Der neue Sonnenwinkel 81 – Familienroman. Michaela Dornberg

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wollte den Traum zurückholen. Es passte nicht zu ihr. Aber sie war nicht mehr sie selbst, sonst hätte ihr Verstand ihr gesagt, dass es Unsinn war. Ihr Verstand schwieg, und so versuchte sie mit aller Macht, in die Traumwelt zurückzukehren. Irgendwie war genau das ja auch so verlockend. Vielleicht ging der Traum ja weiter, und sie würde eine Antwort auf all die bohrenden Fragen finden. Sie quälte sich. Schließlich wurde ihr bewusst, in was sie sich da verrannte. Das durfte sie niemandem erzählen, man würde an ihrem Verstand zweifeln, der sie augenblicklich tatsächlich im Stich gelassen hatte. Roberta sprang aus dem Bett, viel zu schnell, sie taumelte, ihr wurde schwindelig. Als Ärztin hätte sie wissen müssen, dass es dumm gewesen war. Für einen Augenblick hielt sie inne, dann tapste sie in ihr Badezimmer, sprang unter die Dusche. Und das war jetzt ganz real. Sie weinte. Und während sie das Wasser über ihren Körper laufen ließ, entschied Roberta sich, Solveig anzurufen, ihr von diesem Traum zu erzählen und sie zu bitten, noch einmal eine Suchaktion nach Lars zu starten. Sie konnte es ja leider nicht, weil sie nur die Beinahe-Ehefrau gewesen war, und das zählte leider nicht. Es zählte nicht im offiziellen, im faktischen Leben.

      Das Wasser plätscherte an ihr herunter, Roberta nahm es nicht einmal bewusst wahr. Sie schloss die Augen, dachte an Lars, an seine Küsse, Sie dachte an das, was so unglaublich schön gewesen war. Nichts ließ sich zurückholen. Als ihr das bewusst wurde, stellte sie das Wasser ab, stieg aus der Dusche und griff nach einem der schönen weichen Badetücher, wickelte es um ihren Körper, nachdem sie sich abgerubbelt hatte. Dann trat sie vor das Waschbecken, um sich die Zähne zu putzen. Als sie in den Spiegel schaute, erschrak sie. Ihr Gesicht war sehr blass, und ihre Augen schauten ihr müde und irgendwie erloschen entgegen. Es tat weh, sich selbst ins Gesicht zu sehen, und deswegen ließ Roberta es bleiben, vermied jetzt konsequent jeden Blick in den Spiegel.

      Was für ein Tag!

      Sie war antriebslos und hoffte, ihre Lebensgeister mit einem starken Kaffee ein wenig zu beleben. Also schlurfte sie, ganz wie im Traum, doch diesmal wesentlich langsamer und müder, in die Küche, kochte sich Kaffee. Und als der gekocht war und sie sich mit dem Becher an den Tisch setzte, zitterte ihre Hand. Im Traum hatte es danach jäh geklingelt.

      Sie wusste, dass es verkehrt war, immer wieder daran zu denken. Sie konnte es nicht lassen, und aus diesem Grunde nahm ihre innere Aufgeregtheit immer mehr zu.

      Sie hatte frei, Alma war unterwegs. Was gäbe Roberta nicht darum, wenn Alma jetzt hier wäre. Die würde sie auf den Boden der Tatsachen zurückbringen. Und weil das nicht ging, musste sie halt versuchen, es selbst auf die Reihe zu bringen. Wenn nicht sie, wer sollte es dann tun? Schließlich war sie Ärztin, dazu noch eine gute. Und darauf musste sie sich besinnen, auf sonst überhaupt nichts.

      Sie trank von ihrem schwarzen heißen Kaffee. Der war richtig gut, und unter anderen Umständen wäre sie jetzt stolz auf sich gewesen, weil sie das mittlerweile schaffte. Daran dachte sie wirklich nicht, vielmehr beschäftigte sie sich mit dem Gedanken, ob sie sich anziehen, nach draußen gehen sollte oder einfach nur im Haus herumgammeln. Sie hatte frei, keinen Notdienst. Daran hielten sich manche ihrer Patientinnen und Patienten jedoch nicht, und sie fuhr dann doch hin, wenn Hausbesuche erforderlich waren, weil sie wusste, dass sie dann nicht in erster Linie als Ärztin gefragt war, sondern als Seelentrösterin. Wenn man ärztliche Hilfe benötigte, rief man den Vertreter oder die Vertreterin an. Ging es jedoch um menschliche Probleme, dann gab es nur eine Person, und das war die Frau Doktor. Heute würde sie nicht ans Praxistelefon gehen, wenn es klingelte. Sie musste erst einmal versuchen, sich selbst wieder auf die Reihe zu bringen, ehe sie anderen Menschen helfen konnte.

      Und sie würde nicht nach draußen gehen! Es war doch absolut sicher, dass man sie mehr als nur einmal ansprechen würde. Und dazu hatte sie weder Lust noch die erforderliche Kraft.

      Roberta ging in ihr Schlafzimmer, zog eine Jogginghose an, dazu ein altes, ausgeleiertes T-Shirt, von dem sie sich einfach nicht trennen konnte. So etwas gab es, und man hatte auch keine Erklärung dafür, warum das so war.

