Kinderärztin Dr. Martens Classic 9 – Arztroman. Britta Frey

Kinderärztin Dr. Martens Classic 9 – Arztroman - Britta Frey


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      Mit einem Blick erfaßte Opa Fritz die Situation und lief zum Telefon zurück. Er rief in der Klinik Birkenhain an und schilderte möglichst kurz und präzise, was sich soeben ereignet hatte. Man versprach, sofort den Krankenwagen zu schicken und gab ihm Anweisungen, was man mit Katy tun sollte, um ihre Schmerzen ein wenig zu lindern und ihr Erste Hilfe zukommen zu lassen.

      Kein Mensch hätte Opa Fritz diese Geschwindigkeit zugetraut. Er war wie der Wind zurück in der Küche, entriß dem immer noch fassungslosen Peter Büchner das schreiende Kind und rannte mit Katy auf den Armen ins Bad und hielt sie unter die kalte Dusche. Er sah nach hinten auf Peter Büchner, der ihn hilflos ansah, und forderte ihn auf, für warmen Tee zu sorgen und ihm ein frisches Bettlaken zu geben. Wortlos tat Peter Büchner alles, was Opa Fritz ihm auftrug.

      Nachdem der alte Mann Katy fast zehn Minuten unter die kalte Dusche gehalten hatte, zog er sie aus, wickelte sie in das Bettlaken und in die beiden Wolldecken aus weicher Kaschmirwolle, die auf der Couch lagen und legte Katy nieder, schob ihr ein paar Kissen unter die Füße, damit sie hochgelagert wurden, und flößte ihr den Tee ein, den Peter zubereitet und ein wenig gekühlt hatte.

      »Da kommt der Krankenwagen, endlich«, seufzte Peter und sah auf Katy, die teilnahmslos wirkte. Zwei Männer mit einer Trage erschienen, wickelten Katy in wärmeisolierende Alu-Folie und brachten sie auf dem schnellsten Weg in die Klinik.

      Peter lief schon hinaus zu seinem Wagen. Er würde hinter dem Krankenwagen herfahren und ebenfalls die Klinik Birkenhain aufsuchen, um seinem Elflein nahe sein zu können.

      Er war immer noch völlig verstört und wußte nicht, wieso das hatte geschehen können. Seine Katy, seine kleine, lebhafte Katy, die jetzt so unmenschliche Schmerzen ausstehen mußte!

      Opa Fritz blieb allein zurück und machte sich daran, die Küche sauberzumachen, damit Peter Büchner, wenn er aus der Klinik heimkam, nicht schließlich noch über die erkaltete, fettige Brühe stolperte, ausglitt und sich ein Bein brach.

      »Welch ein Unglück«, murmelte der alte Mann dabei vor sich hin. »Welch ein schlimmes, schlimmes Unglück. Und ausgerechnet die Kleine mußte es treffen.«

      Er fand alles so schrecklich ungerecht und sagte sich immer wieder, daß er viel lieber an Katys Stelle gewesen wäre. Er war schließlich ein alter Mann, der kaum zu etwas nutze war, während Katy ihr ganzes Leben doch noch vor sich hatte.

      Aber leider kann man sich nicht aussuchen, wen es trifft. Und vielleicht ist das auch gut so…

      *

      In der Notaufnahme wartete schon Dr. Hanna Martens. Man hatte ihr nur gesagt, daß ein Kind mit schweren Verbrühungen eingeliefert wurde. Kay, ihr Bruder, würde später kommen, wenn es notwendig wurde. Zuerst einmal wollte sie sehen, wie schwer das Kind verletzt war. Irgend jemand hatte ihr gesagt, es handle sich um die kleine Tochter des berühmten Kriminalschriftstellers Peter Büchner, von dem sie nur gehört hatte, daß er ganz in der Nähe ein bemerkenswertes Anwesen besaß, auf dem er mit Frau und Kind sehr zurückgezogen lebte.

      Der Krankenwagen kam zurück. Hanna beugte sich über das Kind und sah in das kleine, friedlich wirkende Gesicht, dessen Haut wie blasser Marmor wirkte. Ihre Augen waren geschlossen. Lange, dunkle Wimpern lagen auf den zarten Wangen. Nur Katys schneller, hastiger Atem ließ erkennen, daß noch Leben in ihr war.

      Geschwind wickelte Hanna sie mit Hilfe Schwester Christinas aus. Christina hatte eigentlich dienstfrei, denn sie hatte heute morgen bei Dr. Kay Martens im OP gearbeitet. Aber sie hatte völlig vergessen, daß sie dienstfrei hatte, als sie das Kind erblickte. Sie hielt unwillkürlich den Atem an, als Hanna Katy ausgewickelt hatte. Katys Brust und Unterleib wiesen schwerste Verbrühungen auf, die Oberschenkel mittelschwere Verbrühungen. Die Haut wellte sich, aufgedunsen und weißgrau und blasig. Die Haut war so tief zerstört, daß auch die Schmerznerven abgetötet waren.

      Ein schwerer Kreislaufschock drohte. Es mußte unbedingt augenblicklich etwas getan werden, damit nicht noch die Nieren versagten oder ein Hirn-Ödem entstand.

