Hagemanns Welt. Mathias Meyer-Langenhoff
haben, aber er ist Schriftsteller. Hagen, das ist Professor Wanschitz, er arbeitet an der Universität in Wien und ist Wirtschaftswissenschaftler.“
Wenn heute so Wirtschaftswissenschaftler aussehen, woran erkennt man dann einen Zuhälter? Mit finsterem Blick deutete ich ein Kopfnicken an, wenn er wirklich kein Zuhälter war, konnte ich das riskieren.
„Sie wirken a bisserl grantig“, grinste der Kleiderschrank. „Nicht böse sein wegen des Parkplatzes, Niederlagen machen stark. Das tut uns Männern gut, glauben Sie mir.“
„So, so“, antwortete ich.
Wanschitz lachte. „Entschuldigens, Herr Hagemann, das war a Scherz. Kommen’s, ich lad Sie auf einen Braunen ein.“
„Auf einen was?“
Wanschitz nahm seine Sonnenbrille ab. Offene, und wie ich mir eingestehen musste, sogar freundliche Augen sahen mich an. Also doch ein Mädchenhirte?
„I mein oan Kaffee“, lächelte er.
Ich wies sein Angebot ab. „Wir müssen einkaufen, außerdem suchen wir noch einen Parkplatz.“
Er zuckte mit den Schultern und verabschiedete sich, Elsa beglückte er mit einem Handkuss, mich bedachte er mit einem Schraubstock-Händedruck, nur unter Mühen gelang es mir, einen Schmerzensschrei zu unterdrücken. „Nicht gerade die feine Wiener Schule“, dachte ich, „also doch ein Zuhälter.“
„Ein beeindruckender Mann“, meinte Elsa.
„Wie man’s nimmt“, murrte ich, „er hat mir fast die Hand gebrochen.“
„Meine hat er pfleglich behandelt“, lächelte sie versonnen.
Nachdem auch wir einen Parkplatz gefunden hatten, begannen wir mit dem Bummeln – oder war es Shoppen? Ich sah den weiteren Herausforderungen jedenfalls mit banger Erwartung entgegen. Zuerst betraten wir das nach Auskunft meiner Frauen absolut beste Herrenkonfektionsgeschäft der Stadt. Hier einzukaufen sei ein Muss beziehungsweise ein Must, wie meine Töchter betonten. Mir war dieses Etablissement völlig unbekannt. Eine Verkäuferin mittleren Alters eilte uns entgegen.
„Möchten Sie sich nur umsehen oder kann ich Ihnen helfen?“
Noch bevor ich Luft holen konnte, sagte Elsa: „Wir suchen für meinen Mann Oberhemden aus der neuen Frühjahrskollektion.“
„In welcher Größe?“, wollte die Verkäuferin wissen.
„Vier…“ Weiter kam ich nicht.
„Vierundfünfzig, XL, Kragenweite dreiunddreißig“, antwortete Elsa.
„Welche Farbe?“, fragte die Verkäuferin.
„Er liebt rot“, stellte Emma fest.
Schlagartig fühlte ich mich in meine Kindheit zurückversetzt, Einkäufe mit meiner Mutter, wahrhaft traumatische Erlebnisse. Ich beschloss, endlich einen Psychoanalytiker aufzusuchen. Was sollte ich jetzt tun? Ich besaß zwei Optionen: Um meine Ehre kämpfen oder mich unterwerfen. Kämpfen wäre mühsam und würdevoll, sich zu unterwerfen verlockend und unehrenhaft, deshalb entschied ich mich für den Kampf und erhob lauter als notwendig meine Stimme.
„Stopp! Ich bin siebenundvierzig Jahre alt, demnach mündig und erwachsen, so könnt ihr nicht mit mir umgehen!“
Elsa und die Verkäuferin sahen mich überrascht an, meine Töchter glucksten.
„Wir wollen doch nur dein Bestes“, beschwichtigte meine Frau.
„Mein Bestes bekommt ihr aber nicht“, entgegnete ich mit rauer Stimme. „Ich hasse rot. Ihr rührt euch nicht vom Fleck!“, befahl ich meiner Familie. „Und Sie“, herrschte ich die Verkäuferin an, „Sie gehen mit mir in die andere Abteilung, ich will keine Hemden, sondern Hosen!“Beinahe niemand widersprach, eine unglaubliche Erfahrung, lediglich Elsa erhob noch einmal Einspruch: „Aber Schatz, das letzte Mal hast du anlässlich unserer Hochzeit ein neues Hemd gekauft!“
Mein energischer Blick brachte sie zum Schweigen. Innerhalb von fünf Minuten ließ ich mir zwei Jeans einpacken und probierte sie zum Missfallen meiner Frau nicht einmal an. Danach verkündete ich, meine Konsumwünsche seien befriedigt, nun dürfe es gerne um die Wünsche des weiblichen Teils der Familie gehen.
