Hagemanns Welt. Mathias Meyer-Langenhoff

Hagemanns Welt - Mathias Meyer-Langenhoff


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und Schaum vor dem Mund suchte ich Blickkontakt zu meinen Zuhörern, aber sie wichen mir aus, peinlich berührt sahen sie aus dem Fenster oder ins Leere. Frau Winkelstein schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, zornbebend schnellte sie hoch. „Mit dieser Turmfrisur eine wackere Leistung“, schoss es mir durch den Kopf.

      „Wenn der Herr Hagemann meint, er habe die Weisheit mit Löffeln gefressen, wenn er meint, er könne uns hier als Rabeneltern hinstellen, ist er schiefgewickelt. Sie, mein Herr, übertreiben maßlos. Sie wollen ein verantwortungsvoller Vater sein? Es geht Ihnen doch nur darum, an Herrn Oppeln-Möhlmann und uns ihr Mütchen zu kühlen, aber wir lassen uns von Ihnen nicht wie Deppen behandeln. Ich fordere sie auf, den Klassenraum zu verlassen, ihr Verhalten ist eines Vaters unwürdig! Was glauben Sie, was Ihre Tochter über Sie denken wird?“

      Auch sie konnte mit den Augen rollen, und Schaum vor dem Mund sah nicht wirklich vorteilhaft aus. Wenn ich ehrlich sein soll, nötigte mir ihr Frontalangriff sogar Respekt ab, während der laue Herr Oppeln-Möhlmann sich beinahe hinter seinem Lehrerpult zu verstecken schien.

      „Ich, ich … glaube, auf diesem Niveau sollten wir nicht diskutieren“, stotterte er.

      „Wenn Sie das Gackern von Frau Winkelstein niveauvoll finden, bitte schön“, schleuderte ich ihm entgegen, „ich jedenfalls habe hier nichts mehr verloren. Gleich morgen werde ich meine Tochter von dieser Anstalt abmelden, darauf können Sie Gift nehmen!“

      Empört schnaufend sprang ich auf und rauschte aus dem Klassenraum. Die kühle Luft auf dem Schulhof tat mir gut, langsam bekam ich wieder Kontakt zur Realität, mir dämmerte, was ich angerichtet hatte. Noch am gleichen Abend verlangte Elsa, mich bei Carlotta-Sophies Mutter und Herrn Oppeln-Möhlmann zu entschuldigen. Greta sprach drei Wochen nicht mehr mit mir, die Schule besuchte sie natürlich weiter. Vorläufig war ich von allen Elternabenden befreit, immerhin.

      *

      Shoppen oder Bummeln?

      Zwar finden meine Töchter mich peinlich, sie scheinen mich jedoch noch nicht ganz aufgegeben zu haben, denn gelegentlich versuchen sie, wie sie es nennen, mein Outfit zu stylen. Während ich normalerweise weitgehend Luft für sie bin, lassen sie sich dann sogar in Gegenwart ihrer Altersgenossen dazu herab, mit mir mehr als Ein-Wort-Sätze zu wechseln. Natürlich weiß ich, warum sie mich so freundlich behandeln, denn sie wollen mit mir einkaufen gehen, um ganz nebenbei auch den eigenen Kleiderschrank aufzurüsten.

      Aber mir ist es recht, ich genieße diese berechnende Vorzugsbehandlung sogar. „Carpe diem“, denke ich dann eigenartig beschwingt. Sie nennen diese Art einzukaufen übrigens Bummeln, weil sie glauben, mir Shoppen nicht zumuten zu können. Bislang blieb meinem kleinen Männerhirn der Unterschied zwischen diesen beiden Varianten des weiblichen Stadtbesuchs allerdings verborgen.

      Bummeln geht so: Wir setzen uns ins Auto, fahren in die Stadt, kämpfen mit anderen Menschen um einen Parkplatz, steigen aus und gehen von Bekleidungsgeschäft zu Bekleidungsgeschäft. Wenn ich erschöpft bin, darf ich mich auf einen Hocker setzen und beobachten, wie meine Töchter wie Schmetterlinge von Kleiderständer zu Kleiderständer flattern ...

      Und das ist Shoppen: Wir setzen uns ins Auto, fahren in die Stadt, kämpfen mit anderen Menschen um einen Parkplatz, steigen aus und gehen von Bekleidungsgeschäft zu Bekleidungsgeschäft. Wenn ich erschöpft bin, darf ich mich auf einen Hocker setzen und beobachten, wie meine Töchter wie Schmetterlinge von Kleiderständer zu Kleiderständer flattern ...

      Beide Varianten kosten mich ein Vermögen, aber etwas Neues zum Anziehen erwerbe ich weder bei der einen noch bei der anderen Veranstaltung. Ganz im Gegensatz zu meinen Töchtern. Kurz vor Ostern hielten sie den Zeitpunkt offensichtlich für gekommen, mich auf den Stadtbesuch einzustimmen. Es wurde ernst, Schluss mit lustig, die Vorzugsbehandlung durch meine Töchter ging unwiderruflich ihrem Ende entgegen, denn nach dem Einkauf würden sie mit mir erfahrungsgemäß wieder rauer umspringen.

