Solo für Schneidermann. Joshua Cohen

Solo für Schneidermann - Joshua  Cohen


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meiner Proktologin (die meine thrombotisch ausgetretenen Hämorrhoiden betüttelt, fragt lieber nicht), einen guten Abend meinen angeheirateten Exverwandten, Verwandten und zukünftigen Verwandten, Ihnen, den angehenden Musikern da draußen, den verhinderten Möchtegernmusikern, den musikalischen Dilettanten und Versagern, guten Abend dem höchst namhaften Mogul Mr. Samuel Rothstein jr., der da stumm in Reihe eins zwei drei vier FÜNF sitzt, guten Abend meinem Poolboy, den können wir auch meinen inoffiziellen Psychopharmakologen nennen, guten Abend auch dem Poolboy einer meiner Exfrauen, den können wir ihren Poolboy nennen, guten Abend meinem großartigen Geigenkollegen, dem Maestro Jacob Levine, meine Damen und Herren, Beifall bitte!, ich bitte um einen herzlichen Applaus!

      guten Abend meinen Schülern, denen, die meine Schüler werden wollen, denen, die nie zu meinen Schülern zählen werden, guten Abend meinem schwulen Friseur und Maskenbildner, meiner Thai-Masseuse, meinem Rabbi, meiner Sadomaso-Domina, guten Abend meinem Enkel, der meine elektronischen Geräte repariert und sie wie neu blinken und piepsen lässt, meinen Dr. med. Therapeuten nicht zu vergessen, und wenn doch, auf welche Verdrängung ließe das schließen? und daher einen guten Abend auch dem Therapeuten meines Therapeuten, einen allerbesten Abend meiner Harfenistin, die ich in professioneller Diskretion begehre,

      meinem Orchester, guten Abend.

      Ihnen allen Dank, dass Sie mich mit Ihrer Anwesenheit beglücken. Es bedeutet mir unendlich viel, dass Sie alle sich eingefunden haben.

      Hören Sie: Ich stehe hier auf der Bühne, unter dem Bühnenportal des berühmtesten und ehrwürdigsten Konzertsaals der Welt. Habe für Sie den I. Satz von Schneidermanns Violinkonzert gespielt. Den ersten der beiden Sätze des ersten, letzten und einzigen Violinkonzerts, das Schneidermann, mein Freund, je komponiert hat. Und spreche nun zu Ihnen, statt die Kadenz zu spielen. Sie verstehen. Oder dies ist meine Kadenz. Sie verstehen? Eine beiläufige Feuerwerksfanfare, eine Tangente ohne Taktmaß, ein Seelensolo im Brillantissimo und so weiter. In Fragen der Kunst haben Sie das letzte Wort, und während Sie sich entscheiden,

      lassen Sie sich Zeit, so viel Sie wollen,

      Sie alle haben für dieses Privileg mehr als genug bezahlt – gestatten Sie, dass ich tupfe mir den Schweiß von Bogen und Braue mit einem Taschentuch, das ich in meinem Hotel in der Uptown eingesteckt habe, vom Wägelchen des Zimmermädchens stibitzt, dem Füllhorn auf Rädern im Korridor meiner Herberge, ultra de luxe, einem Hotel namens Grand Irgendwas, schauen Sie es sich bei Gelegenheit an, mein Gott, wie prachtvoll! alles aus Marmor: spiegelsymmetrisch gemasert oder heißt es masersymmetrisch gespiegelt wie der Rücken einer Geige, das ganze Foyer verkleidet mit massivem prokonnesischem Cipollinomarmor, alles berstend mit geschwollenen Venen, als wäre das Gestein selbst fortwährend erregt, und das Zimmermädchen, hach, sie ist sonnenhäutig, eine native Naive mit den beiden niedlichsten Laiben Christi, die sich zur Anbetung anbieten unter ihrer zungenrosa Diensttracht verstaut, die ihr so angegossen passt wie ihr Name: María, zumindest laut ihrem verheißungsvollen Namensschild, einfach nur María, weil wir einfach gute Freunde sind, Mutter eines Kindes, und eines reicht auch, weil es so begabt (anstrengend) ist, ein gemischtrassiges Wunderkind mit einer riesigen Quasi-gegen-Kurzsichtigkeit-Brille zumindest auf dem grauschlierigen Schulschnappschuss, den sie mir gezeigt hat, seine Mutter ist zweimal geschieden, der dritte, er fiel tot um (das Herz), die erste Liebe sitzt in Sing Sing, nach drei Straftaten ist er für bewaffnete Raubüberfälle aus dem Rennen, aber das ist ein ganz anderer Schmonzes, sind ganz andere Leben, und morgen ich weiß hoffentlich mehr, oder ich weiß morgen hoffentlich auch nicht mehr, aber in jedem Fall hätte ich ihr gern das stradivariabelste ihrer F-Löcher gefüllt, sie ewig und drei Tage gut und hart lackiert:

      Ewig … ewig …, wie es beim großen Christen Gustav Mahler heißt, aber nur, wenn Schlesinger dirigiert oder Leonard Bernstein – und das tun sie nicht. Sondern ich. Gewissermaßen. Mich.

      Aber wer bin ich?

      der amtierende Europäer in Amerika, in Europa der einzige passable Amerikaner.

