Der Selbstmörder. Paul Blumenreich

Der Selbstmörder - Paul Blumenreich


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bat um ihre Freundschaft. Sie legte zuversichtlich ihre Hand in die seine; sie war von seiner Vertrauenswürdigkeit überzeugt. Trotz des blutigen Schatten Karls durchrieselte ihn ein Gefühl des Glückes; er besaß eine holde Freundin, deren wohlwollende Gesinnung eine wunderbare Schickung ihm gesichert.

      Sie brach auf; er begleitete sie bis an die Tiergartenstraße. Ihren Ring hatte sie angesteckt. Noch einmal kam sie auf das Verhältnis im Elternhause zu sprechen. Sie durfte nicht wagen, den Ihrigen von dem Fremden zu erzählen, der sie spät abends heimlich getroffen. Aber er sollte sich im Hause vorstellen, sollte sich um die vakant gewordene Buchhalterstelle bewerben, von der er zufällig gehört. Es war im Gespräch berührt worden, daß er in einer Lampenfabrik die Handlung erlernt hatte, während Josephas Vater ein großes Bronzeluxuswarengeschäft führte.

      Josepha war ruhig geworden. Sie schilderte mit Eifer die Art und Weise der Eltern, damit Armin sich glücklicher bei ihnen einführe. Dazwischen seufzte sie:

      »Armer, armer Karl! – Wie gern er lebte, – wie lebensfroh er gewesen!«

      Aber sie hatte sich doch in den Gedanken gefunden, daß er tot sei. Die vorhergehenden Tage hatten sie ja auch vorbereitet, und an Karl hatte man ja auch alles mögliche getan. Sein Schatten schien sie Zu begleiten, ohne zu zürnen.

      »Auf Wiedersehen!« sagte sie an der Ecke der Viktoriastraße. »Auf Wiedersehen! – Er ist tot,« wiederholte sie; »es ist bitter traurig, das zu wissen, aber doch eine Erlösung nach der schrecklichen Ungewißheit. Auf Wiedersehen!«

      Als ihre schlanke Gestalt entschwunden war, entsann er sich erst seines Zweifels, ob Karl wirklich tot war. Er war fast sicher, aber ein Zweifel blieb doch in seiner Seele zurück.

      Torheit! – Hatte er ihn nicht beinahe sterben sehen? Verlor jener nicht das Bewußtsein? – Saß die Wunde nicht unmittelbar an der Schläfe? – Vielleicht aber hatte er ein Papier bei sich, in welchem er um Verschwiegenheit bat Dennoch, dennoch regte sich immer wieder die bange Frage.

      *

      Ganz aufgeregt war Pauline am Abend nach Hause gekommen. Ach, es war zu viel, was auf sie einstürmte!

      Die kleine Wohnung, drei Treppen hoch, mit niedrigen Stuben, die mit kümmerlichem Hausrat vollgepfropft waren, wurde ihr heute zu eng, ihr war zum Ersticken.

      Sie hatte, seit sie die Flügel regen konnte, hinausgestrebt aus ihrer engbegrenzten Existenz. Ihr Vater war früh gestorben, die Mutter ein schwacher Charakter mit herkömmlichen, beschränkten Lebensanschauungen, der Vormund ein gleichgiltiger Geschäftsmann, der sein Mündel gewissenhaft betreute, aber sich wenig um die Eigenart des Mädchens kümmerte. Sie war ein begabtes Kind, lernte leicht, überflügelte spielend ihre Mitschülerinnen und wurde sich sehr früh ihrer persönlichen Macht bewußt. Ja, sie besaß die glückliche Gabe, zu gefallen. Schon in der Schule an ihren Lehrern, an dem strengen Rektor erprobte sie es. Aber ihre Koketterie blieb immer die eines unschuldigen Kindes; sie war sittenstreng erzogen, und man hatte von früh an ihren Sinn auf den Ernst des Lebens gelenkt. Sie sollte lernen ihr Brot verdienen, das prägte man ihr täglich ein. Sie sah Sorge und Entbehrung im Hause und begriff die Notwendigkeit, welche ihr der Vormund und die Mutter predigten.

      Dennoch träumten sie von einer schönen, glücklichen Zukunft. So lange sie klein war, von Aschenbrödel und dem Prinzen, später von Romanschicksalen, nach welchen hübsche, tugendhafte, wenn auch arme Mädchen ihr Glück machen. – Einmal hatte sie bei einer Schulfeier eine große Deklamation vorzutragen; das gelang ihr so vollkommen, sie gefiel so außerordentlich, daß die Hörer in Beifall ausbrachen, obgleich der gestrenge Herr Rektor gleich zu Beginn jede Zustimmungsäußerung verboten hatte. Und nun nahmen ihre Träume eine bestimmte Gestalt an: zur Bühne zu gehen. Sie blieb diesem Vorsatz treu, trotzdem man sie nach Beendigung ihrer Schulzeit nötigte, zwei Jahre lang Kunststickerei zu erlernen. Nebenbei arbeitete sie mit einer für ihr Alter seltenen Energie an ihrer Fortbildung, lernte Sprachen, Literatur in billigen oder unentgeltlichen Abendkursen. Sechzehn Jahre alt geworden, trat sie mit ihrem großen Wunsche hervor, zur Bühne zu gehen.

