Titain - Warrior Lover 15. Inka Loreen Minden
in seine Haut drückten. Und warum musste dieser Albtraum von vorne beginnen? Was würden sie diesmal mit ihm anstellen?
Er würde sich mit aller mentaler Kraft gegen seine Steuerung wehren und jeden töten, der sich ihm in den Weg stellte, und wenn es das Letzte war, was er tat …
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Pearl bahnte sich ihren Weg zwischen den Putzrobotern hindurch in Richtung Kantine und hoffte, dass ihre butterweichen Knie nicht nachgaben. Sie musste genau dasselbe tun wie an jedem Tag auf ihrem Weg zur Arbeit, um nicht aufzufallen. Konnte man ihr ansehen, was in ihr vorging? Ihre Aufregung spüren?
Weil sie völlig in Gedanken versunken war, stolperte sie beinahe mehrmals über einen der teller- bis kistengroßen Putzroboter, die leise surrend vor ihren Füßen herumwirbelten, um den Boden zu saugen. Andere wischten feucht nach und wieder andere sammelten gröberen Müll ein. Pearl traf nur nachts auf sie, wenn fast alle Einwohner, bis auf ein paar Arbeiter, schliefen. Meistens sagte sie dann zum Spaß: »Na, meine quirligen Freunde, auch schon ausgeschlafen?« Aber heute stand ihr nicht der Sinn nach Humor.
Denk nach, ermahnte sie sich und versuchte, sich nicht schuldbewusst zu ducken, als sie an einem der riesigen »Metallsoldaten« vorbeilief. Diese silberfarbenen Roboter konnten ihr schließlich nicht in den Kopf schauen! Sie waren jedoch imposant, beinahe drei Meter groß, und standen in fast jedem Gang und in jeder Kuppel der Unterwasserstadt. »Die Garde« wurden sie genannt und nur aktiviert, wenn das Notfallprotokoll in Kraft trat. Das würde allerdings bloß geschehen, falls die Arbeiter oder sonst jemand, zum Beispiel Eindringlinge von draußen, versuchen sollten, Paradisia zu übernehmen. Doch wenn da oben an Land ohnehin niemand mehr lebte – außer in den Kuppelstädten, deren Menschen darin genauso gefangen waren wie Pearl hier – wer sollte dann jemals an diesem Ort auftauchen?
Bisher hatte sie immer geglaubt, unter Koas organischer Hülle würde ebenfalls solch ein Metallgerüst stecken, weil auch sein Arm fast genauso aussah wie der eines Garde-Soldaten. Aber jetzt war sie sich da nicht mehr sicher.
Während sie weiterlief, dachte sie über ihr Leben in Paradisia nach. Hätte sie mehr Rechte, mehr Freizeit und eine bessere medizinische Versorgung, könnte es womöglich ganz angenehm sein. Sie schritt durch einen gläsernen Tunnel, der die Unterkünfte der Techniker mit der nächsten Kuppel verband, und betrachtete kleine bunte Fische, die im Meer vorbeihuschten und sich gerne im Licht aufhielten. Hier in den unteren Etagen – nur die Grabungskuppel und die Minen lagen noch tiefer – kam auch tagsüber nur wenig Sonnenlicht an.
Die ganze Unterwasserstadt, die aktuell knapp 1400 Einwohnern Schutz bot, bestand aus zehn kleineren Kuppeln mit einem Durchmesser von je hundert Metern und vier größeren Kuppeltürmen, in denen das tägliche Leben stattfand. Dort gab es von Bars, Spas über Erlebnisbäder bis Friseurläden und Beautysalons alle Annehmlichkeiten für die höhere Gesellschaft. Dabei sollten die Arbeiter mehr Platz haben als diese Privs, schließlich gab es von ihnen viel mehr Leute!
Über den gigantischen Stahlkonstruktionen der Kuppeln wölbten sich drei Meter dicke Scheiben aus Acrylglas, die in den tieferen Regionen zusätzlich mit glasfaserverstärktem Kunststoff verkleidet waren, um dem enormen Wasserdruck – und den mutierten Meeresbewohnern – standhalten zu können. Armdicke Seile aus einer Speziallegierung, die dem Salzwasser trotzte, verankerten die Kuppeln und Verbindungsröhren »schwebend« auf dem Meeresboden, damit im Falle eines Erdbebens die Scheiben keine Risse bekamen. Zusätzliche Gewichte zogen die Kuppeln nach unten. Biogasanlagen produzierten Wärme und Strom, genau wie die Turbinen außerhalb der Stadt, durch die Meerwasser strömte.
In den kleineren Kuppeln, in denen auch die Schlafbereiche der Arbeiter lagen, wurden hauptsächlich Nahrungsmittel angebaut. Doch die Hauptnahrungsquellen in Paradisia waren natürlich Fische und Algen, die in Farmen innerhalb – mit Süßwasser – und auch außerhalb der Stadt gezüchtet wurden. Eine spezielle Algenart, die keine radioaktiven Elemente in ihren Zellen einlagerte, lieferte ihnen die nötige Jodzufuhr.
Tauchroboter übernahmen die Ernte, aber manchmal musste auch Koa in einem speziellen Druckanzug nach draußen gehen, falls einer der Roboter repariert werden musste.
