2. Hideo Yokoyama
Drohung stand nicht länger unausgesprochen im Raum. Er hatte die Faust auf den Schreibtisch niederdonnern lassen, als er erfuhr, dass Futawatari Osakabe noch nicht hatte stellen können. Auf dem Tisch hatte ein Stapel frisch gedruckter Visitenkarten gelegen, Kudos Name und daneben der Titel, Vorstandsvorsitzender. Shirota war in die Druckerei gelaufen und hatte sie abgefangen, bevor sie zur Kommunalen Sicherheit ausgeliefert wurden.
Kudo schien von dem Problem noch nicht unterrichtet zu sein.
Hören Sie zu, es ist mir egal, wie Sie es anstellen. Sie schnappen ihn sich, heute noch, und Sie befehlen ihm, den Posten zu räumen.
Futawatari sah auf seine Uhr. Kurz nach halb sechs, Zeit für einen nächsten Versuch. Er sprang auf die Füße und ging wieder zurück. Es wurde schon dunkel, aber in keinem der zwei Stockwerke brannte Licht.
Dass Osakabe nicht in seinem Büro war, wusste er schon; er hatte mehrmals in der Stiftung angerufen, während er im Park auf und ab ging – Anrufe, die ihm nichts eingebracht hatten außer Miyagis wiederholten Entschuldigungen.
Dann eben später noch mal.
Er wandte sich zum Gehen.
»Kann ich Ihnen behilflich sein?«
Er drehte sich um und erblickte eine Dame um die sechzig, die mit einer Einkaufstasche in der Hand um die Ecke kam. Ihr Auftreten hatte etwas Würdevoll-Bescheidenes, das er wiedererkannte. Viele Polizeibeamte hatten Ehefrauen, die mit jeder Beförderung ihrer Männer anmaßender wurden. Die durchgängige Zurückhaltung von Osakabes Frau war in diesem Zusammenhang oft gerühmt worden. Futawatari war ihr einmal vorgestellt worden, bei einem Umtrunk anlässlich Osakabes Abschied von der Polizei und zur Feier der neuen Aufgaben, die ihn erwarteten. Anscheinend erinnerte sie sich an ihn.
»Sie sind in der Verwaltungsabteilung, nicht wahr?« Unaufdringlich musterte sie sein Gesicht. »Kommen Sie doch herein und warten dort auf ihn. Mein Mann ist sicher bald zurück.«
»Danke, aber es ist nichts Dringendes. Ich kann später wiederkommen.«
»Keine solchen Förmlichkeiten. Sonst schimpft er bloß mit mir«, beharrte sie. Futawatari überlegte kurz, ob sie das ernst meinen konnte, ob Osakabe ihr wirklich Vorhaltungen machen würde.
Warum nicht? Ich habe schließlich nichts zu verbergen.
Futawatari nannte seinen Namen und Dienstgrad und verneigte sich vorschriftsmäßig. Er übertrat die Schwelle mit einem Gefühl, als beträte er eine feindliche Festung. Osakabes Frau führte ihn in einen Tatami-Raum mit einem shintōistischen Hausaltar. Auf einem Streifen geweihten Papiers stand der Name der lokalen Gottheit zu lesen, die hier verehrt wurde. Der Altar war liebevoll gepflegt, das schlichte Holz makellos und mit frischen, leuchtenden Zweigen geschmückt. Auf einer breiten Holztafel über der Tür prangte in kalligrafisch gestalteten Schriftzeichen der Spruch: »Gedenkt auch in Friedenszeiten des Krieges.« Ein Bilderrahmen an der Wand heischte Respekt für die Gebote der Polizeiarbeit: »1. Diene mit Stolz und Demut.«
Es konnte keinen Zweifel geben, Osakabe war Polizeibeamter durch und durch.
Auf dem kleinen Schreibtisch an der Wand stand ein Telefon, ganz simpel, ohne Zugeständnisse an die neumodische Technik. Der helle Fleck daneben, wo die Sonne das Holz nicht nachgedunkelt hatte, musste der ehemalige Platz des Diensttelefons sein. Futawatari versuchte sich vorzustellen, wie oft der Apparat Osakabe im Zuge einer Ermittlung wohl herausgeklingelt haben mochte.
Er seufzte leise.
Osakabes Frau hatte sich nicht wieder blicken lassen, seit sie ihm seinen Tee gebracht hatte. Unter normalen Umständen hätte man dieses Verhalten als kühl empfinden können, aber in seiner jetzigen Verfassung war er geradezu dankbar dafür. Während Osakabes aktiver Dienstzeit musste sie Besucher aller Art empfangen haben. Sie hatte sicher sofort gemerkt, dass dies keine Höflichkeitsaufwartung war.
Wie gehe ich es am besten an?
