Titain - Warrior Lover 15. Inka Loreen Minden
»Hörst du mich?«
Der Körper des Androiden begann plötzlich zu zittern, als hätte er keine Kraft mehr in den Beinen. Leicht drehte er den Kopf in Koas Richtung und fragte mit krächzender Stimme: »Koa? Bist du das? Wie lange war ich eingefroren?«
Pearl klappte der Mund auf. Titain verhielt sich völlig untypisch für einen Roboter, ja, geradezu menschlich!
Ihr Puls raste, die Sicht verschwamm vor ihren Augen.
»Die Steuerung ist ausgefallen«, erklärte der Arzt hastig. »Er hat volle Kontrolle über sich!«
»Koa!«, befahl nun Valerian barsch. »Bring ihn zur Liege und schnall ihn darauf fest, bevor er seine ganze Kraft zurückgewinnt!«
Koa reagierte mit leichtem Zögern und packte Titain mit beiden Händen am Oberarm, um ihn aus der Kapsel zu zerren. Dem neuen Androiden knickten kurz die Füße weg, dann kam er auf die Beine und versuchte, sich aus Koas Griff zu winden.
»Was machst du?«, fragte Titain, wobei seine Stimme nun klarer klang, aber immer noch leicht rau.
Nun zitterte auch Pearls Hand, als sie das Bild erneut vergrößerte, um Titain direkt in die Augen sehen zu können. Darin las sie blanke Panik!
In ihrem Kopf ratterte es, und das Puzzle, das sie Stück für Stück zusammengesetzt hatte, ergab nun ein deutliches Bild. Titain war kein Android, sondern ein Mensch! Und er hatte furchtbare Angst!
Das kann doch nicht wahr sein, dachte sie und musste auch Koa immer wieder anstarren. Was war dann er? Etwa auch ein Mensch – von seinem Metallarm einmal abgesehen –, den eine »Steuerung« willenlos und zu einem Sklaven machte? Zu Pearls persönlichem Arbeiter?
Nein, nein, nein! Übelkeit explodierte in ihrem Magen. Koa musste einfach ein Android sein! Über die Alternative konnte und wollte sie gerade nicht nachdenken.
Titain versuchte sich immer noch zu wehren, obwohl er durch den Auftauprozess schwach zu sein schien, aber Koa war stärker. Vor allem in seinem Metallarm besaß er eine schier unendliche Kraft, wusste Pearl. Er schleifte Titain zu einer Liege, an der bereits Manschetten befestigt waren, und begann, ihn darauf festzuschnallen.
Titains Bauch- und Oberarmmuskeln spannten sich an, als er probierte, die Fesseln um seine Hand- und Fußgelenke zu sprengen, aber sie saßen bombenfest. Schließlich legte ihm Koa auch noch eine Manschette um den Hals.
»Sein Puls ist viel zu hoch!«, rief Dr. Scheele. »Ich muss ihm etwas zur Beruhigung geben; er sollte sich in diesem Zustand nicht so sehr aufregen!« Mit zitternden Fingern versuchte der Doc, eine Spritze aufzuziehen, während Titain rief: »Was ist los? Wo bin ich? In der Fabrik?«
»Die Steuerung funktioniert immer noch nicht«, sagte Cornelius zornig. »Hat wohl die Kälte nicht überlebt.«
»Wir setzen ihm eine neue ein«, erklärte der Arzt, nachdem er Titain das Beruhigungsmittel injiziert hatte. »Ich muss an seinen Nacken!«
Pearl trennte schnell die Verbindung und schaffte es gerade noch zur Toilette, um sich zu übergeben. Doch bloß ein wenig bittere Galle kam heraus, schließlich hatte sie außer der Pille nichts im Magen.
Schwer atmend trank sie ein paar Schlucke aus dem Wasserhahn und lehnte sich anschließend wie gelähmt gegen die Wand. Sie hatte genug gesehen und kannte nun die schreckliche Wahrheit. Man hatte sie angelogen. Sie alle!
Ihr Herz raste wie verrückt, und sie sah immer noch Titains vor Panik aufgerissene Augen. Sie musste ihm helfen und auch Koa, falls er wirklich ein Mensch war! Allerdings wollte sie sich das nicht ausmalen, denn sie kannte ihn bereits ihr ganzes Leben nur in diesem Zustand, in dem er bedingungslos jedem Befehl gehorchte.
Was kann ich tun?, fragte sie sich, kaum fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Titain ist ein Mensch!
Bevor ihr erneut schlecht wurde, atmete sie tief durch und überlegte hart, was sie jetzt machen sollte. Auf jeden Fall durfte sie sich nicht auffällig verhalten, musste sich beruhigen!
