DIE RITTER DES VATIKAN. Rick Jones
Sie wurden aus dem Weg geräumt, schnell und lautlos.
Von der Veranda, die um die Villa herumführte, hatte Agent Nedza einen guten Überblick und ließ sein Fernglas mit Nachtsichtfunktion langsam über das Gelände gleiten. Nachdem ihm nichts Ungewöhnliches aufgefallen war, nahm er das Gerät wieder herunter und begab sich zur Südseite der Veranda. Sobald er außer Sicht war, erklomm der Einsatztrupp des Teamführers die Mauer und landete hinter einer gestutzten Hecke.
Der Scharfschütze des Teams nahm das vielleicht präziseste Scharfschützengewehr der Welt, die Barrett M82A1, von seinem Rücken, spähte durch das Visier der smaragdgrünen Linse, zielte, verlangsamte seine Atmung und betätigte den Abzug. Ein gedämpfter Schuss war zu hören. Agent Nedzas Kopf schnellte durch die Wucht der Kugel nach vorn, dann brach er zusammen.
Das Licht in dem Gang wirkte gedämpft, als einer der Agenten des Präsidenten die dunkle Bibliothek des Gouverneurs betrat und lauschend als Schattenriss im Türrahmen stehen blieb. In dem Moment, als er nach dem Lichtschalter greifen wollte, ertönten drei dumpfe Schüsse in kurzer Reihenfolge, begleitet von unterbrochenem Mündungsfeuer, welches aus der dunkelsten Ecke des Raumes aufblitzte. Mit kühler Präzision bildeten die Kugeln ein enges Dreiecksmuster in der Brust des Agenten und ließen ihn so schnell zu Boden sinken, wie es die Schwerkraft erlaubte.
Im zweiten Stock, wo sich die Schlafzimmer befanden, hielten zwei Agenten jeweils am Ende des Korridors Wache. Als einer von ihnen an seinem Ohrhörer herumspielte, schlich sich ein katzenhafter dunkler Umriss an der Wand entlang, legte dem Agenten eine Schlinge um den Hals und zog ihn ins Dunkel zurück. Dort erdrosselte er ihn mit einer chirurgischen Präzision, dass es dem Agenten bis zu seinem Todeszeitpunkt nicht gelang, auch nur einen Laut von sich zu geben.
Agent Cross stand nun allein am gegenüberliegenden Ende des Korridors, ohne zu ahnen, dass er von einer Gruppe von Feinden umgeben war. Als er das Mikrofon vor seinem Mund richten wollte, wurde er unschädlich gemacht. Das geschah so schnell und geübt, dass er davon völlig überrumpelt wurde.
Nun, da die vorderste Verteidigungslinie ausgeschaltet worden war, blieb nur noch die Aufgabe, die Zielpersonen zu sichern.
Darlene Steele konnte nicht schlafen. Das Rauschen der Blätter im Wind hörte sich für sie wie eine Sinfonie weit entfernt klingender Schellen an. Selbst von ihrem Bett aus konnte sie hören, wie der Wind das bereits gefallene Laub über den Kies der Einfahrt trieb, was an das Prasseln von Feuer erinnerte.
Sie stieß einen kaum hörbaren Seufzer aus und drehte sich zu ihrem Ehemann, der neben ihr lag. Sein Brustkorb hob und senkte sich in einem langsamen, stetigen Rhythmus. Der rauschende Herbstwind wirkte auf ihn wohl eher einschläfernd als störend. Seit Stunden lag sie schon so da und sah den sich verändernden Mustern an der Decke zu, während sie auf den Schlaf wartete. Ihre Augen wollten nicht zufallen und immer wieder gab sie entnervte Seufzer von sich. Doch selbst ihre rastlosen Bewegungen lösten keinen einzigen mürrischen Kommentar ihres Ehemannes aus, der ungestört von ihren Aktionen schlummerte. Nach einer Weile schlug sie die Bettdecke zurück, stieg aus dem Bett und schlang die Arme um sich, um sich vor der Kälte zu schützen. Dann zog sie ihren Morgenmantel von dem Bettpfosten, verließ das Schlafzimmer und schloss hinter sich die Tür.
Im Flur drehte sie noch schnell den Thermostat auf, bevor sie die Wendeltreppe ihres 650.000 Dollar teuren, vom Staat finanzierten Anwesens hinunterstieg – eine der vielen Zulagen aus dem Beruf ihres Mannes, die ihre Ehe erträglich machten. Als Frau eines bekannten Gouverneurs hatte sie Trost in dem Ansehen und den materiellen Werten gefunden, welche die Position ihres Ehemannes mit sich brachten. Sie wusste, dass sie keine Liebesehe führten. Vielmehr handelte es sich um ein Geschäftsabkommen. Ihre Aufgabe war es, die pflichtbewusste First Lady zu mimen und der Öffentlichkeit ein Bild der Anmut, Schönheit und Eleganz zu vermitteln. Währenddessen aalte sich ihr Ehemann in unzähligen Affären, was für sie jedoch akzeptabel erschien, da sie ohnehin keinerlei Bedürfnis mehr empfand, mit ihm zu schlafen. Sie würde seine Fehltritte so lange tolerieren, wie sie eine Gegenleistung dafür bekam – den Status der Gattin eines Senators.
