Dr. Norden Bestseller 344 – Arztroman. Patricia Vandenberg
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Dr. Dieter Behnisch zuckte erschrocken zusammen, als die Tür zu seinem Arbeitszimmer plötzlich aufging. Sein Kopf ruckte empor, und sein Blick schien aus Weltenferne zurückzukehren.
»Pardon, Doc«, sagte eine tiefe Männerstimme, »aber da ist Frau Dr. Ruhland, die Sie sprechen möchte.«
Dr. Nicolas Hastings, seit ein paar Wochen als Arzt auf Zeit an der Behnisch-Klinik, sprach ein gutes Deutsch, aber man hörte den gebürtigen Engländer heraus.
»Frau Dr. Ruhland?« wiederholte Dr. Behnisch fragend. »Verwandt mit dem Patienten Ruhland?«
»Das hat sie mir nicht gesagt. Sie ist sehr reserviert und möchte nur Sie sprechen.«
»Ja, dann muß ich sie wohl empfangen.«
»Sie ist eine Kollegin«, sagte Nicolas mit seinem charmanten Lächeln, bei dem alle Krankenschwestern dahinflossen.
Aber es war nur das Lächeln, das ihm angeboren war und das er nicht unter Kontrolle bekam. Er war ein durch und durch ernster Mann, und ein sehr guter Arzt, wie Dr. Behnisch sehr zufrieden und sogar beglückt feststellen konnte. Er hatte allerdings auch eine ganz besondere Beziehung zu Nicolas.
»Wir sprechen uns nachher noch«, sagte Dieter Behnisch, »schauen Sie mal nach meiner Frau, Nick.«
»Sofort«, kam die schnelle Erwiderung.
Jenny Behnisch war von einer Virusgrippe gepackt worden, und um sie machte sich Dieter Behnisch die größten Sorgen. Er machte sich auch bittere Vorwürfe, daß Jenny einfach überfordert war.
An sich selber dachte er nicht, denn er war genauso im Streß. Allerdings nahm ihm Nicolas jetzt viel ab.
Ja, er war ein Glücksfall in größter Not. Und nun trat Dr. Beatrice Ruhland ein, etwas mehr als mittelgroß, schlank, Kurzhaarfrisur, die ihr aber ausnehmend gut stand, da sie ein sehr apartes, aber herbes Gesicht hatte, und hellwache graue Augen blickten Dr. Behnisch forschend an.
»Guten Tag, Frau Kollegin«, sagte Dr. Behnisch beeindruckt, »was kann ich für Sie tun?«
»Ich wurde benachrichtigt, daß mein Vater hier in der Klinik liegt«, erwiderte sie. »Ich bin aus Klagenfurt gekommen, um mich über seinen Zustand zu informieren.«
Dieter Behnisch war überrascht, aber er zeigte es nicht. Angehörige erkundigten sich eigentlich nicht in so sachlich-kühlem Ton nach dem Befinden eines Kranken, und in diesem Fall handelte es sich um die Tochter von Eberhard Ruhland, von der allerdings bisher nie die Rede gewesen war, immer nur von Irene, die aber auch nur höchst selten in der Klinik erschien, in der Eberhard Ruhland nun schon mehr als vier Wochen lag. Er litt an einer schweren Hepatitis, und Dr. Behnisch zweifelte daran, daß die wirklich intensive Behandlung auch Erfolg bringen könnte.
»Ja, es stimmt, Herr Ruhland ist seit viereinhalb Wochen hier Patient.«
»Und wie lautet die Diagnose?«
»Hepattis lupoide«, erwiderte er knapp.
Ihre Augen weiteten sich. »Mir brauchen Sie ja nichts zu erklären, aber anscheinend ist sich meine Mutter der Tragweite nicht bewußt.«
»Den Eindruck habe ich auch, aber da Frau Ruhland sehr labil ist, wage ich nicht, ihr eine genaue Erklärung zu geben.«
»Das ist auch nicht nötig. Meine Mutter versteht es doch nicht. Sie ist eine Beamtenfrau, sie weiß mit dem Haushaltsgeld umzugehen, ist überaus penibel und auch eine sehr gute Köchin, aber mit Krankheiten hat sie sich nie befaßt. Und plötzlich erinnert man sich, daß man eine Tochter und Schwester hat, die Ärztin ist. Herr Kollege, ich möchte Sie nicht im unklaren darüber lassen, daß ich schon Jahre keine Kontakte mehr zu meiner Familie habe. Meine Schwester Irene scheint nur zu ahnen, daß mein Vater sterben könnte, und so kam sie nicht umhin, sich auf den Wunsch meiner Mutter zu informieren. Wird er sterben?«
Dr. Behnisch war momentan sprachlos. Er hatte noch nie eine nahe Verwandte kennengelernt, die sich so knapp und kühl äußerte, aber irgendwie bewunderte er diese junge Kollegin, weil sie gar nicht den Versuch machte, anders zu erscheinen, als sie war und dachte. Er schätzte sie auf Mitte zwanzig dem Aussehen nach, aber da sie bereits eine praktizierende Ärztin war, wie aus dem weiteren Gespräch hervorging, mußte sie wohl doch schon älter sein.
