Dr. Norden Bestseller 344 – Arztroman. Patricia Vandenberg

Dr. Norden Bestseller 344 – Arztroman - Patricia Vandenberg


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kein Risiko eingehen.

      »Du hast ja wohl Großmutter beerbt«, sagte er stockend.

      Guter Gott, es wird ihm doch nicht darum gehen, ging es ihr durch den Sinn, und sie wappnete sich schon mit Abwehr.

      »Ja, ich habe sie beerbt. Wir haben ja auch zusammen gelebt.«

      »Es ist gut so, Bea. Es ist ein gerechter Ausgleich. Ich habe nicht gewollt, daß es so kommt, daß du uns entfremdet wirst, glaube mir das. Marga war vernarrt in Irene. Sie hat so viel in sie hineingeheimnist, aber daran war wohl auch ihre Freundin schuld, diese Astrologin Babette. Erinnerst du dich an sie?«

      »Flüchtig. Ich war ein Kind, als ich sie zuletzt sah«, erwiderte Beatrice geduldig. Er sollte nur reden, wenn es ihm danach war. Er konnte endlich reden, ohne daß die Mutter und Irene dabei waren.

      »Irene hat es doch zu nichts gebracht. Nun ist auch ihre zweite Verlobung in die Brüche gegangen. Hast du schon mit ihr gesprochen?«

      »Nein.«

      »Du mußt ihre Sticheleien einfach überhören«, fuhr er fort, und sie merkte, daß ihm das Atmen schwer wurde.

      »Du sollst nicht so viel reden, Vater, ich komme öfter.«

      Sie hielt seine Hand, und ein Frösteln kroch durch ihren Körper, als sie die knochigen Finger umschloß.

      »Ich weiß doch, daß ich nicht mehr viel Zeit habe«, murmelte er. »Irene wird Marga kein Halt sein. Würdest du darauf achten, daß sie ihr nicht alles wegnimmt? Marga kommt doch nicht gegen sie an.«

      »Wenn du es willst, werde ich dafür sorgen, daß Mutter ihr Auskommen hat. Hast du ein Testament gemacht?«

      »Ja, aber das sollen sie nicht wissen. Aber ich kenne Marga. Sie wagt nicht, Irene zu widersprechen. Sie muß büßen…«, seine Stimme war immer leiser geworden, und nun zuletzt nur noch ein Hauch. Beatrice preßte die Lippen aufeinander. Sie wollte keine Bitterkeit in sich aufkommen lassen, aber sie wußte doch, daß sie nicht umhin kam, zurückzudenken. Die Vergangenheit holte sie jetzt ein am Krankenlager ihres Vaters.

      Ihre Kindheit war immer überschattet gewesen von der Existenz der älteren Schwester. Sie bekam nie neue Kleidung. Sie mußte auftragen, was Irene ablegte, auch wenn es ihr später selbst schon zu eng und zu kurz war, da sie kräftiger wurde als die Ältere. Sie bekam höchstens mal ein paar neue Schuhe, nachdem ein Orthopäde festgestellt hatte, daß sie Einlagen tragen müsse.

      Während sie noch in die Volksschule ging, gab es noch keinen Ärger, da Irene zu dieser Zeit auch eine gute Schülerin gewesen war, aber als sie dann aufs Gymnasium kam, ging es los mit den Gehässigkeiten, denn sie war in allen Fächern bedeutend besser als Irene, und diese nannte sie eine elende Streberin, die sie nur ausstechen wolle. Und als Irene dann in die Tanzstunde kam, immer noch die Hübscheste, gab es erst recht Streitereien, weil Beatrice anfing, sich zu wehren.

      So kam es, daß Beatrice eines Tages von der Schule nicht nach Hause kam, sondern zu ihrer Großmutter fuhr. Bei ihr weinte sie sich aus, und Frau Agnete Ruhland zog energisch Konsequenzen. Sie setzte es durch, daß Beatrice bei ihr in Göttingen blieb. So hatte Beatrice in den wichtigsten Entwicklungsjahren bei ihrer liebevollen und alles verstehenden Omi das Zuhause, nach dem sie sich gesehnt hatte. Innerlich jedoch entfernte sie sich so weit von ihren Eltern, daß sie keinen vermißte. Sie hegte keinen Groll, es machte ihr nichts aus, daß Irene alles bekam und sie ab und zu mal ein Kleidungsstück, da die Großmutter es strikt abgelehnt hatte, daß sie weiterhin Irenes Sachen tragen sollte. Sie wurde von der Großmutter nicht verwöhnt, aber sie bekam, was sie brauchte, doch sie bekam auch sehr viel Liebe geschenkt, die sie bisher missen mußte.