Während sie durch das Wohnzimmer lief, den Morgenmantel eng um sich geschlungen, freute sich Darlene bereits auf ein Glas warmer Milch, um die Kälte aus ihren Gliedern zu vertreiben.
In der Küche angekommen tastete sie nach der Kochinsel, fand sie und arbeitete sich von dort zum Kühlschrank aus Edelstahl weiter, der in einer der Wände eingebaut war. Als sie die Tür öffnete, fiel ein schwacher Lichtstrahl in die Küche, der es kaum bis in die hintersten Ecken des Raumes schaffte. Erst als sie die Milch auf der Kücheninsel abstellte, bemerkte sie etwas Schwarzes, Amöbenhaftes vor der hinteren Wand. Etwas, das schließlich die Form eines Mannes mit einer Waffe annahm.
Noch bevor ihr Verstand begriff, dass sie nicht allein war, entfuhr ihr ein leises Keuchen. Und als sie begann, den Ernst der Lage zu erkennen, schälte sich der Umriss aus der Dunkelheit. Er trug eine Kampfuniform, schwarz, mit dazu passenden Stiefeln. Sein Gesicht war zum Teil hinter einem Nachtsichtgerät verborgen. In der Hand des Eindringlings, die er für den tödlichen Schuss erhoben hatte, befand sich eine Sig Sauer Kaliber .40 mit Schalldämpfer und Laserzielvorrichtung.
»Es tut mir leid«, flüsterte der Mann und ließ den roten Punkt des Lasers erst über ihre Brust, dann über ihre Augenbrauen wandern. »Aber ich fürchte, Sie sind ein Opfer der Umstände geworden.« Dann drückte er ab. Der gedämpfte Schuss, mit dem die Kugel in ihre Stirn schlug und am Hinterkopf wieder austrat, war kaum zu hören. Blut und Gewebe aus der fleischigen Öffnung der Austrittswunde hinterließen hinter ihr einen Fleck an der Wand, der an ein Gemälde von Jackson Pollock erinnerte. Während Darlene noch lautlos und in einer Pirouette zusammenbrach, war der Attentäter bereits aus dem Raum verschwunden.
Jonathan Steele erwachte aus einem unguten, zähen Traum und bemerkte, dass seine Frau nicht neben ihm lag. Seine Hand suchte die warme Stelle auf ihrer Seite des Bettes ab, als er die phosphorgrünen Punkte bemerkte, die sein Bett wie Glühwürmchen umkreisten. Mit der seltenen Gabe einer kräftigen Stimme ausgestattet forderte er die lebenden Schatten in seinem Zimmer heraus.
Die sich bewegenden Kreise erstarrten.
Dann drang aus der Tiefe der Schatten eine emotionslose Stimme zu ihm heran. »Gouverneur Steele.« Ein bedrohlicher Umriss bewegte sich näher auf das Bett zu. »Sie wurden als moralisches Opfer auserkoren.«
Der Gouverneur sah sich zum Handeln veranlasst und warf die Decke zurück. Das Geräusch, das er von sich gab, als ihn mehrere Hände wieder zurück auf die Matratze drückten, erinnerte nun kaum noch an sein eben noch unter Beweis gestelltes Selbstbewusstsein. »Was soll das? Sie haben kein Recht, das zu tun! Lassen Sie mich los!«
Steele sah, wie sich die phosphorgrünen Augen bewegten und spürte die Stärke seiner Angreifer, als einer der Eindringlinge den Ärmel seines Schlafanzuges nach oben schob und ihm die Nadel einer Spritze in den Arm stach. Sofort verschwamm das Licht vor seinen Augen. Er bemerkte noch, wie sich sein Verstand immer mehr verlangsamte, dann fiel er in eine tiefe und vollständige Dunkelheit.
Das Geräusch kam von fern, doch es genügte, um Papst Pius XIII. aus einem undeutlichen Traum zu reißen, an den er sich kaum erinnern konnte. Er lag da und lauschte, hörte aber nichts weiter als die Blätter, welche der Wind gegen sein Fenster wehte.
Als er sich in eine sitzende Position gebracht hatte, glaubte er, die schattenhafte Bewegung von Füßen hinter dem Spalt unter seiner Schlafzimmertür gesehen zu haben.
»Hallo?«
Obwohl sich nun nichts mehr regte, wusste Pius doch genau, dass hinter der Tür jemand stand.
In einem etwas besonnenerem Ton schob er nach: »Gouverneur?«
Die Tür öffnete sich langsam und offenbarte zwei Männer in militärischer Kleidung, die sich vor dem Flur abzeichneten. Das einzige Licht stammte von dem fahlen, bläulich wirkenden Mondlicht, das zum Fenster hereinfiel. Einer der Männer hob die Hand, betätigte einen Schalter an seinem Sichtgerät und aktivierte ein phosphorgrünes Licht, welches ihm den Vorteil der Nachtsicht verschaffte.
»Eure Heiligkeit«,