie, Sie packen das! Überlegen Sie sich was, packen Sie ein heißes Eisen an, etwas, das die Menschen bewegt und am Puls der Zeit ist. Und machen Sie etwas daraus, und das schnell! Nehmen Sie die Sache selbst in die Hand, überlassen Sie es nicht Ihrem Team. Back to the roots, Natascha! Zeigen Sie, dass Sie es noch immer können, besser als alle anderen. Zeigen Sie, dass Sie zu Recht das Ressort in den Händen haben. Lassen Sie sich von Ihren Redakteuren unterstützen, aber nehmen Sie das Projekt selbst in die Hand – somit gibt es hinterher auch keine Entschuldigung, kein Versagen der anderen, nur das Ihrige. Aber Sie werden nicht versagen.

      Wenn doch, haben wir ein Problem, Natascha. Ein großes Problem. Das ist mein Ernst. Und Ihre Chance. Die hoffentlich nötige Motivation für Sie… Ich gebe Ihnen eine Woche, um sich auf ein Reportage-Thema festzulegen. Und weitere vier Wochen, um zu recherchieren und die Reportage zu schreiben. Vermasseln Sie es nicht! Und Natascha: konzentrieren Sie sich endlich wieder auf Ihren Job, dann wird auch etwas daraus…! Wir sehen uns nach meinem Urlaub. Bis dann…

      Gruß Klaus Balder

      Fassungslos starrte Natascha auf den Bildschirm. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Hatte sich denn alles gegen sie verschworen? Nach einem Augenblick voller Resignation fasste sie einen Entschluss. Die Augenöffner, das war ihre Rubrik, und sie würde sie sich nicht wegnehmen lassen! Sie würde Balder die Augen öffnen – und den Lesern gleich mit. Sie würde ihm die Stirn bieten! Und sie wusste, mit welchem Thema sie das tun würde: die Verrohung der Gesellschaft, das Thema, das sie regelrecht zu verfolgen schien. Vielleicht sollte es so sein?! Sie schnappte sich einen Notizblock und einen Stift und schrieb auf:

      Mangelndes Einvernehmen unter den Menschen – Empathie- und Rücksichtslosigkeit – Übervorteilen, Ausboten, Ausstechen der Anderen – für das Erreichen eigener Ziele über Leichen gehen, und das oft auch real – Hartherzigkeit und Selbstsucht, wohin


Скачать книгу