      Sie machte ihr Abitur, ein glänzendes Reifezeugnis war der Lohn für ihren Eifer. Ihr Entschluß, Ärztin zu werden, stand schon lange fest und wurde von der Großmutter unterstützt, während die Eltern meinten, sie solle lieber einen Beruf ergreifen, in dem sie schneller Geld verdienen könne, da sie ja doch mal heiraten würde. Ja, das war deren Wunschgedanke auch für Irene, die zwar umschwärmt war, aber richtig anbeißen wollte keiner. Es war ihr auch keiner gut genug. Sie wollte alles auf einmal. Er mußte gut aussehen, reich sein und möglichst zu den oberen Tausend gehören. Für einen Beruf zeigte Irene keine Neigung. Sie nahm Gesangsunterricht, sie meinte eine Zeit, eine große Schauspielerin zu werden, dann lernte sie tatsächlich einen Fabrikantensohn kennen, und es war schon von Heirat die Rede, bis herauskam, daß der Vater Konkurs anmelden mußte und der Sohn sich schnell für eine vermögende ältere Frau entschied.

      Beatrices Gedankengänge, ihr Ausflug in die Vergangenheit, wurde jäh unterbrochen, als Dr. Nicolas Hastings eintrat.

      »Ich wollte nur mal nachsehen«, sagte er entschuldigend, als Beatrice ihn verwirrt anblickte.

      »Mein Vater schläft«, sagte sie.

      »Er schläft sicher mehrere Stunden, wollen Sie nicht frische Luft schöpfen, Kollegin?«

      »Eigentlich eine gute Idee«, erwiderte sie. »Die Tage werden kürzer und kälter.«

      Sie sah ihn plötzlich voll an, und er wurde verlegen, was ihn selbst überraschte, aber ihm war es, als würde sie durch ihn hindurchschauen.

      »Sie sind Amerikaner?« fragte sie zusammenhanglos.

      »Engländer, aber ich habe eine Zeit in Harvard studiert.«

      »Interessant, und wie sind Sie hier gelandet?«

      »Einfach um Erfahrungen zu sammeln. Dr. Behnisch hat einen guten Ruf, und er ist ein guter Lehrmeister. An einer gutgeführten Privatklinik lernt man mehr, als wenn man als Anhängsel hinter einem ganzen Troß her dackelt.«

      Er sagte es mit seinem unwiderstehlichen Lächeln, daß Beatrice unwillkürlich auch auflachte.

      »Halten Sie mich bitte nicht für neugierig«, sagte sie, »aber wie ist es in England? Ich habe nämlich ein Angebot für ein wissenschaftliches Institut in Cambridge.«

      Seine Augenbrauen hoben sich leicht, man konnte ihm die Überraschung ansehen.

      »Das ist aber eine große Auszeichnung«, sagte er.

      »Es ergab sich, weil ich den Sohn von Professor Lorring nach einem schweren Unfall versorgt hatte. Ich hatte Glück, weil er wieder völlig genas.«

      »Glück allein wird das nicht gewesen sein«, meinte Nicolas.

      *

      Dr. Behnisch fragte Schwester Rosi, wo Dr. Hastings sei.

      »Er unterhält sich mit der Frau Dr. Ruhland«, sagte Rosi. »Sie ist ja so nett«, fügte sie schwärmerisch hinzu.

      »Was Sie nicht sagen«, staunte Dr. Behnisch. »Sie ist immer noch hier?«

      »Sie war lange bei ihrem Vater, und jetzt unterhält sie sich mit Dr. Hastings.«

      »Ich brauche ihn trotzdem«, sagte Dr. Behnisch.

      »Ich sage ihm Bescheid«, erklärte Schwester Rosi und enteilte.

      So wurde das noch anhaltende Gespräch zwischen Nicolas und Beatrice unterbrochen.

      »Kommen Sie öfter mal her?« fragte er noch hastig.

      »Ja, sicher«, erwiderte sie leicht verlegen, denn ihr wurde bewußt, daß sie sich lange und sehr gut mit ihm unterhalten hatte.

      »Fein, dann sehe ich Sie vielleicht morgen wieder.«

      Beatrice nickte Schwester Rosi freundlich zu, als sie ging. Doch nun wollte es der Zufall, daß sie vor dem Eingang ihre Mutter traf.

      Marga Ruhland war einmal eine hübsche Frau gewesen, aber jetzt wirkte sie älter als Anfang fünfzig und grau in grau gekleidet wahrhaftig wie eine graue Maus.

      In ihr blasses Gesicht schlug jedoch heiße Glut, als sie Beatrice erkannte, und maßlose Überraschung malte sich auf ihren Zügen.

      »Du bist schon hier? Du bist rasch gekommen«, sagte sie stockend.

      »Ich konnte Urlaub nehmen.«


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