Größer als der Schmerz. Alex Tresniowski
Washington, D.C., verwaltete, und Terry erreichte, dass wir dort in einer leer stehenden Wohnung schlafen konnten. Wir trafen dort spät am Abend ein, schliefen auf dem nackten Holzboden und schlichen uns früh am Morgen wieder hinaus. Auch das erschien mir gar nicht so übel zu sein. Im Gegenteil, ich war froh, dass ich an einem Ort mit vier Wänden und einer Tür schlafen konnte. Nachdem dann die Wohnung vermietet worden war, blieben wir ein paar Wochen bei einem Freund von Terry und anschließend bei seiner Exfreundin, was nicht so optimal war, denn sie lief immer wieder in aufreizender Unterwäsche herum, um ihn zurückzugewinnen.
Sie denken vielleicht, das Letzte, was ich in solch einer Situation tun würde – kein Zuhause, kaum Geld, eine unsichere Zukunft –, wäre, dem Ganzen noch ein Baby hinzuzufügen.
Aber bitte bedenken Sie, ich war neunzehn, und das Einzige, was ich mehr als alles in der Welt haben wollte – eine eigene glückliche Familie –, war nichts, auf das ich noch viel länger warten wollte. Deshalb entschieden sich Terry und ich inmitten all dieser Turbulenzen, dass wir ein Kind haben wollten. Ich wurde also nun schwanger. Es war kein Unfall, es war genau geplant. Terry und ich hatten viel darüber gesprochen, und wir wussten beide, dass wir für immer zusammenbleiben und eine große Familie haben wollten. Wir dachten, wir würden schon einen Weg finden, um all das zu ermöglichen. Wir schlossen sogar einen Pakt, bei dem wir beide uns versprachen, niemals mit jemand anderem Kinder zu haben als nur miteinander. Selbst wenn wir uns aus irgendeinem unwahrscheinlichen Grund trennen würden, sollte der Pakt weiterbestehen: Keine Kinder, es sei denn, sie wären von ihm und mir.
Das alles bedeutet aber nicht, dass ich keine Ängste ausgestanden hätte, als ich zu einer Schwangerschaftsklinik ging und mir die Krankenschwester mitteilte, dass ich schwanger sei. Die ersten Worte, die aus meinem Mund kamen, waren: „Auf gar keinen Fall, ich kann nicht schwanger sein.“ Sosehr ich mir auch ein Kind wünschte, war ich dennoch geschockt, als ich hörte, dass ich eines bekommen würde. Aber Terry war es nicht. Er beruhigte mich und versicherte mir, dass alles gut werden würde. Terry war damals mein Held, er ging mit mir zum Schwangerschaftskurs, wiegte mich abends in den Schlaf, ließ mich quer über seinem Körper liegen, als wäre er ein großes Kissen, streichelte meinen Bauch, redete mit unserem ungeborenen Kind und sang ihm sogar Lieder vor.
Während meiner Schwangerschaft zogen Terry und ich in ein Zimmer in einer verwahrlosten Pension im übelsten Teil von Washington, D.C. Von außen sah die Pension aus, als sei sie verflucht. Von innen war es sogar noch schlimmer. Sie hatte nur zwei Etagen, drei oder vier Zimmer oben und zwei unten, von denen eines unseres war. Das andere gehörte einem Furcht einflößenden älteren Mann, der darin ein Bordell betrieb. An jedem Abend klopften fremde Männer an die Tür, begrüßten grell geschminkte Frauen und verschwanden mit ihnen im Zimmer. Und ich in meinem Zimmer musste den Kopf in einem Kissen vergraben, um nicht das schreckliche Gestöhne zu hören, das durch die Wand drang.
Eines Abends, als ich an diesem Bordell vorbeiging, hielt mich der Furcht einflößende ältere Mann im Flur auf und bot mir hundert Dollar an für Oralverkehr. Ich war zwanzig und im siebten Monat schwanger, doch das schien ihn nicht zu stören. Ich ging an ihm vorbei, doch er folgte mir den Flur entlang und wollte Sex mit mir haben. Ich rannte in die Gemeinschaftsküche, griff mir ein Messer, jagte ihn den Flur entlang zurück und schrie: „Wenn Sie mir jemals wieder nahekommen, werde ich Sie töten! Reden Sie nie wieder so mit mir!“
Als ich Terry davon erzählte, rief er seine Mutter an und bat sie, uns bei ihr einziehen zu lassen. Wieder sagte sie Nein. Ich rief daraufhin meine Mutter an, und auch sie sagte Nein. Also hingen wir fest neben einem Bordell: Ich, Terry und unser Kind, das wir in Kürze erwarteten.
Als ich schließlich nur noch ein paar Wochen bis zur Entbindung hatte, war meine Mutter einverstanden, dass ich zu ihr in ihre Wohnung nach Temple Hills, Maryland, ziehe. Vermutlich beeinflusste ihre Entscheidung, dass sie einige meiner Lebensmittelmarken abstauben konnte, wenn ich bei ihr war. Terry zog infolgedessen wieder bei seiner Mutter ein. In manchen Nächten durfte ich auch mal bei ihm bleiben. Doch ich befand mich in der Wohnung meiner Mutter, als meine Fruchtblase platzte.