Beatrice war siebenundzwanzig, aber sie hatte schon mit knapp fünfundzwanzig Jahren ihren Doktor gemacht, und sie praktizierte in Klagenfurt an einer Klinik.
Dieter Behnisch konnte mit ihr ganz offen sprechen. Sie bestand sogar darauf.
»Er tut mir leid«, sagte sie, »er wollte nie krank sein, nie einen Tag im Amt versäumen, aus purer Angst, dann nicht befördert zu werden, und nun, da sich der Herr Steuerrat auf die Pensionierung freuen könnte, kommt das. Ich habe meine Mutter nur kurz gesprochen, aber wenn sie sich noch weiterhin so in ihren Schmerz hineinsteigert, wird sie auch nicht mehr lange leben. Es ist jedoch ihr wie auch meiner Schwester peinlich, daß er so sehr danach verlangte, mich zu sehen. Diesen Wunsch kann ich ihm nicht versagen.«
Es waren klare Worte, und wenn sie auch kalt klangen, Dr. Behnisch hörte auch etwas anderes heraus. Dr. Beatrice Ruhland mußte gute Gründe haben, Distanz zu ihrer Familie zu halten, und vielleicht war ein Grund die vier Jahre ältere Schwester Irene. Dr. Behnisch hatte sie schon mehrmals hier angetroffen. Sie schlug die süßesten und schmerzlichsten Töne an. Bei ihr wirkte alles so falsch, wie es bei Beatrice aufrichtig klang. Welch ein Unterschied war zwischen diesen Schwestern. Irene eine schon welkende, verlebte Schönheit, zimperlich und darauf bedacht, Eindruck zu machen oder wenigstens Mitgefühl zu erregen, und im Gegensatz dazu diese selbstbewußte junge Ärztin, der es anscheinend gleichgültig war, was man von ihr dachte.
Er konnte jedoch zufrieden sein, so mit ihr sprechen zu können, ihr nicht erklären zu müssen, welch ein schmerzhaftes Ende dieses Leben nehmen würde.
Beatrice sah ihn nachdenklich an. »Sie dürfen nicht denken, daß ich meine Eltern negativ einschätze, Dr. Behnisch. Sie haben ihr Leben ehrbar und anständig gelebt, manchmal für sich selber zu sparsam und auch zu engherzig. Aber ich habe seit meinem zwölften Lebensjahr bei meiner Großmutter gelebt, die leider vor einem halben Jahr verstorben ist und die ich schmerzlich vermisse. Aber wozu erzähle ich das?«
»Ich bedanke mich für Ihr Vertrauen, Frau Kollegin«, sagte Dr. Behnisch. »Vielleicht können wir uns länger unterhalten, wenn Sie öfter kommen.«
»Ich weiß noch nicht, wie es sich ergibt. Aber darf ich jetzt meinen Vater sehen?«
»Gewiß. Schwester Rosi wird Sie zu ihm bringen. Erschrecken Sie bitte nicht, er hat sich in letzter Zeit sehr verändert.«
»Ich weiß, wie sich Patienten mit dieser Krankheit verändern. Ist er überhaupt noch ansprechbar?«
»Ja, erstaunlicherweise sogar verhältnismäßig klar, wenn auch nicht immer. Aber er hat noch sehr gute Zeiten.«
Beatrice lernte Schwester Rosi kennen, die noch jung, frisch und richtig lieb war. Und ihr gegenüber schlug Beatrice ganz andere Töne an, so daß Rosi später voller Begeisterung über die goldige Ärztin sprach.
Man möge gar nicht glauben, daß sie die Schwester von dieser arroganten Irene Ruhland sei.
»Die denkt doch wunder, was sie sei«, meinte sie abfällig.
Leise war indessen Beatrice in das Krankenzimmer getreten. Auf Zehenspitzen ging sie zum Bett und blickte auf das gelbliche, eingefallene Gesicht des Kranken.
»Vater«, sagte sie leise. Mühsam öffnete er die Augen. »Bea«, murmelte er, »du bist gekommen.«
»Ich wäre früher gekommen, wenn man mich benachrichtigt hätte«, erwiderte sie.
»Konntest du denn weg?«
»Ich habe meinen Urlaub genommen. Ich trete ohnehin eine neue Stellung an.«
»Wo?«
»Ich kann es mir noch aussuchen. Ich habe drei Angebote, aber ich lasse mir Zeit.«
»Kannst du dir das finanziell leisten?«
»Darüber