Hagemanns Welt. Mathias Meyer-Langenhoff
habe ich eine Schulleiterin geheiratet, wenn du doch keine Ferien hast?“, stöhnte ich.
„Damit dir finanziell jemand den Rücken freihält“, stellte meine Frau ungerührt fest. „Und vergiss bitte nicht, dass ich dir drei schöne Töchter geboren habe.“
Sie waren schön, keine Frage, aber inzwischen befanden sich Emma, vierzehn, Greta, fünfzehn, und Dorle mit stolzen sechzehn, in einer schwierigen Lebensphase, von professionellen Verharmlosern gemeinhin Pubertät genannt. Alle drei hatten sich also im Laufe der Zeit von liebenswürdigen Kindern in Eltern fressende Ungeheuer verwandelt. Mir ist völlig schleierhaft, was in ihren Gehirnen vorgeht. Wäre Alzheimer nicht ein typisches Leiden alter Menschen, würde ich mir Sorgen machen, denn im Vergleich zu meinen Töchtern bin ich ein wahrer Gedächtniskünstler. Sie schließen niemals die Zimmertüren, verlegen mindestens zwei Mal am Tag ihren Fahrradschlüssel oder vergessen Zuhause regelmäßig ihr Schulfrühstück. Natürlich haben sie immer recht. Bin ich, was ich mir selten erlaube, anderer Meinung als sie, heißt es: „Das verstehst du nicht, Papa!“
Seit Kurzem nennen sie mich übrigens ihren „Erzeuger“ und sehen in mir eine Art fleischgewordene Peinlichkeit, sodass es noch schwieriger geworden ist, hier und da väterliche Autorität durchzusetzen. Meist reagieren sie dann mit heftigen Wutausbrüchen. Allerdings können sie sich wenig später wieder anschmiegen wie kleine Kätzchen, was mir, vorsichtig formuliert, ein hohes Maß an emotionaler Flexibilität abverlangt. Ein befreundeter Psychologe riet mir, all das mit Geduld zu ertragen, bis es von selbst wieder vergehe. Ein wahrer Witzbold, seine Kinder sind drei und fünf.
Die Anziehungskraft meiner Töchter für junge, männliche Wesen gleichen Alters ist übrigens außerordentlich stark, wahrscheinlich, weil die jungen Herren unter ähnlichen Gehirnveränderungen leiden wie sie, Ungeheuer ziehen sich eben gegenseitig an. Vor allem Dorle, die Älteste, verfügt über zahlreiche Verehrer, deren besonderes Kennzeichen ein mit viel Gel modellierter Pilzkopf im Stile der frühen Beatles ist. Noch verlassen die jungen Gockel zu nachtschlafender Zeit das Haus, aber ich fürchte den Morgen, an dem der erste mir meinen Bademantel streitig machen wird.
„Freust du dich gar nicht auf den Urlaub?“, fragte Emma. Mein sorgenvolles Gesicht war ihr nicht entgangen.
„Doch, doch“, antwortete ich schnell, „schade ist nur, dass Mama nicht mitfährt.“
„Wir sind ja bei dir“, tröstete mich Emma milde lächelnd.
Die Fahrt zum Hafen, eigentlich in knapp zwei Stunden zu bewältigen, verlief komplikationslos, wenn man von gewissen Kleinigkeiten absah. Zwei Mal verfuhren wir uns, Emma wurde während der Autofahrt schlecht, wir blieben fast eine Stunde im Stau stecken und verpassten selbstverständlich die Fähre.
„Wann kaufen wir endlich ein Navi, ist doch voll peinlich immer nach Karte zu fahren“, moserte Greta, unsere Familientechnikerin.
„Wir haben einen Navigator“, entgegnete ich vorsichtig, „aber der musste in der Schule noch etwas erledigen.“
Kollektives Augenverdrehen meiner Töchter, eine gymnastische Übung, die sie perfekt beherrschen. Wie immer signalisierten sie mir auf diese charmante Art, dass nur ich die Schuld an dem Desaster trug. Ich entschloss mich, den deutlichen Hinweis auf mein Versagen zu ignorieren, mich also nicht zu verteidigen, und einer friedlichen Ankunft auf der niederländischen Insel den Vorzug zu geben.
Mit zwei Stunden Verspätung klingelte ich erwartungsvoll an der Haustür unserer Vermieterin. Als sie öffnete, stand uns eine birnenförmig gewachsene, kräftig gebaute Dame mittleren Alters gegenüber. Sie erinnerte mich nicht nur wegen ihrer Körperform an den ehemaligen Bundeskanzler Kohl. Auch ihre Gesichtszüge schienen mir vergleichbar, zudem zierte ihre Nase eine schwarz eingefasste Brille, die der junge Kohl in seinen Tagen als Oppositionsführer im Bundestag auch getragen hatte; früher ein Kassengestell, heute topmodern. Weitere Gemeinsamkeiten mit dem Exkanzler konnte ich nicht feststellen, denn Mevrouw de Jong liebte offensichtlich Bonbonfarben und war von Kopf bis Fuß in Rosa gewandet. Ihre gewaltige Oberweite wurde von einer engen, ärmellosen Bluse bedeckt, dazu trug sie eine dreiviertellange Hose und zitronengelbe, glänzende Pumps. Das rabenschwarz gefärbte Haar hatte sie zu einer Art Vogelnest zusammengesteckt.
