Die Vergütung von Betriebsräten. Martina Schlamp
Mandatsträger feststellen. Der Versuch einer Eingrenzung anhand vorgegebener Merkmale gestaltet sich schwierig. Allein beispielsweise die Eigenschaft eines großen Betriebes, etwa ab mehreren tausend Arbeitnehmern, bedeutet nicht, dass darin automatisch Betriebsräte überdurchschnittlich viel leisten (müssen) oder mehr Amtsaufgaben anfallen und somit „verberuflichte“ Betriebsräte zwingend existieren. Auch kann nicht pauschal bei voll freigestellten Betriebsräten im Gegensatz zu nur vorübergehend befreiten oder teilweise freigestellten Mandatsträgern auf eine qualitativ höhere Betriebsratstätigkeit geschlossen werden.299 Um nicht unangemessen über die gesetzliche Regelung hinauszugehen, müssen die Anforderungen vielmehr in jedem konkreten Fall einzeln beurteilt werden. Schließlich besitzen solche Fälle nach wie vor Ausnahmecharakter. Am besten gerecht wird man dem daher, wenn man eine Auslegung ausschließlich bei hinreichenden Anhaltspunkten für eine solche Professionalisierung oder Verberuflichung und nur für den konkreten Einzelfall vornimmt. Im Rahmen der Auslegung kann danach festgestellt werden, ob in der speziellen Konstellation eine Regelungslücke besteht und nur dann kann eine ausnahmsweise Einschränkung des Unentgeltlichkeitsgrundsatzes vorgenommen werden.
Zunächst müssen daher konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen einer solchen Fallgruppe bestehen, die eine andere Beurteilung und damit eine Auslegung im Einzelfall notwendig macht. Dabei ist zu betrachten, inwieweit eine „Verberuflichung“ bei dem jeweiligen Betriebsratsmitglied stattgefunden hat und wie weit der Professionalisierungsgrad bei ihm fortgeschritten ist. Anzeichen dafür können beispielsweise sein, dass ein Betriebsratsmitglied seit längerer Zeit für die Amtstätigkeit voll freigestellt ist und sich über Jahre hinweg ausschließlich anspruchsvollen Betriebsratsaufgaben widmet. Entscheidend ist, dass die Betriebsratsarbeit sich bei dem Einzelnen so weit entwickelt hat, dass sie mit einem eigenständigen Beruf vergleichbar ist und die Tätigkeit im Vergleich zu seiner früheren Arbeitstätigkeit sowie auch zu anderen Betriebsratsmitgliedern und vergleichbaren Arbeitnehmern im Betrieb deutlich anspruchsvoller zu bewerten und höher einzustufen ist. Relevant sind dabei vor allem besondere Qualifikations- und Leistungsgesichtspunkte und ob ein besonderer (Mehr-)Aufwand erforderlich ist. Dabei können auch sämtliche anderen Umstände, die für eine Professionalisierung des jeweiligen Betriebsratsmitgliedes sprechen, d.h. neben Tätigkeitsmerkmalen beispielsweise auch besondere persönliche und fachliche Kenntnisse und Fähigkeiten bis hin zu sonstigen Belastungen und Erschwernissen berücksichtigt werden, wenn sie bei dem einzelnen Betriebsratsmitglied offensichtlich besonders ins Gewicht fallen. Je weiter fortgeschritten die Professionalisierung und je höher die Anforderungen an das jeweilige Betriebsratsmitglied sind, umso eher ist ein besonderer Fall anzunehmen, der dann eine Auslegung und Anpassung des Gesetzes zugunsten der „professionellen“ Betriebsräte erforderlich macht. Sind weder die Aufgaben noch die Tätigkeit in zeitlicher oder quantitativer Hinsicht für den Mandatsträger deutlich erhöht, rechtfertigt dies nicht eine andere Beurteilung des Unentgeltlichkeitsgrundsatzes. Es handelt sich hier um spezielle Ausnahmefälle aufgrund besonderer Umstände, die nicht zu leichtfertig angenommen werden dürfen.
Auch wenn es keine pauschale Beurteilung ermöglicht, kann als wichtiges Kriterium oder Indiz aber auch die Unternehmensgröße mit in die Beurteilung einbezogen werden. Es lässt sich nicht abstreiten, dass vornehmlich in den großen Unternehmen und Betrieben solche „verberuflichten“ Betriebsräte bestehen.300 In kleineren, aber natürlich auch in manchen großen Unternehmen, zeigen sich derartige Erscheinungen wie „Berufsbetriebsräte“ nicht oder entwickeln sich dort nur sehr selten. Es wäre verfehlt, die Professionalisierung von Betriebsräten allein an diesem Merkmal festzumachen. Dennoch kann bzw. muss das Kriterium der Betriebsgröße im Hinblick auf die dort bestehenden komplexen Strukturen, insbesondere die hierarchischen Interessenvertretungsorganisation, Beachtung finden, weil dies ohne Zweifel Auswirkungen auf die Tätigkeit der Betriebsräte haben kann. Aus den einzelnen Positionen innerhalb des Betriebsratsgremiums ließen sich vergleichbare Rückschlüsse ziehen. Auch wenn eine solche Unterscheidung nach der Position innerhalb des Gremiums häufig abgelehnt wird,301 kann sie dennoch Aufschluss auf den häufig damit einhergehenden erhöhten zeitlichen und sachlichen Mehraufwand einzelner Mandatsträger – gerade im Fall eines Betriebsratsvorsitzenden – geben.
