Strike Out für die Liebe. Paris Sanders
auch." Das von einer Frau, die sich als Mary vorgestellt hatte. Mary war mindestens Mitte fünfzig, wenn nicht noch älter. Warum sie sich so ein Survival-Training antat, war mir ein Rätsel.
"Hier, ich habe genug für alle." Ich verteilte meinen Vorrat und kam mir dabei vor, als würde ich an eine Horde verhungerter Kinder Schokolade ausgeben.
Big Bear und Black Panther standen abseits, die Arme vor der Brust verschränkt. Beide hatten ein Pokerface drauf, mit dem sie an einem Spieltisch Millionen verdienen könnten.
Ich hielt Sam den letzten Riegel hin, nur um meinen guten Willen zu zeigen. Große Überraschung. Die Ice Queen schüttelte den Kopf.
"Dann eben nicht." Mit zwei Bissen hatte ich das Teil verschlungen und reihte mich hinter ihr ein. Während wir weiter den kaum wahrnehmbaren Pfad entlangstapften, ärgerte ich mich über die Aktion. Eine Woche, in der ich mich von Pflanzen ernähren würde. Okay, mit viel Glück stand vielleicht auch mal ein Kaninchen oder Fisch auf dem Speiseplan. Falls wir etwas fingen. Bei dem Gedanken an ein Kaninchen, das wir selbst häuten müssten, drehte sich mir der Magen um. Dann eben Fisch. Ich war schon zum Angeln gewesen. Ein- oder zweimal in meinem Leben. Gefangen hatte ich nie etwas, aber einen Fisch könnte ich töten und dann essen. Da war ich mir ziemlich sicher. Mein Blick fiel auf die Fünfzigjährige, die ein paar Schritte von mir entfernt durch den Wald marschierte. Jede Wette, die Frau war Veganerin. Sobald wir ein Tier nur hungrig ansahen, kam von der ein Protest. Im Kopf rechnete ich aus, wie viel Gewicht ich in einer Woche verlieren würde. Mindestens sechs Kilo. Je nach körperlicher Belastung auch mehr. Verdammt!
Ein Ast schlug mir ins Gesicht. Die Ice Queen hatte ihn zurückschnellen lassen. Ein Fluch lag mir auf den Lippen, aber ich schluckte ihn hinunter. Die Genugtuung würde ich ihr nicht geben.
Sam duckte sich unter dem nächsten Gewächs durch, das in ihrem Weg hing. Dann richtete sie sich auf. Zack. Der Zweig knallte mir gegen die Brust.
"Kannst du besser aufpassen?", zischte ich.
"Tut mir leid. Ich dachte, du wärst weiter zurückgefallen. Deine Kondition ist sicherlich nicht die Beste, nachdem du kaum noch Sport treibst." Ihre Stimme klang zuckersüß.
"Ich bin in Topform. Sobald ich wieder spielen darf, wirst du dir deine kleinen Äuglein reiben."
"Träum weiter."
Der nächste Ast sauste mir entgegen. Dieses Mal war ich vorbereitet und trat einen Schritt zur Seite.
"Wir sind ein Team", erinnerte ich sie. "Das bedeutet, wir sollen aufeinander aufpassen."
"Danke, ich brauche dich nicht. Das schaffe ich auch allein."
"Du bist ganz schön feindlich", sagte ich zu ihrem Rücken. "Ich dachte, wir sind hier, um herauszufinden, was für tolle, liebevolle Menschen wir sind."
"Ich weiß schon, was für ein Mensch du bist, und 'toll' oder 'liebevoll' sind nicht die Adjektive, mit denen ich dich beschreiben würde."
"Ach, wie denn dann?" Allmählich wurde ich wütend. Mit zwei großen Schritten war ich neben ihr. "Ich versuche es wenigstens."
"Haha." Ohne mich anzusehen, beschleunigte sie ihre Schritte.
Prima! Sie wollte nicht mit mir reden? Kein Problem. Ich konnte die Klappe halten.
"Dämliche Zicke", knurrte ich.
"Was war das?"
"Nichts. Ich habe nur 'dämliche Zecke' gesagt. Die Biester gibt’s hier überall." Ich drängte mich an ihr vorbei. "Was dagegen, wenn ich die Führung übernehme? Du weißt ja, der Schwächere soll vorneweg gehen."
"Oh, du gibst also zu, dass du konditionell am Ende bist."
"Nein. Das ist nur Taktik. Wenn ich vor dir bin, muss ich dich nicht sehen." Ich lief gegen einen der tiefhängenden Zweige und ließ ihn zurückschnellen. Ein unterdrückter Fluch verriet mir, dass ich getroffen hatte.
4
Sam
Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen wir auf einer Lichtung an. Durch die Bäume drang fahles Licht, das dem ovalen Platz eine schummrige, düstere Atmosphäre verlieh. Irgendwo hinter all den Blättern und Zweigen ließ sich die Sonne erahnen. Bald würde sie untergehen.