Für eine Weile von meinem unerwarteten Triumph zehrend, begleitete ich sie hocherhobenen Hauptes von Geschäft zu Geschäft, aber nach einer Stunde spürte ich erste Erschöpfungszustände. Immer öfter suchte ich mir einen Sitzplatz, meist in Gesellschaft von Geschlechts- und Leidensgenossen.
In einem besonders feinen Damenbekleidungsgeschäft kauerte neben mir ein junger Mann in einer Art Dämmerzustand, offenbar schon länger das Ende des Kaufrausches seiner Liebsten herbeisehnend. Gelegentlich sah sie nach ihm, vielleicht um festzustellen, ob er noch bei Bewusstsein war. Die Kontrollbesuche verband sie mit dem Vorführen diverser Kleidungsstücke und der immer gleichlautenden Frage: „Wie findest du dieses Kleid, diese Hose, diesen Rock …?“
Er bewegte kurz die Augenlider und beschränkte sich, einem stoischen Sprachminimalismus huldigend, auf Ein-Wort-Antworten.
Führte sie ihm ein grünes Kleid vor und fragte: „Wie findest du es? “, antwortete er: „Grün“, kam sie in einer blauen Hose und fragte: „Wie findest du sie?“, antwortete er: „Blau.“
Von der Präzision seiner Rückmeldungen war ich beeindruckt, sie weniger. „Wenn du so ein Gesicht ziehst, macht das Shoppen überhaupt keinen Spaß!“, giftete sie schließlich entnervt.
Nach einer weiteren Stunde, ich verspürte inzwischen einen triebhaften Hunger, sank ich erschöpft in das für Männer vorgesehene Sofa eines Schuhgeschäftes hernieder. Ich war entschlossen, nur dann wieder aufzustehen, wenn Elsa schriftlich zusicherte, in den nächsten dreißig Minuten mit mir das versprochene Restaurant aufzusuchen.
Nach kurzer Zeit taumelte ein mir nicht ganz unbekannter Wirtschaftswissenschaftler oder Zuhälter dem rettenden Sofa entgegen. Über und über mit Tragetaschen bepackt, wurde er von einer jungen Dame gestützt, bis er sich stöhnend auf das Kanapee fallen ließ.
Seine auf dem Parkplatz noch so kraftvolle und dynamische Ausstrahlung war einer jämmerlichen, ja beinahe armseligen Weinerlichkeit gewichen. „Grüß Gott, Herr Hagemann“, flüsterte er tonlos, „müssen’s auch immer noch einkaufen?“
„Ich muss nicht, ich kaufe gerne ein“, log ich. „Ihnen scheint es überhaupt nicht zu gefallen.“
Er nickte. „Ich besuche meine Verlobte, sie lebt hier. Wir sehen uns nur am Wochenende. Und wenn ich von Wien herüberkomme, hetzt sie mich immer durch die Stadt!“ Gequält sah er mich an, während ich aus den Augenwinkeln beobachtete, dass Elsa und die Kinder das Geschäft verließen.
„Sie sollten sich mit Ihrem männlichen Selbstverständnis auseinandersetzen“, grinste ich, „dann kann Einkaufen nämlich Spaß machen.“
Ich wuchtete mich aus dem Sofa und schleppte mich dem Ausgang entgegen, meine Familie war verschwunden. Erleichtert suchte ich das nächste Restaurant auf und beschloss, in Zukunft die Worte Bummeln und Shoppen aus meinem Wortschatz zu streichen. Einkaufen ist und bleibt eben einkaufen.
*
Abschlussball
„Heute müssen wir tanzen üben“, meinte Emma, „und zwar gleich nach dem Abendessen.“ Sie besuchte seit drei Monaten die Tanzschule und am Wochenende sollte der Abschlussball stattfinden. Ich zuckte zusammen, denn diesen Termin hatte ich aus meinem Bewusstsein gestrichen. Dorle grinste, in ihrer Klasse war Tanzen uncool.
„Auch wir beide müssen üben“, ermahnte mich Elsa.
„Aber wir sind doch schon ein gutes Team“, wehrte ich ab.
„Denkst du“, entgegnete sie und trat unter dem Tisch auf