      Katy wurde auf die Kinder-Intensiv-Station gebracht. Da wurde sie an einen Beatmer und eine Infusionspumpe angeschlossen. Blutersatz, Traubenzucker, Hormone und Vitamine rannen durch Schläuche in ihre Adern. Tetanus- und Penicillin-Injektionen folgten.

      Katy ließ alles apathisch mit sich geschehen. Ihr Bewußtsein war getrübt. Dann und wann öffnete sie die Augen. Man hatte ihr vorsorglich eine Kinnstütze angelegt, damit sie ihren verbrühten Körper nicht sehen konnte, der doch sehr entstellt wirkte.

      Hanna Martens hatte ihr keinen Verband angelegt. Nur eine Salbe bedeckte die verbrühte Haut. Man hatte sie auch nicht zugedeckt. Nur trockene Luft, auf zwanzig Grad erwärmt, umgab sie.

      Dr. Hanna Martens erhoffte sich durch diese »Open-Air-Behandlung« Vorteile für den geschwächten Kinderkörper. Und das waren Schmerzlinderung, Fiebersenkung, Vermeidung eitriger Entzündungen und Schonung der noch gesunden Haut.

      Hanna atmete auf, als sie Katy noch einmal betrachtete. Das war alles, was man im Augenblick für das Kind tun konnte, wußte sie.

      Aber noch konnte sie keine Ruhepause einlegen, denn man hatte ihr berichtet, daß Peter Büchner da sei, daß er schrecklich aufgeregt wirkte und so, als habe er selbst ärztliche Behandlung nötig. Hanna seufzte tief auf und machte sich auf den Weg in den kleinen Warteraum vor dem ambulanten Verbandszimmer.

      Peter Büchner saß da, hatte die Ellbogen auf die Knie gestützt und das Gesicht in die Hände gelegt. Entweder hatte er Hannas Eintritt nicht bemerkt, oder er verschloß sich gewaltsam, aus Furcht, man könnte ihm eine schlimme Nachricht bringen.

      Schweigend ließ sich Hanna neben ihm nieder und betrachtete sein dunkles Haar, das sich im Nacken ringelte. Es war wirklich ein besonders gutaussehender Mann, mußte sie zugeben.

      Endlich legte sie ihm sacht die Hand auf den Arm und sagte freundlich: »Wir haben alles für Ihre kleine Tochter getan, was im Augenblick zu tun ist, Herr Büchner.«

      »Was kann ich für Katy tun? Darf ich sie sehen?«

      »Jetzt lieber noch nicht. Ich möchte, daß sie völlig ruhig gehalten wird. Sie liegt auf der Intensiv-Station und ist noch nicht außer Lebensgefahr. In zwei Tagen können wir mehr sagen. Wenn sie die beiden nächsten Tage übersteht, können wir uns die nächsten Schritte überlegen.«

      »Lieber Himmel! Und dabei wußte sie, daß sie es nicht durfte. Ich war nur schnell am Telefon. Und da ist es geschehen. Sie hat sich einen Hocker an den Herd gezogen und im Fallen den Topf mit der heißen Hühnerbrühe mit sich gerissen.«

      »Ja, so etwas geht bei Kindern so rasend schnell, daß man sich fragt, wie es überhaupt hat passieren können.« Hanna schenkte ihm einen mitfühlenden Blick. Peter sah sie an, als erwarte er von ihren Lippen die Entscheidung über Leben und Tod.

      »Wird sie es überleben, Frau Dr. Martens?« flüsterte er, als fürchtete er sich davor, diese Frage laut auszusprechen.

      »Kinder sind zäher, als man annehmen sollte. Ich vergleiche sie immer mit kleinen Katzen. Sie haben keine Ahnung, wie verbissen Kinder kämpfen können, ohne es zu spüren. Katy wird ums Überleben kämpfen und uns so unbewußt die beste Hilfe geben, die wir uns nur wünschen können. Verstehen Sie, was ich damit sagen will, Herr Büchner?« erkundigte sich Hanna freundlich und sah Peter fest an. Er erwiderte ihren Blick und neigte dann den Kopf.

      »Ja«, sagte er mit sonderbar rauh klingender Stimme. »Ich verstehe, was Sie damit sagen wollen. Ich verstehe aber auch, daß Sie vermeiden, mir eine bindende Antwort zu geben.«

      »Das tue ich allerdings«, gab Hanna unumwunden zu. »Ich kann Ihnen keine Garantien geben. Das kann ich frühestens in zwei Tagen tun, wenn auch nicht sonderlich gern. Aber ich sage mir auch immer, daß noch Hoffnung ist, solange ein Mensch atmet. Und Katy atmet doch, Herr Büchner.«

      »Ich weiß wirklich nicht, ob ich mich jetzt getröstet fühlen soll oder nicht«, murmelte er unglücklich. Er tat ihr schrecklich leid. Da legte sie die Hand auf seinen Arm und sagte ruhig: »Das beste, was Sie jetzt tun können, Herr Büchner, ist, heimzufahren


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