Der Selbstmörder. Paul Blumenreich

Der Selbstmörder - Paul Blumenreich


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geworden? – Sie konnte nicht glauben, daß ihm ein Unfall zugestoßen war, sie glaubte eher an einen tollen Streich. Aber jedenfalls war er fort, weit fort, die schöne Josepha würde ihn nie haben; aber er würde auch nicht mit ihr, Pauline, mehr seine freundlichen Scherze machen, und von nun ab würde es recht trübselig werden in dem blinkenden, glänzenden, mit Luxusgegenständen angefüllten Geschäft.

      Die Tante aber, da lag sie mit dem gelben, eingefallenen Gesicht und schlummerte. Pauline hatte die feste Ueberzeugung, daß die alte Dame nichts oder so gut wie nichts hinterlassen würde, irgend einen Sparpfennig ohne Belang; sie hatte sich eben nur gerne wichtig gemacht. Das junge Mädchen besaß einen scharfen Verstand und eine gesunde Beobachtungsgabe, sie hatte Aeußerungen und Betragen der Alten genau summiert und gefunden, daß alle übertriebenen Hoffnungen töricht waren; gerechnet hatte Pauline nie darauf. Sie würde eben arm bleiben – arm, aber tugendhaft und ehrlich. Wohlsituierte Männer aus den Kreisen, die ihr gefielen, würden wohl einmal mit ihr tändeln, dann aber würden sie bessere Partien machen. Oder ihresgleichen, einen armen Teufel heiraten und das Leben der Not und Entbehrungen fortsetzen?

      Sie machte trotz ihrer Jugend und ihres Temperaments diese melancholischen Betrachtungen, denn sie hatte schon zu viel durchlebt, das Leben hatte sie ernst gemacht über ihre Jahre hinaus.

      Jetzt erwachte die Kranke. Sie nahm mit einer gewissen Hast die Suppe zu sich und freute sich, daß Pauline, ihr Liebling, da war.

      »Du bleibst doch bei mir, Paulinchen, nicht wahr?« fragte sie.

      »Ja, Tante, ich bleibe.«

      Ohne weiteres verlangte die kranke alte Frau von ihr die Nachtwache mit dem Egoismus des Alters und der Hinfälligkeit.

      Und so war es gewesen, seit Pauline denken konnte. Das Leben hatte sie immer bis aufs äußerste in Anspruch genommen. Manchmal empörte sich ihre Jugend und lechzte nach Genuß und Freude.

      Da saß sie nun bei der Nachtlampe. Die Mutter hatte ihr etwas Kaffee gebracht, und sie benutzte diese einsamen Stunden, um sich ihre Garderobe in stand zu setzen. Die Tante verlangte wiederholt zu trinken, sonst schien sie teilnahmlos, und Pauline weinte, weinte heiße, schwere Tränen in den Schoß der verschwiegenen Nacht.

      Auf einmal sah sie, wie die Augen der Kranken auf sie gerichtet waren, so lebendig und anteilsvoll wie noch kaum vorher; ihr Blick glänzte unheimlich aus dem gelblichen Gesicht.

      »Was wünschest Du?« rief Pauline erschrocken.

      »Du weinst, Paulinchen,« sagte die Alte; »aber nicht allein um meinetwegen. Nein, so klug bin ich auch, meinetwegen weinst Du nicht.«

      Freilich, Pauline hatte nicht allein um der Tante willen geweint, warum aber sollte diese es nicht glauben? – Es war ihr vielleicht ein Trost, und ihr Testament war doch sicher gemacht. Krokodilstränen waren es auf keinen Fall. Sie suchte sie zu beruhigen, suchte ihr auszureden, daß sie überhaupt geweint habe, aber wenn ihr Tränen gekommen wären, so sei doch wohl der beängstigende Zustand der lieben Tante schuld.

      »Nein, nein, mein Kind,« entgegnete die alte Frau. »Du hast's schwer, sehr schwer, – ich weiß das sehr wohl, ich verstehe das und habe auch an Dich gedacht.«

      »O Tante, sprich doch nicht davon! Es wäre mir schrecklich, wenn Du dächtest – –«

      »Nein,« unterbrach sie die Alte eilig, als fürchte sie, die Zeit könne ihr zu kurz werden. »Nein, Du mußt das wissen, was ich meine. Heute, wie mir auf einmal ganz schwarz vor den Augen wurde, und Du warst nicht da, dachte ich: Mein Gott, wenn sie es nicht erfährt, nachher würde es vergessen werden. Aber jetzt, wie ich Dich weinen sah, fiel es mir wieder ein. Komm, ich will es Dir leise sagen.«

      Pauline war ganz entsetzt. Welch ein Geheimnis sollte sich ihr offenbaren? – Sie neigte ihr Ohr zu der Kranken.

