Tatort Unterfranken. Tessa Korber

Tatort Unterfranken - Tessa Korber


Скачать книгу
Stichwort: Familie«, gab Klara zurück. »Was ist denn mit seiner Familie? Wieso kümmert die sich nicht um ihn?«

      »Was weiß denn ich! Und außerdem können wir das Thema jetzt beenden – Elias hat seine Unterkunft in der Brücke, und gut ist!«

      »Gut ist nur, wenn er nicht wiederkommt.«

      Nach einem eisigen Nachmittag feierten wir Versöhnung, legten Tangos von Raúl Berón auf und tanzten durch das kerzenerleuchtete Wohnzimmer. Bis es klingelte. Und ich die Tür öffnete. Elias konnte es schließlich nicht sein. Aber es war Elias. Nur noch für eine Nacht brauche er Quartier, sagte er. Die Brücke habe heute keinen Platz mehr für ihn gehabt. Doch er habe sich angemeldet, und morgen würden sie ihn aufnehmen, ganz sicher. Und morgen hätte er auch den Termin mit seinem Betreuer, wegen Job und Unterkunft und so, gleich um acht Uhr morgens, also seien wir ihn bald wieder los.

      »Hast du vielleicht noch ein Bier da?«

      Bier war da. Aber kein Kitt mehr, um den neuen Riss zwischen Klara und mir zu füllen.

      »Kann ich duschen?«

      »Bitte.«

      Das Wasser rauschte eine halbe Stunde lang.

      »Können wir nicht ein bisschen Karten spielen?«

      »Wir haben keine Karten da. Und außerdem können wir keine Kartenspiele«, blaffte Klara.

      Seine Antwort »Ich auch nicht« wäre bei einem anderen Menschen fast schon rührend gewesen. Nicht bei Elias. In Elias schienen sich mindestens ein Dutzend Kobolde fortwährend darum zu streiten, wer von ihnen an die Oberfläche ausbrechen darf. Wenn mehrere auf einmal siegten, führte er Selbstgespräche, aus denen ab und zu ein irres Kichern hervorbrach. Manchmal siegte auch keiner – dann war Elias eine erloschene Sonne, von der seine gesamte Umgebung aufgesaugt zu werden drohte, und seine stumme, lastende Anwesenheit fühlte sich an, als sänke man mit ihm zum Mittelpunkt der Erde hinab.

      »Wenn du es nicht fertigbringst, ihn rauszuschmeißen, gibt es nur eine Lösung«, sagte Klara in der Nacht. »Der muss wieder dahin zurück, wo er am besten aufgehoben ist – in den Knast.«

      Wie wir ihn dorthin kriegen sollten, blieb allerdings vorerst offen. Bei einem wie Elias brauchte es zwar mutmaßlich nicht viel, aber dennoch liefen wir mit jeder Idee Gefahr, selbst kriminell zu werden. Ihm Kokain unterschieben und die Polizei auf ihn ansetzen? Dazu hätten wir den Stoff erst einmal selber besorgen müssen. Einen Streit anzetteln, um ihn wegen eines neuen Körperverletzungsdelikts dranzukriegen? Da konnte Aussage gegen Aussage stehen. Vielleicht erledigte sich das Problem ja von selbst, wenn man ihn bei einem Delikt wie Schwarzfahren oder Ladendiebstahl erwischte.

      Am nächsten Tag lag Elias um acht noch auf dem Wohnzimmersofa.

      »Kein Bock zum Aufstehen.«

      »Du versemmelst gerade deinen Termin, du Idiot!«

      »Mir egal. Lass mich schlafen.«

      Schließlich kriegte ich ihn doch noch aus dem Bett. Nicht mehr rechtzeitig für seinen Termin. Aber so rechtzeitig, dass ich in die Musikschule aufbrechen und Klara sich ihrem Übersetzungsauftrag widmen konnte, ohne mit Elias allein zu sein.

      »Wäre ja auch noch schöner.«

      Dann war Elias weg. Und war doch nicht weg. Allein der Klingelton rief ihn immer wieder wach. Jedes düdelü-düdelü konnte Elias sein.

      »Wenn du ihn noch einmal reinlässt, geh ich«, hatte Klara verkündet.

      Jedes düdelü-düdelü lud die Atmosphäre weiter auf, vergrößerte die Risse zwischen uns und trieb uns in einen Kreislauf von Entfremdungen und Versöhnungen. Seit Elias schien es ohnehin stets nur noch im falschen Augenblick zu klingeln.

      »Können wir vielleicht mal ungestört ficken, verdammt noch mal?«, schrie ich einmal in die Sprechanlage. Kurze Stille. Dann eine Stimme mit hartem Akzent. »Paket für Ihre Nachbar. Kann ich bei Ihnen abgeben?«

      Ich verspürte in diesem Augenblick den Wunsch, Elias einfach umzubringen, wenn er je wieder bei uns auftauchte. Ihn einlassen und ihm sofort den nächstbesten Gegenstand auf dem Schädel zertrümmern.