Sie stopfte ihr Tablet in den Rucksack, schulterte ihn und öffnete die Tür. Als sie in den leeren Gang trat, in dem nur ein paar tellergroße Putzroboter ihre Arbeit verrichteten und leise surrend den Boden saugten, blieb sie wie angewurzelt stehen. Wen konnte sie um Hilfe bitten, wem sollte sie davon erzählen? Einem Oberen ganz sicher nicht, die waren ja alle dabei gewesen und wussten ganz genau, was hier gespielt wurde! Wem konnte sie vertrauen? Im Grunde niemandem, nicht einmal ihrer Schwester Jane, die jetzt wahrscheinlich ohnehin schon im Bett lag.
Pearl war ganz allein mit der grausamen Wahrheit und würde das Geheimnis um Titain niemals lüften können. Man würde sie mit der härtesten aller Strafen belegen und sie von hier verbannen, nach draußen bringen, in die Glutwüste verfrachten und dort zum Sterben zurücklassen! So erzählten es die Älteren, denn es war seit vielen Jahren niemand mehr verbannt worden. Die Shuttles waren längst nicht mehr fahrtüchtig; die mussten erst generalüberholt werden. Es gab zwar noch die Evakuierungs-Schiffe für die Oberen, doch die würden sie garantiert nicht für Pearl »verschwenden«. Eine weitere Option wäre noch das »Fluten«, das sich früher wohl auch großer Beliebtheit erfreut hatte. Doch das könnte die Megas, die gefährlichen und sehr aggressiven Riesenhaie anlocken, die hin und wieder die Kuppeln attackierten. Also würde man sie umbringen und dem »Kreislauf« zuführen. Die Toten wurden verbrannt, und ihre Asche als Dünger benutzt. Vielleicht würde man sie aber auch zur ewigen Arbeit in den Minen auf dem Meeresgrund verdammen – und Letzteres wollte sie auf keinen Fall. Vorher würde sie alles versuchen, um von hier zu verschwinden, auch wenn sie draußen an Land wahrlich kein besseres Leben erwartete.
Kapitel 3 – Ein Scheißleben
»Soll ich ihn nicht doch betäuben?«, drang die aufgeregte Stimme des jungen Arztes an seine Ohren. Er konnte ihn und auch die anderen nicht sehen, weil er mittlerweile auf dem Bauch lag, festgezurrt auf dieser verfluchten Liege.
»Titain ist ein ehemaliger Warrior, der hält das aus«, antwortete Cornelius Hawthorne oder war es Valerian Audley? Nepos Moore auf jeden Fall nicht, denn der besaß eine Stimme wie ein Reibeisen.
Er hatte die drei Männer sofort erkannt, obwohl sie jetzt aussahen wie Greise. Sie alle waren dabei gewesen, als ihre perversen Ärzte an ihm herumexperimentiert hatten.
»A-aber wenn er sich bewegt«, stotterte der Doc, »könnte ich wichtiges Gewebe beschädigen oder die Steuerung funktioniert dann vielleicht nicht richtig.«
»Dann fixieren wir ihn ordentlich«, beschloss einer der Alten. »Koa …«
Fuck, diese verdammten Drecksäcke wollten ihn erneut an diese verfickte Steuerung koppeln, die ihn zu einem willenlosen Lakaien machte!
Ich werde nicht wieder zu ihrem Sklaven, nicht zu ihrem Diener, wiederholte er ununterbrochen im Geiste, während Koa seinen Kopf in einer Art Schraubstock fixierte.
Würde Titain noch sein normales Skelett besitzen, hätte er durch den wahnsinnigen Druck auf seinen Schädel jetzt vielleicht vor Schmerzen geschrien. Aber er besaß keine gewöhnlichen Knochen mehr. Die waren von diesen kranken Wissenschaftlern in einem tagelangen Prozess mit einer extraharten Legierung überzogen worden. Damals hatte er geschrien und sein Herz war wegen der enormen Belastung mehrmals stehen geblieben. Doch die Nanobots, diese kleinen Biester, die nicht nur seine Knochenstruktur verändert hatten, hatten auch dafür gesorgt, dass sein Herz jedes Mal wieder zu schlagen begonnen hatte. Außerdem war es nicht bei einer »Modifikation« geblieben. Später hatten sie ihn erneut in ein Shuttle verfrachtet, ihn »deaktiviert«, sodass er nicht wusste, wohin die Reise ging, und er war in einem Operationssaal wieder aufgewacht …
Koa hatte genau solch ein Leid erfahren wie er, wahrscheinlich sogar Schlimmeres, denn seinem ehemaligen Waffenbruder hatten sie nicht nur einen ganzen Arm ersetzt, sondern auch das Herz und die Augen, soweit er das noch wusste. Deshalb vergab ihm Titain, denn der Krieger konnte nichts für seine Taten. Koa sah, genau wie Audley und Moore, ebenfalls um viele Jahre gealtert aus. Nur bei Hawthorne schien der Lauf der Zeit gnädiger gewesen zu sein.
Wie