      Für wen halte ich mich?

      überall für ein internationales Genie, einen Gewissens-und-Kulturträger, einst so geliebt wie geachtet.

      Aber eigentlich bin ich niemand.

      Seien Sie nicht schockiert! Die Kultivierten lassen sich so leicht schockieren!

      Flüstern Sie nicht! Tratschen Sie nicht! Fragen Sie nicht herum!

      In der Musik finden Sie nie Antworten, nur noch Fragen, darum ja, ich habe eine Sprechrolle, nicht ganz ausnotiert, ohne verbindliche Erwähnung im Programm, das Sie überflogen haben, auf das Sie sich vergeblich beziehen, mit dem Sie beim leisesten Piano meiner Pianissimi geraschelt haben und das Sie jetzt hektisch nach Hinweisen durchsuchen, ob ich eine Vorgeschichte psychischer Labilität mitbringe, eine schizoide Persönlichkeitsstörung, mit der es sich wegerklären ließe.

      Meine Entscheidung, mich mit meiner Stimme statt mit meiner Geige an Sie zu wenden.

      Gestatten Sie mir also, Sie alle meiner – relativen – Zurechnungsfähigkeit zu versichern, Ihnen zu geloben, dass ich relativ gesund bin (fragen Sie welchen meiner Ärzte Sie wollen oder alle meine zehn Chiropraktiker, die haben für diesen Abend Freikarten erhalten).

      Und schauen Sie nicht, hören Sie zu. Sonst werden Sie meinen, Schneidermann, er hat hier etwas vergessen, es wie Lethe zum einen Ohr hinein- und zum anderen hinausfließen lassen: Schneidermann, er war ein Ikonoklast, den selbst Ikonoklasten verehrten, und er hat das durchaus nicht vorausgehört, mein Freund, mein einziger Freund, der Versager, der mein Schneidermann war, sondern in einem gewissen Sinn sogar erwartet. Vielleicht sogar gewollt. Beabsichtigt und in die Wege geleitet. Und erst recht hat Schneidermann keine ausdrücklichen Anweisungen hinterlassen, meine Ansprache wäre unerwünscht, hat nicht einmal verborgene Anweisungen hinterlassen, dass diese meine Ansprache unnötig wäre.

      Weil er letzten Endes, im finalelosen Finale, gar nichts hinterlassen hat.

      Nur dieses Konzert sowie ein ansehnliches Korpus an Klavierkompositionen, Streichtrios und Vokalmusik, einige Ephemera, Memento mori, Gelegenheitswerke und Erinnerungsstücke, einen Wust an Juvenilia und gesamtem Leben, das ich und, so ich sie bezahle, meine Anwälte, jetzt zu ordnen haben: seine Verweigerung eines schriftlichen oder spirituellen Letzten Willens umgehend, nach Hinweisen oder Anweisungen zu suchen und koste es, was es wolle, der Frage nachzugehen, was zum Teufel ich mit dem So-viel-von-allem machen soll, dem Nachlass, den Schneidermann unvollendet hinterließ, so unvollendet wie sein Leben ungelebt, hinter dessen vollsten Zügen zurückgeblieben, seiner unerfüllten Bestimmung, von der ich bis heute überzeugt bin.

      Und wie seine hängt Ihre von meiner ab.

      Denn von Anbeginn,

      seit meine Mutter den Vorhang hob,

      war ich ein Solist. Denn in dem Jahr, in dem ich Europa verließ, war ich schon der berühmte und weltbekannte Virtuose. Doch heute Abend – und nur heute Abend – gehöre ich ganz Ihnen, vollständig, wahrhaft, fern der Musik, jetzt auch fern meinem Instrument und damit zum Untergang verdammt, zum Abstieg ins Leben, in die Welt und die Mitte derer, die an ihr leiden. Unter denen gibt es Menschen, einige wenige Auserwählte, bloß eine Handvoll, so scheint es manchmal, die finden Trost, finden Frieden in mir, in meinem Instrument, in meiner Musik,

      schwer zu glauben vielleicht, aber es gibt Menschen, die mir lauschen, meinem Instrument, meiner Musik, und am Ende hören sie vielleicht zum ersten Mal sich selbst. Hören auch, dass es Menschen gibt, die mich loben, ob sie mich nun gegen Bezahlung loben oder aus einem psychischen Bedürfnis heraus, das spielt keine große Rolle, auf jeden Fall sind es viele (wenngleich mit jeder verstreichenden Konzertsaison immer weniger von der einen Sorte und immer mehr von der anderen), die mich weniger als Geiger denn als Virtuosen schätzen und weniger als Virtuosen denn als Musiker, etwa in den Worten Zeitblums, immer Kritiker und heute Abend hier, hallo! in Anführungszeichen ein reiner Musiker (rein: im Sinne von Pythagoras und, ja, auch im Sinne von Orpheus), obwohl der gute alte Zeit der erste wäre – oder der zweite nach Schneidermann, wenn der noch unter uns weilte –, der zugeben würde, dass eine solche kritische Belobigung, eine so hymnische Huldigung meiner Größe mit auch nur dem leisesten Hauch von Abgehobenheit, von dazugehörigem


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