Futawatari hatte fast eine halbe Stunde dagesessen und kontrolliert ein- und ausgeatmet, als er draußen eine Autotür zuklappen hörte. Wie aufs Stichwort kam Osakabes Frau ins Zimmer und teilte ihm mit, dass ihr Mann heimgekommen war. Futawatari straffte den Rücken und schloss die Knie zu der vorgeschriebenen Sitzhaltung.
Jetzt nicht kneifen.
Aber Osakabe kam nicht. Stattdessen erschien wieder seine Frau.
»Entschuldigen Sie, ich glaube, er macht irgendetwas am Auto.«
Sie reckte den Hals und sah über eine der Hecken. Futawatari erhob sich und spähte ebenfalls hinaus. Auf dem Weg, von den Zweigen nur halb verdeckt, stand Michio Osakabe. Die kantigen Züge, die tief liegenden Augen, das strenge Profil – der Ausdruck war genau der, den er kannte: emotionslos, ein Zwischending zwischen Lächeln und Stirnrunzeln. Futawatari wich unwillkürlich einen Schritt zurück.
Es war, als stünde vor ihm ein Raubtier.
Osakabe erteilte Anweisungen an seinen Fahrer, von dem nur das grau melierte Haar zu sehen war. Nach den Geräuschen zu urteilen, wechselten sie die Reifen.
Verdammt.
Es ging nicht an, dass er noch länger hier drinsaß und wartete; nun, da er wusste, dass Osakabe draußen war, wäre es unhöflich von ihm, im Besuchsraum zu bleiben und Tee zu trinken. Er neigte den Kopf vor Osakabes Frau und ging zur Haustür – das Willensduell, so befürchtete er, hatte er schon jetzt verloren. Am Ende des Flurs bemerkte er in einem abgedunkelten Zimmer eine Ansammlung traditionell verpackter Hochzeitsgeschenke. Das konnte nur eines bedeuten: Osakabes jüngste Tochter heiratete. Das hieß, er musste dafür sorgen, dass die Polizei ein Geschenk übersandte und die Abteilungsdirektoren Grußworte verfassten, die auf dem Empfang verlesen würden. Ungeachtet der momentanen Situation schweiften seine Gedanken kurzzeitig zu diesen Formfragen ab.
Die schwarze Limousine war mit einem Wagenheber aufgebockt, der Chauffeur setzte gerade einen Schraubenschlüssel an. Osakabe stand wie ein Fels daneben.
Gebieterisch.
Es kam nicht oft vor, dass ein solches Wort so exakt auf einen Menschen passte.
»Ich bin froh, Sie zu treffen, Herr Direktor.«
Futawatari blieb stehen und verbeugte sich aus der Hüfte. Herr Direktor. Er hatte es ganz automatisch gesagt. Alles andere wäre ihm unehrerbietig vorgekommen. Und mit »Herr Vorsitzender« konnte er den Mann schon deshalb nicht ansprechen, weil er das als Bestätigung seiner derzeitigen Position auffassen konnte. Schließlich war Futawatari hier, um seinen Rücktritt zu erzwingen.
Das unbewegte Gesicht wandte sich ihm zu.
»Ich dachte mir schon, dass Sie es sein würden.«
Es war der Ton, den Osakabe ausnahmslos Leuten vorbehielt, die im Rang unter ihm standen. Futawatari war dreißig gewesen, als er sich zum ersten Mal so hatte anreden lassen müssen. An den Respekt gewöhnt, mit dem man ihn in der Verwaltungsabteilung behandelte, hatte er das damals als Schlag ins Gesicht empfunden. Doch was ihn jetzt traf, war weniger der Ton, den er erstmals seit Jahren wieder hörte. Ich dachte mir schon, dass Sie es sein würden. Das waren seine Worte gewesen. Was hatte er sich schon gedacht? Dass die Oberen auf Tauchstation gehen würden. Dass sie Futawatari schicken würden, der in seinem zweiten Jahr als Polizeioberrat aus Osakabes Sicht nicht mehr als ein Küken war.
Er hatte es alles vorhergesehen.
Osakabe kehrte ihm schon wieder den Rücken, wie zum Zeichen, dass die Unterredung beendet war. Der Chauffeur war dabei, die Winterreifen aufzuziehen. Sie würden morgen um sechs Uhr aufbrechen, zu einem Abladeplatz tief in den Bergen, wo noch Schnee lag. Mehr hatte Futawatari den Äußerungen der beiden nicht entnehmen können. Er wusste sich keinen besseren Rat, als einen Schritt zurückzutreten und der Arbeit zuzuschauen. Auf dem Rücksitz des Wagens sah er einen hohen Stapel Straßenkarten. Die Anzahl erschien ihm übertrieben, sie erinnerte ihn an die Wandkarte in Osakabes Büro.
Osakabe wartete, bis die Reifen fertig montiert waren und