      „Papa, warum trägst du das ganze Jahr eigentlich dieselben Klamotten?“, wollte Dorle wissen. „Im Frühjahr könntest du ruhig mal was Farbenfrohes anziehen. Wir gehen bummeln und suchen dir was Schönes aus, ja?“

      „Wenn ihr meint“, antwortete ich zögernd. Überraschend schaltete sich jedoch meine Frau ein.

      „Eine nette Idee von euch, Kinder, aber ich gehe mit, sonst kauft ihr wieder die Geschäfte leer und Papa hat nicht mal ein neues Unterhemd.“

      Ich fühlte eine gewisse Anspannung. Einkaufen in Begleitung meiner Frau und meiner Töchter? Spontan kam mir der Gedanke, in einem der nächsten Romane diese Situation als Ausgangsplot für ein Familiendrama zu nehmen.

      „Also, Hagen, was hältst du davon? Anschließend gehen wir zusammen essen“, schlug Elsa vor.

      Böses ahnend wagte ich einen Gegenvorschlag: „Und wenn ich alleine einkaufen gehe, und wir uns anschließend im Restaurant treffen?“

      Meine Frau schüttelte den Kopf. „Das wäre schade, Schatz, schließlich haben wir schon lange nichts mehr gemeinsam unternommen.“

      Wir fuhren mit dem Wagen in die Stadt.

      „Wo willst du parken?“, wollte Elsa wissen.

      „In der Krugstraße? Dann sind wir sofort in der City.“

      „Da ist doch alles besetzt, fahr lieber …“

      „Mama, Papa, nicht schon wieder!“, rief von hinten ein dreistimmiger Töchterchor, unser Lieblingsstreitthema rabiat unterbindend, ich brach ab und fuhr ohne weiteren Widerspruch zum Seeuferparkplatz. Dort umkreiste ich raubvogelgleich die stehenden Fahrzeuge, bereit, sofort in eine freiwerdende Lücke zu stoßen.

      „Hagen, fahr langsam, da vorne geht jemand mit einem Schlüssel!“, rief Elsa, die eine Art Parkplatz-Sensor besitzt. Dank ihr haben wir noch nie länger als drei Minuten suchen müssen. Im Schritttempo und mit gebührendem Abstand folgte ich unserem Mann, bis er stehen blieb. Er schloss die Tür seines Fahrzeuges auf und startete den Motor.

      „Jetzt fahr zu, Hagen!“, rief meine Frau.

      Uns gegenüber, auf der anderen Seite des Parkplatzes, stand ein schwarzes Sportcoupé. Wegen der getönten Scheiben konnte ich den Fahrer nicht erkennen, aber er schien genauso auf die freiwerdende Lücke aus wie wir. „Der will doch wohl nicht?“, knurrte Elsa. Ich zuckte mit den Schultern, ich wusste, er wollte, plötzlich schoss das Coupé los, und ehe ich reagieren konnte, hatten wir das Nachsehen.

      „Ich fass es nicht, so eine Unverschämtheit!“, schimpfte meine Frau und sprang aus dem Wagen, um den Fahrer zur Rede zu stellen.

      „Was fällt Ihnen ein? Das ist unser Parkplatz!“ Wütend trommelte sie gegen sein Seitenfenster. Die Tür öffnete sich und dem Gefährt entstieg ein Mann, der, nachdem er sich vollständig aufgerichtet hatte, zu einem Zweimeterriesen heranwuchs, Typ Möbelpacker, nicht Typ Bohnenstange. Grinsend und Kaugummi kauend sah er durch seine verspiegelte Sonnenbrille auf Elsa hinab.

      „Papa, du musst was tun!“, flüsterte Dorle.

      „Das stimmt, nur was? Der Kerl sieht aus wie ein Zuhälter, bestimmt verhält er sich auch so.“

      Mir fiel ein Roman von Egon Erwin Kisch mit dem schönen Titel Der Mädchenhirt ein. Kisch beschreibt darin die Zuhälterkarriere eines Mannes, der am Ende sein verpfuschtes Leben bereut. Ich befürchtete, unser Sportcoupéfahrer hatte dieses Stadium noch längst nicht erreicht. Insofern erschien es mir ziemlich unsinnig, an seine Moral zu appellieren, nur verfügte ich leider über keine anderen Kampfmethoden.

      „Papa, jetzt tu was!“ Energisch erinnerte mich Greta daran, dass ich noch immer im Auto saß. Mit weichen Knien stieg ich aus.

      „Es tut mir leid, gnä’ Frau“, hörte ich den Zuhälter sagen, „ich war in Gedanken. Selbstverständlich überlasse ich Ihnen den Parkplatz.“ Er sprach mit typischem Wiener Schmäh, ich wusste, der Dialekt würde Elsa dahinschmelzen lassen, sie liebte Wien. Deshalb


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