Tatort Unterfranken. Tessa Korber
in der drei Bottiche stehen. Elise holt die Bettlaken aus dem kochenden Wasser im größten Bottich, schrubbt sie mit Seife auf einem Hobelbrett im zweiten, und Arthur bearbeitet sie danach mit einem Wäschestampfer im dritten. Im aufsteigenden Dampf können sie einander nur schemenhaft wahrnehmen.
»Ich habe schon einiges herausgefunden über diesen Graf Borodinsky«, sagt Arthur. »Er und seine Frau wohnen im Kurhaus. Und sie reisen morgen wieder ab.«
Elise bricht das Schrubben abrupt ab. »Da fällt mir was ein. Der Portier ist zuerst Richtung Kurhaus gegangen, also vom Hoteleingang aus nach rechts, und nicht nach links, wo die Gendarmerie ist.«
»Ja, und?«
»Vielleicht ist er ins Kurhaus gegangen, um herauszufinden, wie lange die Borodinskys noch bleiben. Und als er wusste, dass sie nur noch einen Tag hier sind, hat er sich gedacht: Lasst sie ziehen.«
Arthur setzt ebenfalls den Stampfer ab und schaut hoch. »Du meinst, er hat gleich gewusst, dass es der Borodinsky war.«
»Er muss ihn mit dem Hut auf der Treppe gesehen haben, als er nach oben gekommen ist. Er hat sich das mit dem Scherenschleifer ausgedacht und dem Gendarmen dann alles vorgesetzt, was er sagen sollte. Und der konnte es nicht mal richtig lesen.«
»Vom Gendarmen ist also nichts zu erwarten«, sagt Arthur.
»Von niemandem ist etwas zu erwarten. Außer von uns selbst. Wir müssen an Borodinsky ran. Die Gräfin von Hohenembs hat gesagt, er kriegt seinen Hosenstall nicht zu. Also sucht er dauernd Frauen wie die Sophie. Was, wenn wir ihm eine Falle stellen?«
»Was für eine Falle?«
»Mit einer Frau, die ihn anlockt und ins Hotel bringt. Kennst du noch mehr solcher Frauen?«
»Nein, natürlich nicht. Außerdem müssten wir so eine bezahlen«, sagt Arthur verächtlich.
»Sophie war auch so eine.«
»Das war anders. Sophie konnte nichts dafür.«
»Vielleicht können die anderen auch nichts dafür.«
»Mag sein. Auf jeden Fall kenne ich keine.«
»Dann mach ich das«, sagt Elise. »Natürlich nicht ... Aber ich locke ihn ins Hotel. Ich lege Sophies Rouge auf und locke ihn hierher.«
»Gut. Wir brauchen aber ein anderes Zimmer als die 316. Ich kann schauen, welches gerade frei ist, und den Schlüssel nehmen. Das machen wir, bevor du ihn anlockst.«
»Und wenn er dann im Zimmer ist?«, fragt Elise.
»Dann bin ich auch da. Mit einem Gewehr.«
»Wo kriegst du das her?«
»Ich nehme eins von denen, die hinter dem Wildschweinkopf im Speisesaal hängen. Das sind echte Jägergewehre. Der Herr von Hess holt sie jedes Jahr für die Neujahrsjagd herunter. Munition ist in einer Schachtel im Haushaltsraum.«
»Willst du den Borodinsky umbringen?«
Arthur schüttelt den Kopf. »Ich will ihm Angst einjagen, damit er’s zugibt. Und ich will wissen, warum er es getan hat.«
»Und dann?«
»Dann weiß ich auch nicht.«
Elise seufzt. »Und ich auch nicht. Am Ende kommen wir selber ins Gefängnis. Also, das wäre der Plan. Ist es ein guter?«
»Nein. Aber der einzige.«
»Wir machen es. Heute Abend. Ab neun Uhr habe ich frei.«
Arthur steht auf. »Ich zeig dir, wie du den Grafen anlockst. Ich bin der Graf. Geh auf mich zu und lauf an mir vorbei.«
Elise nähert sich Arthur, den Blick zu Boden gesenkt.
