Kinderärztin Dr. Martens Classic 9 – Arztroman. Britta Frey
daran gewöhnt. Ich würde sicher sofort einschlafen und nicht wach werden, wenn das Telefon geht und vielleicht die Klinik mir sagen will, daß sich etwas an Katys Befinden geändert hat.«
»Sie können sich darauf verlassen, daß wir Sie nicht anrufen werden. Jemand ist dauernd um Katy, Herr Büchner. Sie ist nicht für eine einzige Sekunde unbeaufsichtigt. Sie können sich darauf verlassen, daß niemand von uns Sie anrufen wird. Deshalb sollten Sie das Schlafmittel wirklich nehmen. Ich fürchte, Sie brauchen in den nächsten beiden Tagen noch sehr viel Kraft. Und Schlaf schafft Kraft, das weiß jedes Kind.«
»Was kann im schlimmsten Fall noch mit Katy geschehen?« wollte Peter wissen und sah Hanna scharf an. Er machte den Eindruck eines Menschen, der es lieber hat, wenn er weiß, was ihn noch erwartet. Hanna schaute nachdenklich vor sich hin, bevor sie bedächtig antwortete: »Das kann keiner jetzt so genau sagen, Herr Büchner. Wir werden alles tun, um Folgeschäden zu vermeiden.«
»Was wären das für Folgeschäden? Bitte, sagen Sie mir, was im schlimmsten Fall sein könnte, damit ich mich damit vertraut machen kann!« bat er noch einmal. Aber Hanna schüttelte den Kopf und sagte energisch: »O nein, Herr Büchner, so haben wir nicht gewettet. Ganz davon abgesehen, daß das kein Thema ist, weiß man ja auch noch nicht, was sein könnte. Ich werde Ihnen jetzt ein Schlafmittel mitgeben. Sie werden es nehmen und sich dann zu Bett legen, damit Sie morgen ausgeschlafen sind.«
Hanna erhob sich und ging zur Tür. Bevor sie hinausging, blieb sie stehen und wandte sich noch einmal zu Peter um. »Sie können sich wirklich darauf verlassen, Herr Büchner, daß hier alles für Katy getan wird, was man in diesem Fall für das Kind tun kann.«
»Wenn ich davon nicht überzeugt wäre, Frau Dr. Martens, würde ich jetzt nicht heimfahren und das Schlafmittel nehmen, das Sie mir mitgeben werden.«
»Na also, so ist es recht, so will ich Sie sehen«, sagte Hanna, lächelte und nickte ihm aufmunternd zu, ehe sie den Warteraum verließ. Schon wenig später war sie zurück, gab ihm zwei Tabletten und sagte ruhig: »Versuchen Sie, mit einer auszukommen, Herr Büchner. Nur, wenn Sie merken, daß Sie nicht einschlafen können, sollten Sie die zweite auch nehmen.«
»Danke. Ich danke Ihnen, Frau Dr. Martens, für alles, was Sie bisher getan haben und in Zukunft noch tun werden. Ich bin fest davon überzeugt, daß Sie Katy wieder gesund machen können.«
Damit ging er davon. Hanna stand da und schaute ihm nach. Er machte den Eindruck eines Menschen, der seinen Kummer bei einem anderen gut aufgehoben weiß.
Ich wollte, ich könnte so zuversichtlich sein, dachte Hanna besorgt und machte sich auf den Weg zur Intensiv-Station, wo Katy Büchner lag. Hanna ahnte, daß Katy ihnen allen noch viel Sorgen bereiten würde.
*
Zwei Tage und zwei Nächte kämpfte man in der Kinderklinik Birkenhain um das Leben Katy Büchners, die die meiste Zeit nur vor sich hin dämmerte. Zuerst drohte ein schwerer Kreislaufschock. Aber damit hatte man gerechnet. Hanna Martens hatte dafür gesorgt, daß Katy rund um die Uhr beobachtet wurde, noch zusätzlich zu den Computern, an die das Kind angeschlossen war. Man konnte dem Kreislaufschock rechtzeitig entgegentreten und ihn sozusagen abblocken. Dann kam das gefürchtete Nierenversagen. Aber auch das meisterte Hanna, weil sie darauf vorbereitet gewesen war. Nur, weil sie anordnete, daß Katy an einen zusätzlichen Tropf gehängt wurde, der den zarten Kinderkörper entwässern sollte, wurde ein drohendes Hirn-Ödem vermieden. Davor hatten sich Hanna und ihre Kollegen am meisten gefürchtet. Nach einem Hirn-Ödem, wenn es erst einmal aufgetreten war, blieben meistens Dauerschäden zurück.
Kay, der sich mit Hanna um Katy kümmerte, sah sie einmal von der Seite her an und fragte: »Woher kommt es, daß du ein besonderes Interesse an diesem Kind hast, Hanna?«
»Keine Ahnung. Ich weiß es nicht. Ich sehe nur, wie übel es ihr geht und habe schreckliches Mitleid. Ich habe auch Mitleid mit dem Vater. Er scheint sich an dem bedauerlichen Unfall die Schuld zu geben. Und ich habe den Eindruck, als könnte er mit seinen Schuldgefühlen nicht fertigwerden.«
Kay warf seiner Schwester einen prüfenden Blick zu, den sie sofort verstand. Sie lachte kurz auf und schüttelte den Kopf.