      Die Mutter war entsetzt über diesen Einfall und der Vormund pflichtete ihr bei. Da kam Paulinen unerwartet Hilfe.

      Ihre Tante, eine etwas excentrische, nicht ganz unbemittelte, alte Jungfer, deren Liebling sie immer gewesen, erklärte sich bereit, das junge Mädchen ausbilden zu lassen. Der Vormund und die Mutter gaben nun ihre Zustimmung. Nachdem Paulinens Unterricht notdürftig zu Ende geführt war, stand sie vor einer neuen, ungeahnten Schwierigkeit. Ihre Neigung, ihr Talent, ihr ganzes Gefühlsleben drängte sie zum tragischen Fach. Sie wollte die in ihr schlummernde Leidenschaft auf der Bühne ausleben. Aber ihr Soubrettengesichtchen, ihre angenehme, aber kleine Stimme, genug, ihre ganze Erscheinung stand ihr im Wege. Dieselbe hübsche, aber nicht imposante Erscheinung verschaffte ihr auch ein Engagement an einer Berliner Bühne, zwar nicht ersten Ranges. Sie spielte hier Stubenmädchen, machte das ganz allerliebst, fühlte sich aber sehr unglücklich dabei. Man riet ihr ab, in die Provinz zu gehen, es sei dann noch schwieriger, emporzukommen. So hoffte sie denn wenigstens auf eine größere Rolle. Der Oberregisseur war ihr gewogen, leider nur zu sehr gewogen. Seine Liebenswürdigkeit beleidigte sie, und es wurde nichts, immer und immer nichts mit der großen Rolle. Ihre Lage wurde schließlich ganz unerträglich. Die kleine Gage reichte kaum hin für die Kosten der wenn auch einfachen Garderobe. Sie erübrigte bei großer Sparsamkeit ein kleines Kostgeld für die Mutter. Die Art und Weise, wie man hinter den Kulissen mit ihr, der »kleinen Norden«, umging, verletzte sie täglich und stündlich. Die Mutter überhäufte sie unaufhörlich mit Vorwürfen über ihre verfehlte Laufbahn, und die Tante schloß sich jetzt an, denn sie hatte doch nicht ihr Geld hergegeben, damit Pauline Stubenmädchen spiele.

      Da kam eine unerwartete Wendung. Pauline nahm an einem Tanzabend des Theatervereins teil, wozu sie ihr weißes Battistkleid selbst modernisiert hatte. Sie tanzte sehr gern; im übrigen versprach sie sich nicht sonderlich viel Vergnügen, denn die männlichen Kollegen flößten ihr kein Interesse mehr ein. Diese Herren, meinte sie, seien nur für jene Damen interessant, welche der Bühne ganz fern stehen. Der Abend ließ sich indessen glücklich an. Ein anwesender Bühnenschriftsteller, den sie hinter den Kulissen kennen gelernt hatte, versprach ihr eigens eine Rolle für sie zu schreiben. Und dann machte sie gleich beim ersten Tanz die Bekanntschaft eines jungen Mannes, den sie vorher nie in diesem Kreise gesehen und der ihr außerordentlich gefiel. Es war ein hübscher, schlanker, brünetter Mann von selbstbewußtem Wesen, offenbar kein Schauspieler. Er tanzte vortrefflich und machte ihr lebhaft den Hof. Auch sie gefiel ihm, das merkte sie gleich. Anfangs hielt sie ihn für einen jungen Schriftsteller, weil solche öfter hierherkamen; dann für einen Bildhauer, weil er von Modellieren sprach. Endlich rückte sie offen mit ihrer Neugier heraus, denn er interessierte sie immer mehr und mehr, und frug nach seinem Berufe.

      »Ja, ich bin auch Schriftsteller.« sagte er mit einem Seufzer, »ich schreibe ein großes dickes Buch – es ist das Hauptwerk meines Lebens. Der Apoll von Belvedere und Amor und Psyche und noch andere olympische Herrschaften kommen darin vor und alle werden darin nach ihrem wirklichen Werte gekennzeichnet, von drei Mark fünfzig Pfennig aufwärts.«

      Und er überreichte ihr seine Karte.

      »Ich bin nämlich Buchhalter eines Kunstgewerbe-Magazins.« Und er seufzte wieder tief auf.

      Pauline war ganz erstaunt. Das hätte sie nie für möglich gehalten; er war ihr ganz und gar als Künstler erschienen.

      »Sie stimmen mich wehmütig, Fräulein,« versetzte er; »dürfte ich das wenigstens anstreben, was ich Ihnen schien!«

      Und angeregt, sympathisch berührt, wie er war, erzählte er ihr, wie künstlerische Ideale ihm vorschwebten, wie heiß er sich nach einer Ausbildung sehnte, und wie doch Pflicht und Dankbarkeit ihn an die Bronzewaren-Firma Hilmar, das Geschäft seines Onkels und Pflegevaters, ketteten.

      Nun erschloß Pauline ebenfalls ihr Herz. Sie stellte ihm vor, was sie von einer Schauspielerlaufbahn gehofft und wie wenig ihr die Wirklichkeit davon gehalten habe. Sie schilderte, welchen Versuchungen sie ausgesetzt sei und wie unwürdig ihr Chef, der Oberregisseur mit ihr verfahre.

      Karl Hilmar hörte voll Teilnahme zu.

      »Es


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