In diesem Zusammenhang könnte der durchgeführten Auslegung und Einschränkung des Unentgeltlichkeitsgrundsatzes auf Fälle „professionalisierter“ Betriebsräte entgegengehalten werden, dass diese auf teils „unsicheren“ Kriterien basiert und ihre Aussagekraft daher in Frage gestellt werden. Schließlich kann die Bestimmung der Ausnahme-Fallgruppe nicht generell erfolgen und sie wird überdies noch einseitig von dem Arbeitgeber vorgenommen. Das Gegenteil ist aber der Fall, weil nunmehr sämtliche Kriterien und Umstände bei der Vergütungsbemessung angemessen Berücksichtigung finden können. Es wird eine Auslegung vorgenommen, welche auf die seit Jahren gewandelten und auch die künftig sich weiter verändernden Umstände in der Praxis reagiert, indem sie alle relevanten Punkte mit einbezieht und diesen dabei je nach Ausprägung entsprechend Gewicht beimessen kann. Davon abgesehen erfolgt die Feststellung, ob ein solcher Ausnahmefall besteht, ausschließlich anhand von leistungs- oder aufwandsbezogenen Kriterien, die objektiv festgestellt werden können, nachvollziehbar sind und nicht von dem subjektiven Empfinden des Arbeitgebers oder Betriebsratsmitgliedes abhängen. Ein Anknüpfen an besondere Leistungsgesichtspunkte im Rahmen der Vergütung ist den Betrieben bei ihren Mitarbeitern ohnehin nicht fremd, sondern ein grundlegendes Prinzip. Daher müssen auch hier besondere Leistungen von Mandatsträgern – gerade wegen des deutlichen Wandels der Betriebsräte – berücksichtigt werden können. Eine breitere Akzeptanz könnte der Arbeitgeber mit der Einrichtung einer aus Vertretern der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite sowie Mitgliedern des Betriebsrates paritätisch besetzten Kommission erreichen, die das Vorliegen eines Ausnahmefalls beurteilt. Eine solche Vorgehensweise ist zwar de lege lata nicht vorgesehen, aber grundsätzlich möglich.302
Verbleiben bei der Beurteilung, ob es sich tatsächlich um einen Fall eines „verberuflichten“ Betriebsrates handelt, letztendlich Unklarheiten bzw. Zweifel, ist die Annahme eines solchen Ausnahmefalles abzulehnen.
C. Zusammenfassung
Das Betriebsratsamt ist nach dem derzeit geltenden Betriebsverfassungsgesetz in Deutschland als typisches Ehrenamt ausgestaltet und stellt keinen eigenständigen Beruf dar, wenngleich sich in der heutigen betrieblichen Praxis die Tendenz zu einer Verberuflichung des Amtes feststellen lässt. Die Vorschrift des § 37 Abs. 1 BetrVG legt mit dem Unentgeltlichkeitsgrundsatz außerdem ausdrücklich fest, dass für das Betriebsratsamt oder die Amtsführung keinerlei Entgelt gezahlt werden darf, auch nicht in mittelbarer oder versteckter Form. Unzulässig sind demnach nur Zahlungen an Mandatsträger mit Entgeltcharakter. Dagegen werden weder immaterielle Vorteile noch bloße Versprechen sowie (vertragliche) Vereinbarungen oder Leistungen durch außenstehende Dritte von dem Verbot des Entgeltes erfasst, sie können aber einen Verstoß gegen das Benachteiligungs- und Begünstigungsverbot des § 78 S. 2 BetrVG darstellen.
Grundsätzlich ist eine strenge Auslegung und Anwendung des Unentgeltlichkeitsgrundsatzes bereits wegen seines bedeutenden Schutzzwecks geboten. Ausnahmen hiervon sieht das Gesetz de lege lata nicht vor. Der Funktionswandel der Betriebsratstätigkeit und die damit einhergehende Professionalisierung der Betriebsräte dürfen allerdings bei der Anwendung des Unentgeltlichkeitsprinzips nicht länger unberücksichtigt bleiben und erfordern, einen gelockerten Maßstab anzulegen. Für die aufgrund des Wandels der Betriebsratsarbeit nachträglich herausgebildete Fallgruppe „professionalisierter“ bzw. „verberuflichter“ Betriebsräte ist daher eine objektivierte Auslegung des Unentgeltlichkeitsgrundsatzes des § 37 Abs. 1 BetrVG vorzunehmen, die sich nicht nur an dem Willen des historischen Gesetzgebers, sondern auch an fall- und zeitgemäßen Umständen zu orientieren hat. Während systematische und historische Betrachtungen nach dem Willen des Gesetzgebers verschiedene Deutungsmöglichkeiten zu der uneingeschränkten Geltung des Unentgeltlichkeitsprinzips für „professionelle“ Betriebsräte offen lassen, führt eine teleologische Auslegung zu dem Ergebnis, dass in besonders ausgeprägten Fällen der Verberuflichung von Mandatsträgern der Sinn und Zweck des Grundsatzes nicht mehr erreicht werden kann. In diesen Fällen liegt eine verdeckte Regelungslücke des Gesetzes vor, die anhand einer teleologischen Reduktion durch Einschränkung des Grundsatzes