Der Selbstmörder. Paul Blumenreich

Der Selbstmörder - Paul Blumenreich


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er längst hier sein müssen.

      »Mein Gott, wie verwirrt mein Mann ist!« sagte Frau Hilmar. »Da hat er den Schlüssel an meiner Privatkasse stecken lassen. Zum Glück sind ehrliche Leute hier.«

      »Und Fremde kommen nicht in das Comptoir,« beruhigte sie Waldenburg. Er sagte das ganz unbefangen. Plötzlich aber veränderte sich seine Miene; mit eigentümlichem Ausdruck hing sein Blick an der Kasse. Wenn darin Geld fehlte – wenn »er« – der glänzende Karl, der Sieger bei allen Frauen – o, es wäre großartig!

      Nein, er, Waldenburg wünschte niemand etwas Böses. Aber diesen Karl hätte er manchmal erwürgen können. Anfangs hatte jener sehr auffällig mit Pauline, der hübschen Kassiererin, getändelt, und ihm, Waldenburg, gefiel das Mädchen selbst. Aber gegen den sieghaften, jungen, schönen – ach, so schlank gewachsenen Herrn Hilmar – konnte der fast komisch kleine Freiherr nicht aufkommen.

      Und dann kam Josepha – wieder ein schönes Mädchen! Jetzt kaperte der verführerische Karl diese – nur so im Handumdrehen. Es war wirklich empörend. O – wenn dieser unwiderstehliche Held mit der Kasse durchgebrannt wäre! –

      Aber niemand dachte an diese Möglichkeit. Es war wohl auch Unsinn. Der junge Mann war wohlsituiert, war als künftiger Schwiegersohn auch der präsumtive Erbe.

      Nein – es war nichts! Die Kasse war doch intakt!

      Und Waldenburg wandte sich indigniert ab.

      Die Privatkasse war eigentlich diejenige der Frau Hilmar. Sie enthielt die Depositenscheine über ihre Mitgift nebst einigem barem Gelde. Bei der musterhaften Ordnung auch in den Privatverhältnissen des Hauses war man darüber einig geworden, daß Frau Hilmar einen gewissen Teil ihrer Ausgaben aus ihren Privatmitteln bestreite, und das geschah aus jener wohlbesetzten kleinen Kassette, die morgens aus dem großen Geldschrank genommen wurde, um abends wieder unter Verschluß zu gelangen. Jetzt zog sie den Schlüssel ab und verbarg ihn ängstlich.

      Und jetzt kamen auch Kunden. Die neuen Armleuchter mit farbigen elektrischen Glühlämpchen waren ein begehrter Artikel geworden, ebenso die reizenden Blumenvasen aus einer Kombination von Marmor und Bronze. Waldenburg verkaufte mit gewohnter Beredsamkeit und gewohntem Erfolge. Und jetzt kam der alte Hilmar vom Polizeibureau zurück, sank in einen für die Kunden bestimmten Sessel.

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      »Keine Spur von ihm, man weiß nichts,« jammerte er, ohne auf die im Laden Anwesenden zu achten. Zwei Damen, welche eben eine Schreibtischgarnitur erhandelten, zeigten Teilnahme; der Chef beachtete sie kaum. Er klagte weiter:

      »Und es ist doch kein Grund vorhanden, absolut keiner! Der Junge war gut gestellt, hatte Geld, er hatte auch keine Schulden; ich habe eben sein Ausgabenbuch gesehen, auch nachgefragt, wo immer eine Möglichkeit gewesen wäre; niemand weiß von Schulden. Er war kerngesund und hatte eine schöne Zukunft vor sich. Er war verlobt und liebte meine Josepha; das Leben lag vor ihm wie eitel Rosenfarbe und Sonnenlicht.«

      »Es muß ihm ein Unfall zugestoßen sein,« bemerkte Waldenburg, während er den Damen auseinandersetzte, daß cuivre poli ein überwundener Standpunkt sei.

      »Dann wüßte man's auf der Polizei,« fuhr der Alte fort, »der Junge wäre in einem Krankenhause. Ich habe überall angefragt und anfragen lassen.«

      Alle schwiegen. Der Chef konnte sich nicht beruhigen.