»Du bist auf dem Holzweg, Kay. Mein Interesse an Peter Büchner ist nicht größer als das eines anderen Menschen, der mit ihm zusammenkommt. Schließlich ist er ein bekannter und erfolgreicher Krimi-Schriftsteller. Ich habe schon viele seiner Bücher gelesen und hatte keine Ahnung, daß er in unserer Umgebung lebt. Am meisten interessiert mich natürlich seine kleine Tochter Katy, die wie du weißt, arm dran ist mit ihren Verbrühungen. Ich möchte dem Kind gern helfen, weil ich damit dem Vater helfen kann, sich von seinen Schuldgefühlen freizumachen. Aber das ist auch alles. Sieh mich also nicht so mißtrauisch an. Zum Verlieben gehört mehr als Mitgefühl, mein Lieber. Das solltest du eigentlich ebensogut wissen wie ich.«
»Schon gut. Ich habe nur gesehen, daß du dich um dieses Kind ganz besonders bemühst. Aber ich hätte es wissen sollen. Es heißt, daß Peter Büchner eine besonders glückliche Ehe führt. Das weiß ich übrigens von Oberschwester Elli. Sie ist ein richtiger Büchner-Fan und weiß natürlich alles über ihn.«
»Das hätte ich mir eigentlich denken können.« Hanna lächelte. Elli Gaus war eine Oberschwester, wie es keine zweite gab. Sie schien ständig überall zu sein, wußte über alles Bescheid, kannte jeden ihrer kleinen Patienten, die sie alle in ihr warmes, überquellendes Herz geschlossen hatte, und fand immer Zeit, sich den neuesten Klatsch aus Ögela und der Umgebung anzuhören. Es schien, als gebe es nichts, was Oberschwester Elli entgehen könnte. Und doch war sie, wie Kay einmal lachend versichert hatte, die Seele der Klinik Birkenhain. Ohne sie konnte die Klinik einfach nicht bestehen.
»Wie steht es mit Katy? Wie weit ist sie?« wollte Kay wissen und nahm einen ordentlichen Schluck Kaffee, den Hanna ihm vorgesetzt hatte. Sie hielten sich in der kleinen Teeküche auf der Station auf. Schwester Laurie, die gerade Dienst hatte, sorgte dafür, daß ständig frischer, heißer Kaffee da war, denn sie wußte, daß alle Ärzte zwischendurch gern eine Tasse Kaffee tranken.
Hanna stieß die Luft seufzend aus und legte ihre Hände um die Kaffeetasse, als sei ihr kalt und als müsse sie sich die Hände wärmen.
»Wie kann man das mit aller Bestimmtheit jetzt schon sagen? Ich werde mit Büchner sprechen müssen. Wahrscheinlich sollten wir in den nächsten Tagen mit den Transplantationen beginnen.«
»Das ist auch meine Ansicht. Je früher, desto besser. Die Hauptsache ist, der Kreislauf ist wieder stabil, so daß wir die Kleine beruhigt in Narkose versetzen können.«
»Oh, deswegen können wir ganz beruhigt sein. Sie wird es durchhalten.«
»Ja, Kinder sind die besten Kämpfer, wenn es darum geht, möglichst bald wieder gesund zu werden«, sagte Kay zufrieden und sprach damit das aus, was Hanna vor nicht allzu langer Zeit zu Peter Büchner gesagt hatte.
»Wer spricht mit ihm? Du oder ich?« wollte Kay wissen und trank den letzten Kaffee aus. Hanna seufzte abermals und sagte bereitwillig: »Gut, ich mach’s. Ich habe ja auch bisher mit ihm gesprochen. Da kennt er mich am besten. Vielleicht nimmt er es viel besser auf, als wir jetzt noch glauben.«
»Und wenn nicht, weißt du ja, wo du mich finden kannst. Gemeinsam werden wir es schon schaffen, ihn zu beruhigen, was?«
»Keine Sorge.« Hanna lachte leise und strich sich eine blonde Haarsträhne nach hinten. »Ich bin sicher, daß ich schon allein mit ihm fertig werde.«
»Das glaube ich dir sogar unbesehen.« Kay klopfte ihr lächelnd auf die Wange und wandte sich um. Er wollte noch einmal nach einem kleinen Jungen schauen, der einen bösen Trümmerbruch am linken Bein hatte, den er heute morgen operiert hatte. Kay hoffte, daß das Bein heilen würde und der kleine Jochen es später nicht nachzuziehen brauchte…
*
Als Peter Büchner am nächsten Vormittag in die Klinik kam, durfte er Katy sehen. Hanna hatte ihn zu sich gebeten und ihm gesagt, daß er Katy nun sehen dürfte. Sie sagte noch warnend: »Ich muß Sie davor warnen, Herr Büchner, Ihre Erwartungen zu hoch zu schrauben. Katy ist sehr krank, und das sieht