„Goede Middag“, begrüßte sie uns, „kommen Sie gleich mit, das Ferienhaus liegt in den Dünen.“
Sie stöckelte zu ihrem Wagen und wir fuhren hinter ihr her, bis wir fernab jeder Zivilisation an einer kleinen Hütte hielten. Nur mühsam von einem Rest Farbe zusammengehalten, schien sich die windschiefe Bretterbude ängstlich im Schatten einer großen Düne verbergen zu wollen.
„So, das ist ihr Reich“, lächelte Mevrouw de Jong und wies mit großer Geste auf das schmutzig grüne Etwas. „Sie werden sich hier bestimmt wohlfühlen.“
Die Tür klemmte, aber als sie ihre bestimmt nicht weniger als hundert Kilo Körpergewicht dagegen warf, sprang sie auf. Unserem Blick erschlossen sich unendliche Weiten: Auf optimistisch geschätzten zwanzig Quadratmetern war alles untergebracht, was der Luxus liebende Urlauber für sein Wohlbefinden benötigt. An der einen Wand standen drei Doppelstockbetten, das Schlafzimmer, wie die Vermieterin ohne jede Scham erklärte. Die gegenüberliegende Wand nannte sie Küche, immerhin ausgestattet mit einem Kühlschrank, einem zweiflammigen Gaskocher und einer Waschschüssel, ihrer Ansicht nach die Spüle. In der Mitte des Raumes befand sich schließlich ein kleiner Tisch, umgeben von sechs nicht sehr vertrauenerweckenden Stühlen. Ich wunderte mich, dass sie diese Hartz-IV-Sitzgruppe nicht als Esszimmer bezeichnete. Die gesamte Inneneinrichtung verströmte den Charme einer verkommenen Schrebergartenhütte mit Sperrmüllmöblierung.
„Es ist vielleicht ein bisschen klein, aber dafür sehr gemütlich“, sagte Mevrouw de Jong mit unschuldigem Lächeln. Während ich mich bei ihr bedankte, sah ich aus den Augenwinkeln, wie meinen Töchtern zunehmend die Züge entglitten. Nachdem die Vermieterin uns verlassen hatte, versuchte ich zu retten, was nicht zu retten war. „Hier ist es richtig romantisch, einfaches Wohnen in der Natur, so muss Urlaub sein“, rief ich fröhlich. Es war aussichtslos, Blitze schleudernd fixierten mich die glühenden Augenpaare dreier Raubkatzen, bereit, ihren Erzeuger mit pubertärer Aggressivität zu zerfleischen.
„Das ist wirklich ein voll cooles Häuschen, Papa.“
In Emmas Gesicht breitete sich zu meinem ungeheuren Erstaunen auf einmal ein entspanntes Lächeln aus, ihre Schwestern schienen genauso überrascht wie ich.
„Hast du sie nicht alle? In dieser Bruchbude willst du zwei Wochen Urlaub machen? Was ist denn, wenn es regnet?“, schnauzte Dorle sie an.
„Genau, wir haben ja nicht mal ein Badezimmer. Wo ist überhaupt das Klo?“, wollte Greta wissen. Für einen Moment war ich gerettet, die Aufmerksamkeit meiner Töchter galt jetzt nicht mehr mir, sondern der Suche nach dem doch so wichtigen Örtchen.
„Stimmt, das hat sie uns gar nicht gezeigt“, antwortete ich und sah mich um.
„Ist es das?“ Emma deutete auf eine kleine, kastanienrot gestrichene Holzkabine von der Größe einer Telefonzelle, etwas höher gelegen als unser Feriendomizil. Ohne Zögern näherte ich mich dem WC und warf mich mit Wucht gegen den Eingang, so wie unsere Vermietungswalküre es demonstriert hatte, aber im Gegensatz zur Haustür funktionierte die Toilettentür einwandfrei, sodass ich wie ein Geschoss hineindonnerte und mit den Knien schmerzhaft gegen die WC-Schüssel prallte.
„Papa, was machst du denn jetzt schon wieder? Kannst du nicht mal unfallfrei aufs Klo gehen?“, ätzte meine Älteste. Ich gab keine Antwort, sondern zog es vor, mitleidheischend zu stöhnen, während ich langsam wieder hinaustaumelte. Das Örtchen war nicht nur mit einem kleinen, aber feinen Handwaschbecken ausgestattet, sondern auch mit einem luxuriösen Echtholzhängeregal, auf dem aktuelle Zeitschriften und sogar gebundene Bücher lagen.
„Mevrouw de Jong setzt offenbar Prioritäten“, dachte ich, im Vergleich zu unserer Unterkunft hatte sie hier weder Kosten noch Mühen gescheut.
„Ich geh zum Strand, sonst krieg ich ’ne Krise“, fauchte Dorle, „ruf Mama an, sie soll sich