In den oberen Bereichen, die keine zwanzig Meter unter der Wasseroberfläche lagen, konnte man auch während des Tages ohne künstliches Licht die Meeresbewohner beobachten, zumindest wenn sie nah genug an die Scheiben herankamen. Denn die Sichtweite unter Wasser betrug an manchen Stellen kaum eine Armeslänge, an anderen keine fünf Meter, was auch dafür sorgte, dass niemand Paradisia von der Luft aus entdecken konnte.
Luft … Wie gerne wollte Pearl einmal den echten Himmel sehen. Doch weil sie das wahrscheinlich niemals würde tun können, fand sie es in den oberen Bereichen der Stadt am schönsten. Dort lagen natürlich auch die Aufenthalts- und Wohnräume der Privilegierten – die die meisten von ihnen einfach nur als »Privs« bezeichneten. In dieser Woche durfte sich Pearl oft »oben« aufhalten, denn sie musste sich auf Ebene zwei unter anderem um die »Sonnenterrassen« kümmern, damit die Schickimicki-Beautys immer hübsch gebräunt aussahen. Irgendwo dort funktionierte auch eine Klimaanlage nicht mehr richtig. Sie diente nicht nur zum Kühlen oder Heizen, sondern sorgte auch für trockene Luft. Denn viele Menschen an einem Ort produzierten jede Menge Feuchtigkeit, weshalb dort bereits die Scheiben beschlugen.
Pearl marschierte weiter, vorbei an Büschen, Blumen und Bäumen, die überall in der Stadt gepflanzt worden waren. Sie sorgten zusätzlich für frischen Sauerstoff – neben einem Reaktor, der durch Elektrolyse aus dem Meerwasser Sauerstoff sowie Trinkwasser gewann und gleichzeitig Wasserstoff zur Energieversorgung lieferte. Eine Ionenaustauscher-Anlage filterte die radioaktiven Elemente heraus. Trotzdem waren die Pflanzen wichtig, denn manche Gewächse filterten sogar Schadstoffe aus der Luft. Deshalb hatten die Gärtner, neben den Wartungstechnikern und Nahrungsversorgern, einen der wichtigsten Jobs in Paradisia. Und wie dankte man es ihnen? Mit winzigen Wohnzellen und Sechs-Tage-Wochen!
Pearl versuchte, sich nicht in die altbekannte Wut hineinzusteigern, die schon ewig in ihr schwelte, und betrat die Kantine der Angestellten. Um diese Zeit war das reguläre Abendessen natürlich schon vorbei, trotzdem war sie nicht allein, denn einige arbeiteten auch nachts, um tagsüber das Leben der Privilegierten nicht zu stören. An den etwa hundert runden Vierertischen, die eine dunkelblaue Platte besaßen, hockten um die zwanzig Leute in grünen Overalls. Pearl nickte den Zwillingen Pierre und Marcel zu, die geschätzte zwanzig Jahre alt und hier für die Sanitäranlagen zuständig waren. Danach winkte sie Frenchie. Die ältere Frau mit den weißgelockten Haaren musste immer noch ihrer Arbeit als Pflanzentechnologin nachkommen. Sie alle schufteten hier bis zum Umfallen. Wer krank wurde oder aus anderen Gründen längere Zeit ausfiel, musste die verlorenen Stunden nachholen, was oft bedeutete, dass der einzige freie Tag in der Woche auch noch gestrichen wurde. Deshalb wurden viele von ihnen auch nicht alt. Arbeiter-Nachschub stellte sich jedoch auf natürliche Weise ein, denn sie lebten hier nicht wie die Mönche. Den Nachwuchs mussten sie wiederum anlernen; meist traten die Kinder in die Fußstapfen ihrer Eltern. Immerhin durften die Arbeiter niemals ausgehen, aber zu stark vermehren durften sie sich aus Platzmangel auch nicht. Die Stadt konnte nicht unendlich viele Leute beherbergen. Frenchie zählte auf jeden Fall zum Urgestein. Sie war ein richtig zähes Ding und züchtete im Labor Pflänzlinge. Durch Kreuzungen versuchte sie außerdem, robustere Arten zu erschaffen. Sie hatte auch als eine der wenigen Nicht-Privilegierten eine Augenoperation genehmigt und neue Linsen eingesetzt bekommen. Sie sah jetzt scharf wie eine Mantis-Garnele.
Frenchie hatte wirklich Glück. Pearls Mutter hatte dieses Privileg nicht erhalten und war bei ihrer Geburt gestorben. Außerdem wusste niemand, wer ihr Vater war. Diese »Zustände« machten sie richtig aggressiv! Die Privs besaßen die besten Ärzte und Einrichtungen, und als Arbeiter stand einem nur die Grundversorgung zu. »Damit sich die medizinischen Geräte nicht zu sehr abnutzen«, hatte man ihnen erklärt. Ja, wozu war Pearl denn Wartungstechnikerin? Sie konnte alles reparieren, wenn sie wollte!
Ihre Mutter hatte angeblich denselben Job gemacht wie sie, und so war es ihr gedankt worden? Man ließ sie bei der Geburt verbluten? Und warum orderte niemand einen DNS-Test an, um ihren Vater zu finden? Der Mistkerl hatte sich aus der Verantwortung gestohlen, und Pearl war von einer Amme großgezogen worden.
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