      Und nun?

      Sie verbot es sich, an den Traum und an Lars zu denken. Sie nahm auch keines der Bilder in die Hand, die überall herumstanden. Sie versuchte zu lesen. Es hatte keinen Sinn, die Zeilen verschwammen vor ihren Augen, und sie bekam nicht mit, was sie da überhaupt las. Sie klappte seufzend das Buch zu, machte den Fernseher an, um ihn kurz darauf entnervt auszuschalten.

      Musik?

      Nein, darauf hatte sie keine Lust, vielleicht noch einen Kaffee, doch dazu hatte sie ebenfalls keine Lust, weil sie dann nämlich hätte aufstehen müssen.

      Sie zog die Beine hoch, rollte sich zusammen wie eine Katze, und sie dachte an Lars. Irgendwann war sie ganz woanders, in einer Welt, zu der nur sie Zutritt hatte, einer Welt, in die sie sich nach Herzenslust zurückziehen konnte.

      Roberta verlor das Gefühl für Zeit und Raum, befand sich in einer Art Schwebezustand, einer Welt hinter der Welt. Es wurde ihr nicht bewusst, denn die Ärztin in ihr hätte es sonst alarmiert aufgeschreckt.

      *

      Vielleicht war sie ja auch ein wenig dahingedämmert, denn Roberta fuhr hoch, als eine erboste Stimme sich erkundigte: »Kannst du mir mal verraten, warum du nicht ans Telefon gehst? Ich habe bereits Schwielen an meinen Fingern, weil ich unentwegt versucht habe, dich zu erreichen.«

      Roberta hatte einige Mühe, sich zurechtzufinden. Schließlich registrierte sie, dass ihre Freundin Nicki vor ihr stand.

      »Nicki … wieso bist du hier?«

      »Vielleicht weil ich angefangen habe, mir Sorgen zu machen? Und weil ich dir noch mehr von den wundervollen Begebenheiten erzählen möchte, die ich mit Lennart hatte. Wärst du an das Telefon gegangen, hätte ich mir die Fahrt hierher ersparen können. Schließlich habe ich einen langen Flug hinter mir. Schon vergessen?«

      Das klang vorwurfsvoll, sogar ein bisschen beleidigt. Das musste Roberta jetzt wirklich nicht haben. Sie war immer für Nicki da, hörte ihr zu, gab ihr Ratschläge, die dann doch nicht befolgt wurden. Sie war erschöpft, durcheinander, ihre Nerven waren angespannt, und deswegen erwiderte sie ziemlich barsch: »Verflixt noch mal, Nicki, es muss sich nicht immer alles nur um dich drehen.«

      Nicki starrte ihre Freundin an. Auf eine solche Weise hatte Roberta noch niemals mit ihr gesprochen. Welche Laus war ihrer Freundin denn über die Leber gelaufen? Nicki wäre unter anderen Umständen jetzt tatsächlich beleidigt gewesen. Doch weil sie sich keinen Reim auf Robertas Reaktion machen konnte, war Nicki stattdessen besorgt. Sie ließ sich in einen der gemütlichen Sessel fallen, blickte ihre Freundin an. Roberta sah wirklich aus wie ein Häuflein Elend. Doch das sprach sie lieber nicht aus, sondern sie erkundigte sich in echter, ungespielter Sorge: »Roberta, komm, erzähl schon. Was ist geschehen?«

      Du liebe Güte, dachte Roberta entsetzt. Darüber konnte sie unmöglich sprechen.

      Nicki schaute sie herausfordernd an, Roberta riss sich zusammen.

      »Nicki, es tut mir leid … äh … alles ist gut.«

      Vielleicht würde jemand, der diese kluge, fabelhafte Frau Doktor nur entfernt kannte, sich damit abspeisen lassen. Aber sie doch nicht! Man konnte förmlich riechen, dass etwas nicht stimmte. Nicki als Dramaqueen hatte ein besonderes Gespür dafür.

      Es tat ihr leid, dass sie herumgeschimpft hatte, weil Roberta nicht ans Telefon gegangen war, denn dafür musste es einen guten Grund gegeben haben. Und so, wie Roberta aussah …

      »Roberta, was soll das? Nichts ist gut. Ich spüre das. Und mir kannst du schon überhaupt nichts vormachen. Wir sind allerbeste Freundinnen, reden über alles. Wir sind eng, so eng, dass kein Blatt Papier zwischen uns passt. Es macht mich sehr traurig, dass du mich jetzt so abspeisen willst.«

      Roberta wurde rot vor lauter Verlegenheit. Es war mehr als nur dumm gewesen, nicht gleich mit der Wahrheit herausgerückt zu sein. Sie hatten wirklich keine Geheimnisse voreinander. Aber über einen Traum zu sprechen, den sie für echt gehalten hatte, das war eine Nummer für sich. Sie zögerte noch immer, und Nicki dauerte das Schweigen ihrer Freundin einfach zu lange. Es gab normalerweise nicht viel, was Roberta so sehr aus der Fassung bringen konnte. Ihr kam ein Verdacht, der sie alarmierte.


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