      »Ich habe etwas für Dich zurückgelegt, mein Kind,« keuchte die alte Frau, »nur für Dich; die anderen brauchen nichts zu wissen. In meiner Kommode ganz unten, in dem roten, wattierten Rock, da liegt es. Es ist Dein, Du brauchst's niemandem sonst zu sagen, – hörst Du, niemandem.«

      Und noch eine ganze Weile wiederholte sie, daß es niemand zu wissen brauche, immer dieselben Worte, und es seinur für Pauline allein. Schließlich meinte Pauline, es sei nur kindisches Gefasel von der alten Frau, denn was konnte in einem wattierten Rocke verborgen sein, einem jener Röcke, wie sie vor Jahrzehnten getragen wurden? – Es war gewiß nur kindisches Geschwätz.

      Nun schlief die Tante ein, und da sie ziemlich wohl schien, legte sich auch Pauline auf den Divan zum Schlummer. Am nächsten Morgen ging es der Tante wieder besser. Pauline dachte kaum noch daran; sie vergaß umsomehr, als die Tante Neigung zeigte, aufzustehen, und während der nächsten Tage nicht mehr von der nächtlichen Enthüllung sprach.

      Wieder saß Pauline an ihrem Kassenschalter, traurig und verlassen. Er, der die Sonne ihrer Existenz gewesen, der mit ihr plauderte und scherzte, war verschollen; die Zeitungen hatten ihn als vermißt gemeldet. Und daheim lag die Tante krank, erforderte viel Mühe, unablässige Pflege und Ausgaben. Das junge, lebenslustige Mädchen hatte Anwandlungen von Trübsinn, sie wünschte sich ganz ernstlich den Tod; ihr war ja doch kein Glück beschieden. Und wenn sie etwas Gewaltsames versuchte, vielleicht würde sie irgendwie mit ihm vereint, der die Leuchte ihres Lebens war, der so geheimnisvoll verschwunden. Aber rasch verbannte sie die Gedanken wieder. Sie hatte Pflichten gegen die Ihren; nein, sie durfte dergleichen nicht aufkommen lassen, jetzt nicht und niemals.

      Der kleine Kommis, Herr von Waldenburg, begleitete sie jetzt manches Mal nach Hause und machte ihr den Hof.

      »Seien Sie nur hübsch vorsichtig,« sagte Pauline lächelnd, »daß es keiner sieht und dem Fräulein Josepha hinterbringt! – Sie schneiden ja auch ihr die Cour.«

      Er stellte sich sehr entrüstet, berief sich auf seinen wirklichen Adel, auf sein Rittertum; aber Pauline hatte etwas gelernt, sie zitierte ihm den Wahlspruch des Ritters ohne Furcht und Tadel: »A Dieu mon âme, ma vie au roi, mon coeur aux dames – l'honneur pour moi!«

      Da war von den Damen in der Mehrzahl die Rede, und so war sein Adelsbrief keine Garantie für sie.

      Aber Paulinens Spott reizte ihn, und eines Tages, an der Ecke, wo sie sich immer trennten, rief er:

      »Wahrhaftig, Fräulein Pauline, wenn Sie wollten, ich biete Ihnen meine Hand.«

      »Auch wenn ich nichts erbe, Herr Waldenburg?« bemerkte sie.

      »Sie sehen, wie offenherzig ich bin,« antwortete er; »auch wenn Sie nichts erben, denn ich weiß, Sie sind ein vortreffliches Mädchen.« Pauline schwieg einen Augenblick.

      »Ich bin der Liebe eines Mannes nicht ganz unwert,« sagte sie ernster, »das weiß ich wohl. Aber ich bin arm, blutarm, und dazu bin ich fest überzeugt, daß meine Tante nichts, so gut wie nichts hinterläßt.«

      Der kleine Waldenburg legte die Hand aufs Herz, beteuerte die Aufrichtigkeit seiner Gesinnung. Er sah ordentlich hübsch aus, nur daß Pauline auf ihn herabblicken mußte. Nun platzte er heraus:

      »Ach, Fräulein Pauline, sehen Sie, mein ganzes Unglück ist, daß ich so klein bin. Niemand nimmt mich ernst, kein Mädchen will mich lieben.«

      »Es ist wahr,« bestätigte Pauline; »auch ich habe Sie bisher nicht ernst genommen, aber nicht weil Sie so klein sind, sondern weil Sie auch mit Josepha liebäugelten.«

      »O,« versicherte er eifrig, »das ist nur die Artigkeit, die man der Tochter des Hauses schuldet.«

      »Gut denn,« sagte sie, ihm die Hand reichend; »wenn ich Ihnen unrecht getan habe, wird sich's ja zeigen. Wir wollen es uns beide bedenken.«

      »Sie ist ganz reizend,« sagte sich der Kommis, als sie verschwunden war. »Aber bedenken muß man's doch. Josepha ist im Grunde frei, und das wäre eine Partie. Und ich bin ja doch von altem, guten Adel.«

      Auch Pauline dachte bei sich:

      »Ich muß ihn noch erproben, ich traue ihm nicht.«

      Zu Hause öffnete ihr niemand auf ihr


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