      »Er muß irgendwo verunglückt sein, z. B. an einem der Seen; anders kann man außerhalb Berlins nicht leicht zu Schaden kommen, und in der Stadt ist ihm nichts geschehen, sonst wüßte man es auf der Polizei. Was aber bestimmte ihn, gestern abend hinauszugehen ohne uns, ohne Josepha? Er sollte und wollte doch um neun Uhr bei meinem Geschäftsfreunde sein, hat dort sein Wiederkommen in Aussicht gestellt. Von diesem Augenblicke an fehlt jede Spur von ihm. Wenn ihn schon die Lust zu einem Ausfluge ankam, warum sollte er uns nicht benachrichtigt haben, und wär's selbst mit einer Ausrede? – Mein Gott, ich selbst habe nie eine Ausrede gebraucht, aber die junge Welt von heute ... nun, ich würde es ja gelten lassen, es kann ja vorkommen! Aber so ohne Erklärung abends, da er noch geschäftlich zu tun hatte, etwa nach dem Müggelsee zu fahren und dort zu ertrinken, – und auch gleich zu ertrinken! Und man wüßte auch das bei der Polizei, man müßte eine Nachricht haben!«

      Die beiden Damen hörten schweigend zu; das rätselhafte Unglück interessierte sie mehr, als die Schreibtischgarnitur in vieil argent.

      »Er wird fortgereist sein,« wagte Waldenburg zu bemerken.

      »Aber warum? – Und warum heimlich?« fragte der Alte, der in dieser Stimmung auf alles einzugehen bereit war. –

      Niemand antwortete, und plötzlich brach Herr Hilmar in Verzweiflung aus:

      »Er ist tot, tot!« Der alte Mann war ganz gebrochen.

      Inzwischen war Josepha eingetreten.

      »Nein,« versicherte sie bestimmter als es sonst ihre Art war, »er ist nicht tot. Es kann nicht sein, Papa.«

      Zufällig begegnete ihr Blick dem Paulinens, und diese erwiderte zuversichtlich:

      »Nein, er ist nicht tot; ich glaube es nicht. Er wird wiederkommen!«

      *

      Ein Schuß krachte. – Armin Bode stieß einen Schreckensschrei aus. Er war noch spät abends in den Tiergarten gegangen, um einen Spaziergang zu machen; er hatte sich dabei in dem fremden, ungeheueren Park verlaufen. Das steigerte das Gefühl der schmerzlichen Bangigkeit, die ihn in diesen Tagen befallen hatte, zu heftigem Weh.

      Er war vollständig fremd in Berlin. In einer entfernten Provinzstadt war er als einziger Sohn kleiner Bürgersleute aufgewachsen, hatte gute Schulbildung und eine praktische Kenntnis sich erworben; nun waren seine Eltern rasch hintereinander gestorben, und er stand allein.

      Allein und traurig hatte er ein Abendbrot eingenommen, das ihm nicht schmeckte, denn er war die süddeutsche Kost gewöhnt: nun ging er in den Tiergarten in der unbestimmten Erwartung, auf irgend einer Bank einen Menschen zu finden, der mit ihm plauderte – irgend eine Bekanntschaft zu machen. Wie oft hatte er derlei in Romanen gelesen! – Aber das Glück war ihm nicht hold. Zwei junge Damen, die er schüchtern zu grüßen wagte, als er sich neben sie setzte, wandten ihm den Rücken; ein alter Herr erwies sich als schwerhörig und ein jüngerer war mißtrauisch und unzugänglich. So stand Arnim sehr bald auf, um nach weiterem Wandern wiederum Platz zu suchen, um neuerdings nichts erlebt zu haben.

      Dabei verlor er die Richtung, und als ihn jemand nach der Charlottenburger Chaussee weisen wollte, verlief er sich noch mehr; die Weisung war falsch gewesen, oder er hatte sie falsch verstanden.

      Es dunkelte, und die Wege wurden einsam hier draußen in der Gegend des neuen Sees, wo der Park nirgends erleuchtet war; und diese fremde, dämmernde, einsame Parkwildnis machte ihn melancholisch, schien ihm symbolisch für seine Existenz.

      Und jetzt krachte ein Schuß im Gebüsch.

      Der ahnungslose Spaziergänger zitterte vor Schreck. »Ein Selbstmörder!« zuckte es ihm durch's Hirn. »Einer von denjenigen, die in der Riesenstadt einen harten Kampf ums Dasein führten und erlagen.«

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      O Gott, war das eine Vorbedeutung für ihn? –

      Aber er durfte nicht müßig bleiben. Ohne Rücksicht auf seine Kleider drang er in das Gebüsch, woher der Schuß gekommen. Er erbebte im innersten Herzen, als er, mit dem Rücken gegen einen Stamm lehnend, eine dunkle, schwach ächzende Gestalt erblickte. Zaghaft trat er näher. Er wußte, derlei war in der Großstadt eine alltägliche Erscheinung; für ihn aber bot sich da etwas Neues, Unerhörtes, das er sich vielleicht einmal in müßigen Stunden nach aufregender Lektüre vorgestellt, das er aber niemals glaubte, selbst erleben zu müssen. Sein Herz drohte ihm zu zerspringen.

      Es war ein junger Mann ungefähr in demselben Alter


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