Dr. Norden Bestseller 344 – Arztroman. Patricia Vandenberg
»Zu Hause?« wiederholte Beatrice gedehnt, und Marga Ruhland wurde blaß. »Ich wohne bei den Bertrams.«
»Du meinst bei Klaus Bertram?«
»Bei Klaus und Inge Bertram«, erwiderte Beatrice ironisch.
»Sie hat nichts dagegen?«
»Wieso denn, wir sind gute Freunde.«
»War er nicht einmal sehr an dir interessiert?«
Beatrice seufzte. »Du hast das alles wohl immer zu sehr dramatisiert, Mutter, oder es war Irene. Warum begleitet sie dich nicht?«
»Sie hat keine Zeit. Sie hat eine Ganztagsstellung.«
»Was du nicht sagst, seit wann denn?«
»Schon seit drei Monaten. Sie ist Geschäftsführerin in einer Boutique.«
Sie sah an Beatrice vorbei.
»Ich würde mich freuen, wenn wir einmal länger miteinander reden könnten, Beatrice.«
»Es wird sich vielleicht ergeben, Mutter.«
»Du hättest doch auch mal wieder nach München kommen können.«
Es war so, daß keiner so recht wußte, was er sagen sollte, aber Beatrice empfand jetzt nur Mitleid mit ihrer Mutter, die ihr so hilflos und gehemmt vorkam.
»Ich hatte wenig Zeit, und ich wurde ja auch nicht eingeladen. Ich bedaure auch, daß ich so spät von Vaters Erkrankung informiert wurde.«
»Wir wußten doch nicht, daß es so ernst ist«, sagte Marga bebend, und nun traten Tränen in ihre Augen. »Du ahnst ja nicht, was ich leide. Wir sind fast fünfunddreißig Jahre verheiratet.«
»Ich kann dich verstehen«, erwiderte Beatrice.
»Du hast aber manches falsch verstanden.«
»O nein, ich habe alles richtig verstanden, Mutter, und du brauchst nicht zu glauben, daß ich jemals Irene ihre Vormachtstellung streitig machen würde. Aber ich habe so viel Abstand gewonnen, daß wir uns vernünftig auseinandersetzen können, wie es Vater anscheinend wünscht.«
»Er hat mit dir gesprochen?« fragte Marga überrascht.
»Ja, wir haben uns eine Zeit unterhalten.«
»Wenn ich da bin, schläft er meistens.«
»Dann solltest du vielleicht länger bleiben und Geduld haben, bis er aufwacht. Seine schwere Krankheit bringt es mit sich, daß er schwach ist und auch schmerzstillende Medikamente bekommt.«
»Du verstehst das wohl besser, da du Ärztin bist. Wir erfahren ja zuwenig.«
»Man muß fragen, wenn man etwas wissen will. Dr. Behnisch ist gewiß zu jeder Auskunft bereit. Aber in diesem Stadium darfst du auch nicht die Augen verschließen, daß Vaters Leben erlöscht.«
»Aber ich habe doch noch Hoffnung«, schluchzte Marga auf. »Du kannst mir doch nicht alle Hoffnung nehmen.«
»Ich kann dich auch nicht täuschen, Mutter. Du wirst damit fertig werden müssen, und wenn du Hilfe brauchst, bin ich gern bereit, dir beizustehen.«
Marga blickte zu Boden. »Ich kann doch nichts dafür, daß du dich nicht mit Irene verstanden hast«, murmelte sie.
»Wir sollten es besser umgekehrt sagen. Irene wäre das typische Einzelkind, das immer die erste Geige spielen wollte. Du wirst es doch nicht leugnen wollen. Ich mache dir keinen Vorwurf. Es hat mich geformt. Ich brauche niemanden, und du wirst es mir hoffentlich nicht verdenken, wenn ich darauf stolz bin. Aber soviel wollte ich eigentlich gar nicht sagen. Es ist mir nur viel durch den Sinn gegangen, als ich bei Vater am Bett saß. Man kann nicht alles wegstecken wie ein paar alte Kleider, die nie recht passen wollten, oder ausgetretene Schuhe.«
Marga Ruhland zuckte zusammen. »Wir waren nie reich, Beatrice«, rechtfertigte sie sich. »Du solltest es nicht falsch verstehen.«
»Es war auch mehr symbolisch gemeint. Ich hatte eine sehr glückliche und zufriedene Zeit mit Omi, für die ich unendlich dankbar bin.«
»Du hast davon ja auch in mehrfacher Hinsicht profitiert«, kam die anzügliche Erwiderung
»Das mußte ja kommen. Auf bald«, sagte Beatrice und ging.