Ich unterdrückte ein Zittern. Hier gab es bestimmt jede Menge wilde Tiere. Bären, Berglöwen, Wölfe. Alles Gefahren, von denen man in einer Großstadt verschont blieb und die in der einsetzenden Dämmerung bedrohlicher wirkten.
"Wie toll", rief einer der anderen Teilnehmer. Der Typ in den dunkelgrünen Cargohosen mit der passenden Weste. Ich hatte seinen Namen vergessen, sobald die Vorstellungsrunde beendet war. Irgendwie fand ich es gut, dass jemand Enthusiasmus zeigte, vor allem, weil er mir vollkommen abging. Das Einzige, was ich jetzt toll fände, wäre mein Bett in meiner New Yorker Wohnung. Das hier dagegen fand ich einfach nur schrecklich.
"Ja, es ist wunderschön", stimmte Mary zu. Obwohl sie mindestens fünfzig Jahre alt sein musste, sah sie nicht so aus, als hätte ihr der Marsch besonders viel ausgemacht. Und nicht nur darum beneidete ich sie. Warum konnte ich mich nicht freuen? Warum fand ich die Natur nicht auch wunderschön?
Es lag nicht nur daran, dass ich mit Andrew hier war. Nein, es lag an mir. Ich war ein Stadtmensch. Die Natur jagte mir Angst ein. Trotzdem riss ich vorsichtig den Blick vom Boden los und schaute mich um. Vielleicht konnte ich mich ja doch ein wenig für meine Umgebung begeistern.
Die Lichtung war grasbewachsen, auf allen Seiten von Bäumen umgeben. Ich konnte das Rauschen eines Baches hören, was wohl der Grund war, weshalb wir hier unser Lager aufschlagen würden. Ich seufzte. Es hatte keinen Zweck. Es war beeindruckend, all das Grün um uns herum. Aber die Nacht würde schrecklich werden. So viel war jetzt schon sicher. Auf dem harten Boden schlafen, ohne Schlafsack oder auch nur ein Dach über dem Kopf? Genau meine Vorstellung von der Hölle.
Big Bear klatschte in die Hände. Der Mann grinste, er sah aus, als habe er eine kostenlose Reise in ein Luxushotel in der Südsee gewonnen. Für ihn war das Alles ganz offensichtlich ein riesiger Spaß.
"Setzt euch." Er deutete auf die Mitte der Lichtung. "Wir besprechen jetzt, was zu tun ist, und wer welche Aufgaben in den jeweiligen Teams übernimmt."
Gehorsam ließen sich alle in einem Kreis nieder. Ich neben Andrew, dessen Anwesenheit mir unangenehm bewusst war. Seine Knie berührten mich fast. Er war mir viel zu nah. Auch wenn es nicht seine Schuld war, wir saßen alle dicht beieinander. Mary auf meiner linken Seite befand sich mindestens genauso nah bei mir wie Andrew. Ich konnte ihn riechen! Schweiß vermischt mit dem Duft seines Aftershaves. Eine Mischung, die überraschend gut roch. Nach Mann, harter Arbeit und ...
"Ich möchte, dass eines klar ist", unterbrach Big Bear meine Gedanken. "Wir sind hier in der Wildnis. Das ist kein Familienausflug auf den Campingplatz und auch keine Vergnügungsreise. Die Natur ist unerbittlich. Sie verzeiht keine Fehler. Weshalb du mit mir mitkommen wirst", er zeigte auf Andrew. "Wir werden die Verpackung deiner Müsliriegel vergraben, und zwar mindestens einen Kilometer vom Camp entfernt. Bären haben extrem gute Nasen."
"Oh?", sagte Mary. "Bären? Es gibt hier Bären?" Sie blickte panisch um sich, als würde jeden Augenblick ein Grizzly aus dem Unterholz brechen. Mir ging es ähnlich. Mein Pulsschlag beschleunigte sich, ich schluckte, in dem Versuch, die aufsteigende Panik zu unterdrücken.
"Es besteht kein Grund zur Panik", sagte Big Bear. "Hier gibt es nur Braunbären. Sie sind nicht so aggressiv wie Grizzlys und meiden normalerweise die Nähe von Menschen. Es sei denn, sie werden von Essensgerüchen angezogen." Zehn Augenpaare richteten sich auf Andrew. "Deshalb werden wir die Verpackungen vergraben."
"Sind die denn biologisch abbaubar?" Die Frage kam von dem Typen in Grün. Ich verdrehte die Augen. Auch ich war gegen Umweltverschmutzung, aber in diesem Fall? Was mich betraf, war es vollkommen egal, ob das Zeug hundert oder tausend Jahre brauchte, bis es abgebaut war.