Hagemanns Welt. Mathias Meyer-Langenhoff
Er grinste immer noch, verärgert verweigerte ich ihm das Trinkgeld und verließ den Wagen. In der Tanzschule ging es zu wie in einem Bienenkorb. Vierzehnjährige, grell geschminkt, ausnahmslos mit kleinen, glitzernden Täschchen bewaffnet, die dekorativ über schmalen, nackten Schultern baumelten, trugen kurze Cocktailkleider oder lange Ballroben mit Schlitzen und freiem Rücken und standen mit ihren Eltern mal aufgeregt tuschelnd, mal verlegen schweigend in kleinen Gruppen zusammen. Erst jetzt verstand ich, warum Elsa und Emma sich schon seit Tagen mit der Garderobenfrage beschäftigten. Auch die Jungen hatten sich verkleidet. In ihren feinen, fast immer zu großen Anzügen, mehr oder weniger pickelig in den Gesichtern und mühsam um einen kühnen, oder wie sie wahrscheinlich sagen würden, coolen Blick ringend, gaben sie vor, Männer zu sein. Alles wirkte ein bisschen wie ein Wiener Opernball für Arme.
„Da vorne ist Thorben!“ Emma zeigte auf eine Gruppe von Jungen, die aussahen wie geklont. Einer davon musste Emmas Tanzpartner sein.
„Bitte Papa, nur kurz Guten Tag sagen und dann gehst du mit Mama sofort an den Elterntisch, ja?“ Flehender Blick.
Ich wollte antworten, kam aber nicht dazu.
„Natürlich macht Papa das“, verkündete meine Gattin entschieden. Ich nickte ergeben, es schien Emma allerdings nicht besonders zu beruhigen.
„Hi, alles klar?“ Einer der jungen Klone, vermutlich Thorben, küsste meine errötende Tochter erstaunlich galant auf die Wange und überreichte ihr einen Blumenstrauß. Lieblos zusammengesteckte Biomasse, die ich nicht mal meiner Schwiegermutter zum achtzigsten Geburtstag schenken würde. Emma bedankte sich, als habe sie etwas unglaublich Originelles bekommen. Dabei hielten alle Mädchen ein solches Ungetüm in den Händen, es schien hauptsächlich aus Trockenblumen, altem Dörrobst und undefinierbaren, vermutlich allergenen Gräsern zu bestehen. Irgendwann unter Kaiser Wilhelm musste die Entwicklung der Blumenbindekunst zum Erliegen gekommen sein. Thorben bedankte sich artig für die Konfektschachtel, hätte ihr aber für meinen Geschmack ruhig mehr Beachtung schenken können, schließlich handelte es sich um eine nicht ganz billige Trüffelauswahl.
„Das ist Thorben, seine Eltern, mein Vater, meine Mutter.“
Emma war angespannt, als einfühlsamer Vater riskierte ich zur Auflockerung einen Scherz. „Nein, nein, ich bin Emmas Mutter und das ist ihr Vater.“
Ich zeigte grinsend auf Elsa, Stöhnen und Augenverdrehen bei ihr und Emma, ich ließ mich jedoch nicht entmutigen.
„Du bist also das Tanzwunder? Emma hat viel von dir erzählt. Wisst ihr eigentlich, wie zu meiner Zeit ein Tanzkurs ablief?“
„Nein Papa, das will auch niemand wissen, geh bitte an den Elterntisch!“
Sie war nun nicht mehr angespannt, sondern verärgert. Immerhin hatte ich einen Stimmungswechsel bewirkt, aber Elsa trat mir dennoch kräftig auf den Fuß, ich hatte verstanden. Es gelang mir gerade noch „Dann viel Spaß, Kinder, und bis gleich!“, zu rufen, ehe sie mich in den Ballsaal zu unserem Tisch zog.
„Reiß dich zusammen, Hagen!“, zischte meine Gattin, bevor wir uns setzten und auf den Einzug der Gladiatoren warteten. Die Tanz-Eleven sollten nämlich vor den stolzen Augen ihrer Erziehungsberechtigten in langer Reihe in den Saal defilieren.
„Liebe Eltern, Freunde und Verwandte, es ist soweit, auf diesen Abend haben Sie sicher schon lange gewartet!“
„Ich nicht“, flüsterte ich einem neben mir sitzenden Vater zu, „oder hatten Sie Lust auf diese Veranstaltung? Tanzschule ist doch nichts anderes als die gesellschaftliche Domestizierung der Jugend, finden Sie nicht?“
Er taxierte mich mit einem abschätzigen Blick und rückte von mir ab. „Ignorant“, dachte ich und lauschte weiter Herrn Lobsang, dem Tanzlehrer. Er war in meinem Alter, mit einem tadellosen Körper gesegnet, kein Gramm Fett zu viel, und in einen eleganten Smoking gehüllt. Dazu trug er ein rotes Seidentuch in der Sakkotasche und trippelte vor dem Mikrofon wie ein nervöses Rennpferd hin und her.
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