*
Dr. Behnisch wollte vor allem von Nicolas wissen, was er von Jennys Zustand hielt.
»Mir sagt sie ja nur, daß sie bald wieder okay ist«, brummte er.
»Ich meine, daß sie ein paar Wochen Kur brauchen würde«, sagte Nicolas.
»Das meine ich auch, aber sie winkt ab. Dabei könnte sie es auf der Insel der Hoffnung doch genießen, sich mal richtig auszuruhen.«
»Jenny denkt sicher, daß Sie genauso Urlaub brauchen, Dieter.« Wenn sie allein waren, redeten sie sich mit den Vornamen an. Nicolas war es aus seiner Heimat so gewohnt, wenn man sich mochte.
»Wir können aber beide nicht gleichzeitig weg«, sagte Dieter.
»Sie sollten aber nicht warten, bis Sie auch mal zusammenklappen. Es würde Jenny sicher helfen, daß Sie sagen, daß Sie auch mal ein paar Wochen ausspannen, wenn sie wieder wohlauf ist.«
»Jenny hat mehr durchgemacht als ich. Mir ist es immer gutgegangen. Und ich bin zäh.«
»Das will ich bei Gott nicht wegreden, aber es hat schon mancher gesagt, und dann lag er schon auf der Nase.«
»Ich werde mit Jenny reden, und was haben Sie mit Frau Ruhland geredet?«
»Sie ist eine interessante Frau. Sie hat ein Angebot nach Cambridge von Professor Lorring.«
»Tatsächlich? Kennen Sie ihn?«
»Nicht persönlich, aber er hat einen sehr guten Namen. Sie hat mal seinen Sohn betreut nach einem Unfall.«
»Rosi ist ganz begeistert von ihr. Auf mich hat sie einen sehr kühlen, reservierten Eindruck gemacht.«
»Der verwischt sich, wenn man länger mit ihr redet. Sie ist eine kluge Frau und kein bißchen kokett.«
»Spielen Sie auf die Schwester an, ich meine Irene Ruhland?«
»Da paßt doch gar nichts. Man könnte sie niemals für Schwestern halten.«
»Aber Irene Ruhland ist kokett.«
Nicolas lächelte spöttisch. »Ein bißchen zu aufdringlich. Sie hält sich wohl für unwiderstehlich. Wie gesagt, die Kollegin ist das Gegenteil.«
»Und der übrigen Familie gegenüber sehr distanziert.«
»Mich wundert das nicht«, sagte Nicolas, aber mehr wurde nicht geredet. Sie gingen beide wieder an ihre Arbeit, und Dr. Behnisch mußte dann Marga Ruhlands Fragen beantworten.
Sie hatte mit ihrem Mann nicht reden können. Er hatte zwar die Augen aufgeschlagen, aber gleich gesagt, er sei müde, als sie nach seinem Gespräch mit Beatrice fragte.
Unsicher und schuldbewußt wie Marga doch war, wollte sie Dr. Behnisch nun erklären, daß ihre jüngere Tochter ein sehr eigenartiger Mensch sei.
»Eine sehr intelligente Frau und hochbegabte Kollegin«, erklärte Dr. Behnisch ruhig. »Ich habe den allerbesten Eindruck gewonnen, Frau Ruhland.«
»Aber sie hat nicht viel Familiensinn«, sagte Marga eigensinnig.
»Dazu kann ich keine Stellung nehmen, aber ich weiß aus Erfahrung, daß dies eine Angelegenheit der gegenseitigen Gefühle und Einstellung ist. Ganz sicher ist sie ein Mensch, auf den man sich verlassen kann. Sie ist sofort gekommen, als sie benachrichtigt wurde. Sie wäre auch früher gekommen.«
»Ich hatte doch nie daran gedacht, daß es so schlecht um meinen Mann stehen könnte. Beatrice hat mir das unverblümt gesagt. Für mich ist dies doch alles schrecklich, Herr Doktor.«
»Das