Mama brachte mich schnell ins Krankenhaus und rief von dort aus Terry an, um ihn wissen zu lassen, was gerade geschehen war. Terry bestand darauf, dass meine Mutter mir den Hörer reichte, weil er mir etwas Wichtiges zu sagen hatte.
„Ich bin unterwegs“, sagte er. „Bekomm das Kind nicht, bis ich da bin! Was du auch tust, warte, bis ich da bin!“
Terry rannte den ganzen Weg von Südost-Washington bis zum Krankenhaus in Maryland – bestimmt mehr als sechzehn Kilometer. Wir besaßen damals kein Auto, also lief Terry einfach immer überall hin. Als er in mein Krankenhauszimmer platzte, schwitzte er wie ein Pferd und war so dehydriert, dass jemand ihm einen Saft zu trinken geben musste, sonst wäre er gleich ohnmächtig geworden. Zu seinem Glück, aber nicht zu meinem, dauerten meine Wehen dreizehn Stunden. Ich hatte Angst, bevor Terry eintraf, doch nachdem ich ihn an meiner Seite wusste, war alles in Ordnung. Ich war bereit, unser Kind zu bekommen. Ich war bereit für meine Familie.
LaVita war spät dran. Sie hätte schon im März kommen sollen, aber ich gebar das schöne, gesunde kleine Mädchen erst am 15. April.
Die Krankenschwester legte sie mir zuerst in den Arm. Ich hielt sie, küsste ihre winzige Stirn und reichte sie anschließend Terry. Sobald er LaVita in seinen Armen hielt, wurde er ganz emotional. Vermutlich weil er schon so viel Zeit damit verbracht hatte, mit ihr zu reden, ihr vorzusingen und für sie zu beten, als sie noch in meinem Bauch war. Es schien mir, als fühlte sie sich in seinen Armen gleich wie im Himmel. Sie würde Papas Mädchen sein, das spürte ich von Anfang an.
Terry und ich hatten endlich eine Familie. Die Familie, die wir gewollt hatten. Und nur eine Woche nach LaVitas Geburt fiel Terry vor mir auf die Knie, überreichte mir einen kleinen Verlobungsring, den er mit dem Geld von seiner Arbeit als Fahrer gekauft hatte, und bat mich, ihn zu heiraten.
Ich sagte Ja.
Der Ring war etwas zu groß für meinen Finger, daher bat ich Terry, ihn wieder zum Juwelierladen zu bringen, um ihn anpassen zu lassen. Doch da Terry als Fahrer so beschäftigt war, ging er monatelang nicht dorthin. Ich trug ihn trotzdem, musste aber immer besonders vorsichtig sein, damit er mir nicht vom Finger rutschte. Eines Tages fragte mich Terry aus heiterem Himmel nach dem Ring und sagte mir, dass er ihn jetzt anpassen lassen werde. Eine Woche verstrich, dann eine weitere, ein ganzer Monat und am Ende waren es sogar schon zwei. Alle paar Tage fragte ich Terry nach dem Ring. Er sagte, dass er noch dran denke oder dass er zu beschäftigt sei, um ihn zu holen, oder er gebrauchte irgendeine andere Ausrede. Ich biss mir auf die Zunge, aber ich drängte ihn weiter dazu, meinen Ring abzuholen.
Wir lebten damals bei Terrys Mutter. Eines Tages entschloss ich mich dazu, den Gottesdienst in der Kirche seiner Familie zu besuchen, statt mit meiner Mutter mitzugehen. Es war das erste Mal, dass ich in die Kirche seiner Familie ging. Ich betrat den Saal mit der kleinen LaVita auf dem Arm, und sofort bemerkte ich, dass uns die Leute in der Gemeinde komisch anschauten. Ich wusste nicht, warum, ließ mich aber davon auch nicht stören. Ich besuchte weiterhin den Gottesdienst und trat sogar dem Chor bei.
Eines Sonntags dann, als ich gerade während des Gottesdienstes mit dem Chor auf der Bühne stand und sang, sah ich zu einer der anderen Chorsängerinnen hinüber, einem Mädchen ungefähr in meinem Alter, und ich sah, dass sie einen Verlobungsring trug.
Meinen Verlobungsring.
Terry hatte auch ihr einen Antrag gemacht. Er war mit uns beiden verlobt.
Denn wir kämpfen nicht
gegen Menschen,
sondern gegen Mächte und
Gewalten des Bösen,
die über diese gottlose
Welt herrschen …
EPHESER 6,12
Kapitel 3
Einen Moment lang dachte ich, der Bewaffnete hätte auf uns geschossen. Ich erwartete, Lou zu Boden gehen zu sehen oder vielleicht mich selbst. Aber keiner von uns fiel hin. Der Bewaffnete hatte einen halben Meter rechts von uns den Gang entlanggezielt und ein einziges Mal geschossen.
Der