      Der Januar verging, ohne dass Elias sich blicken ließ. Das heißt – einmal sah ich ihn Gott sei Dank noch rechtzeitig durchs Fenster der Bankfiliale in der Weißenburger Straße, als ich sie eben verlassen wollte; er ging vorüber, in ein Selbstgespräch verstrickt. Gepäck trug er keines bei sich, was ich als Hinweis deutete, dass er eine dauerhafte Bleibe gefunden hatte. Der frisch angebrochene Februar schob den Jahresbeginn in eine tiefere Schicht der Vergangenheit und verhieß eine neue eliasfreie Epoche.

      Sie dauerte bis zu jenem unseligen Freitagabend. Wir machten uns eben ausgehfertig. Freunde von Klara hatten angerufen, sie hätten zwei Karten fürs Kabarett im Hofgarten übrig. Ein willkommener kleiner Schicksalswink. Seit dem missglückten Konzertabend im Januar hatte keiner von uns beiden eine neue Initiative ergriffen.

      Als es klingelte, stand ich zufällig schon an der Wohnungstür und drückte reflexartig den Türöffner. Eine halbe Minute später klopfte es.

      Elias. Ohne Gepäck, aber mit dem Aroma einer Mülltonne, flackernden Augen und zitternd am ganzen Leib.

      »Ich pack die Welt nicht mehr. Ich brauch unbedingt ein Beruhigungsmittel. Kannst du mir in der Apotheke schnell eins holen? Oder hast du eins da?«

      Elias in dem Zustand wegschicken? Unmöglich. Klara zog ihre Jacke an.

      »Ich wünsch dir einen schönen Abend mit deinem alten Kumpel!« Weg war sie.

      Ein Beruhigungsmittel hätte auch ich jetzt nötig gehabt. Falls ein Beruhigungsmittel überhaupt was nützt, wenn das Leben in Trümmer geschlagen wird. Ich griff nach einer Flasche Bier.

      »Das könnte mir auch helfen«, meinte Elias.

      Nach den ersten Schlucken beruhigte er sich tatsächlich.

      »Kann ich noch mal bei euch pennen?«

      »Ich denke, du hast eine Unterkunft in einer Pension bekommen? Wo sind deine Sachen?«

      »Hab ich unten abgestellt. Ich geh noch mal runter und hol sie.«

      Klar hätte ich hinter ihm die Wohnungstür schließen können, um sie ihm nie wieder zu öffnen. Aber eine endgültige Lösung musste anders aussehen. Ich wusste nur noch nicht, wie.

      Aus der Unterkunft sei er wieder rausgeflogen, erfuhr ich von Elias, nachdem er eine halbe Stunde unter der Dusche verbracht hatte. Der Geruch, den er mitgebracht hatte, hing immer noch in seinen Kleidern und verbreitete sich in der ganzen Wohnung. Ich musste an einen entfernten Groß­onkel von mir denken, den man in einem heißen Sommer tot in seinem Haus in Münster aufgefunden hatte, etwa einen Monat nach seinem Ableben. Noch im Winter, als ich das Haus erstmals mit Verwandten betrat, um den Haushalt endgültig aufzulösen, roch es dort nach Verwesung, dass es einem den Atem raubte, und man musste es als glückliche Fügung betrachten, dass die Stadtverwaltung ohnehin die gesamte Häuserzeile zwecks Quartiersanierung und Neubebauung aufkaufen wollte; niemals mehr hätte jemand dort einziehen können. Ebenso hing nun Elias’ Geruch im Raum, der Geruch einer toten Seele, der sich nicht abduschen ließ, der sich langsam in die Wände hineinfraß und niemals mehr aus ihnen weichen würde. Es sei denn …

      »Kann ich mir was zu essen machen?«

      Ja, Elias. Tu, was du willst, solange du mich nicht in meinen Gedanken störst. Ich machte mir ein Bier auf – das wievielte eigentlich? – und sah Elias zu, wie er an den züngelnden Gasherdflämmchen hantierte. Feuer heilt. Feuer reinigt. Feuer reinigt, indem es vernichtet.

      Elias saß mir gegenüber und aß seine Spaghetti.

      »Danke, Elias, für mich nicht. Hab schon gegessen. Noch ein Bier vielleicht?«

      Ich musste ihn ins Bett kriegen, ohne ihm zu viel Alkohol zu verabreichen. Elias durfte später, vor Gericht, keinesfalls für unzurechnungsfähig erklärt werden. Ich musste ihn ins Bett kriegen und dabei die Kontrolle


Скачать книгу