»Ganz falsch«, sagt er. »Das ist genau der Punkt. Du musst mich anschauen. Sobald wir auf einer Höhe sind, schaust du mich an. Direkt in die Augen.«
»Ich traue mich nicht.«
»Du musst. Hebe deinen Blick. Ja, genau. Und jetzt lächeln. Nicht zu viel, nur ein bisschen. So, ja. Das ist der ganze Unterschied. Mehr ist es nicht.«
Elise zählt drei Schläge der Stadtkirchenglocke drüben auf der anderen Seite der Saale. Sie steht seit einer halben Stunde hier im Park gegenüber vom Kursaal, geht immer zehn Schritte vor, dreht sich um und geht dann zehn Schritte rückwärts, wie Arthur es ihr erklärt hat. Auf dieser Seite des Flusses ist weniger los, hier ist es privater, hier gibt es wild wachsende Bäume statt Alleen, kaum Beleuchtung und keine Gendarmen. Und heute Abend auch sonst niemanden – abgesehen von den zwei Männern, die tief im Gespräch ihre Runden drehen; offenbar keine Freier, sonst wären sie wohl alleine unterwegs. Doch, eine kleine verschleierte Frau geht noch spazieren, am entgegengesetzten Ende der Umlaufbahn, auf der die Männer sich befinden. Zwei Runden sind sie schon gelaufen, jetzt stehen sie unten am Fluss, bei der einzigen Lampe diesseits der Saale.
Acht, neun, zehn Schritte nach hinten. Elise dreht sich um. Ein Mann kommt auf sie zu. Ein dicklicher Mann mit Zylinder. Er ist vielleicht sechs Schritte von ihr entfernt. Wo kommt er auf einmal her? Elise starrt zu Boden, dann zwingt sie sich, wieder zu ihm hochzuschauen. Er starrt mit einer Mischung aus Erschrockenheit und Empörung zurück, und dann ist er schon weiter. Es ist der Portier. Er wohnt hier irgendwo, fällt Elise ein. Morgen wird sie von ihm hören. Morgen wird sie wahrscheinlich ihre Stelle los sein. Sie seufzt und schaut wieder zu den zwei Männern unten am Fluss. Es ist nur noch einer da, und er sieht zu ihr hoch. Wo ist der andere? Da, er kommt auf sie zu. Er hebt seinen Hut zur Begrüßung und entblößt eine Glatze, nackt und knochig wie ein Totenschädel. »Mein Herr lässt fragen, ob Madame eventuell Interesse an einem Treffen mit ihm hätte.«
Elise schaut zu dem Mann am Fluss. Auch er hebt den Hut zum Gruß. Es ist kein Ausseer Hut, sondern eine Melone, aber der Bart des Mannes ist kinnfrei und an den Wangen spitz ausgezwirbelt. Graf Borodinsky.
»Ferner lässt er fragen«, fährt der kleinere Mann fort, »ob Madame einen Ort für ein solches Treffen bereits kenne, und wenn, wo dieser sich befinden möge.«
»Hotel Karl von Hess. Zimmer 209 im zweiten Stock. Fragen Sie Ihren Herren, ob das in Ordnung ist. Dann treffen wir uns dort in fünfzehn Minuten.«
»Wissen Sie, wer ich bin?« Graf Borodinsky sitzt mit dem Rücken zur Wand neben der Tür auf dem Boden. Seine Arme und seine langen Beine hat er jeweils überkreuzt.
Arthur steht über ihm und hält ein Jagdgewehr auf ihn gerichtet. Elise befindet sich gegenüber am Fenster neben dem Bett.
»Sie sind Graf Borodinsky«, sagt Elise. »Die Gräfin von Hohenembs hat es mir erzählt.«
»Ich bin Zar Alexander von Russland, und die Gräfin von Hohenembs ist in Wirklichkeit die Kaiserin Elisabeth von Österreich.«
»Das trifft sich gut«, sagt Arthur. »Ich bin nämlich König Ludwig von Bayern.«
»Machen Sie sich nicht lächerlich«, sagt der Graf. »König Ludwig hat keine roten Haare.«
»Sie wollen doch nur ablenken«, sagt Elise. »Sophie war meine Schwester, und Sie haben sie umgebracht.«
»Ich sagte doch schon, ich weiß nichts darüber. Es tut mir leid wegen Ihrer Schwester, aber ich habe nichts mit ihrem Tod zu tun. Ich war mit ihr auf dem Zimmer, ja, aber als ich ging, war sie gerade eingeschlafen. Mehr weiß ich nicht. Sie werden beide in allergrößte Schwierigkeiten kommen, wenn Sie mich nicht sofort freilassen. Morgen früh reisen wir ab.«
»Um wie viel Uhr haben Sie gestern das Zimmer verlassen?«, fragt Elise.
»Um halb zwölf ungefähr.«
»Aber Sie sind doch wiedergekommen«, sagt Elise. »In der Früh. So kurz nach fünf. Sie sind wiedergekommen und haben Ihren Hut geholt. Damit kein Beweisstück mehr da ist.«
Der Graf sieht sie verdutzt an. »Welchen Hut?«
»Den Filzhut mit der Kordel«, sagt Elise.
Der