Tag X. V. S. Gerling

Tag X - V. S. Gerling


Скачать книгу
Kopf. »Nein. Und er hat auch keine Andeutungen gemacht.«

      »Ist der Grund nicht offensichtlich?«, fragte Patrick zu unserer aller Überraschung. Alle Blicke richteten sich auf ihn. Sein Gesicht blieb ausdruckslos.

      Er wandte sich an Kernberger. »Das Amt für Innere Sicherheit ist ein geschlossenes System, richtig?«

      Kernberger nickte bestätigend. »Informationen, die reinkommen, sind extrem gut verschlüsselt und landen auf einem separaten Computer, der durch diverse Sicherheitsvorkehrungen geschützt ist. Über einen zweiten Rechner können wir online gehen und Nachrichten nach draußen schicken. Natürlich auch verschlüsselt. Das war von Anfang an so beabsichtigt. Niemand von außerhalb hat Zugriff auf unser System. Nicht ein Mitarbeiter geht mit seinem Firmenrechner online. Wir sind ein großes, schwarzes Loch.«

      »Und genau das ist der Grund für die Kontaktaufnahme.«

      Wir sahen ihn eine Weile schweigend an. Dann fielen bei uns die Groschen.

      »Das Amt für Innere Sicherheit ist eine unbekannte Größe für sie«, sagte Kernberger langsam. »Sie haben keine Ahnung, was wir alles tun können. Wahrscheinlich haben sie in allen anderen Bundesbehörden ihre Leute. Nur bei uns nicht.«

      »Aber Nicolas arbeitet doch gar nicht mehr fürs Amt«, gab Schranz zu bedenken.

      »Aber er hat es mit aufgebaut und eine Zeit lang sogar geleitet. Er verfügt immer noch über enormes Insiderwissen über die Behörde. Für die wäre das Gold wert«, sagte Patrick.

      Uns war sofort klar, dass er ins Schwarze getroffen hatte.

      Damit war auch klar, dass sie sich auf jeden Fall noch einmal melden würden.

      Und meine Verhandlungsposition ihnen gegenüber hatte sich gerade deutlich verbessert.

      Wenn sie mich tatsächlich brauchten, konnte ich durchaus Forderungen stellen.

      Ich müsste mir allerdings einen wirklich guten Grund für meinen Wunsch einfallen lassen, die führenden Köpfe der Organisation zu treffen. Wenn der halbgar oder unglaubwürdig rüberkam, dann hatte ich ein Problem.

      22

      »Ich prophezeie schon jetzt, dass er Forderungen stellen wird.«

      Olaf Dietrich

      Wittgenstein sah Dietrich forschend an. »Wie ist Ihr Eindruck von Eichborn?«

      Der holte ein kleines Gerät aus der Innentasche seines Sakkos und legte es auf den Tisch.

      »Vielleicht sollten Sie sich einfach anhören, wie das Gespräch lief. Anschließend sage ich Ihnen, was ich von Eichborn halte, einverstanden?«

      Wittgenstein hob erstaunt die Augenbrauen. »Sie haben das komplette Gespräch aufgezeichnet?«

      »Ja.«

      Hoffmann und Wittgenstein wechselten einen Blick. »Eine sehr gute Idee«, lobte Hoffmann.

      Dietrich nahm das Kompliment mit ausdruckslosem Gesicht hin und drückte die Start-Taste.

      Dietrich unterbrach die Aufnahme, als er und Eichborn ihr Essen bestellten.

      »Der Rest ist belanglose Plauderei. Aber auch die können Sie gerne hören, wenn Sie mögen.«

      Wittgenstein schüttelte den Kopf. »Das wird nicht nötig sein.«

      »Er ist ein wenig zu neugierig, findest du nicht?«, wollte Hoffmann von Wittgenstein wissen.

      »Nein. Es hätte mich eher misstrauisch gemacht, hätte er keine Fragen gestellt.«

      Hoffmann sah zu Dietrich. »Und was haben unsere Informanten zu ihm zu sagen?«

      »Beim BKA hasst man Eichborn. Er hat vor ein paar Jahren dafür gesorgt, dass ein sehr beliebter Präsident der Behörde in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden ist. Das hat man ihm nicht verziehen.«

      »Die Rede ist von Joachim Gatzke, richtig?«, erkundigte sich Wittgenstein.

      Dietrich nickte bestätigend. »Genau um den geht’s. Dem Verfassungsschutz ist Eichborn ebenfalls ein Dorn im Auge. Vor allem in der Zeit, als er das Amt für Innere Sicherheit leitete, hat er denen öfters in die Suppe gespuckt. Auch das hat man ihm nicht verziehen.«

      »Was ist mit dem BND?«

      »Mit denen hat er sich auch angelegt. Als Zielfahnder beim BKA hatte er einen Mann gesucht. Der BND hatte zeitgleich gegen dieselbe Person ermittelt, einem internationalen Waffenhändler. Eichborn hat denen ihren Fall versaut, die wiederum hätten ihn warnen können, dass er in eine Falle tappt, haben sie aber nicht. Er wurde bei diesem Einsatz angeschossen.«

      »Großer Gott, der Mann hat ja überall Feinde«, stellte Hoffmann erstaunt fest.

      »Eine sehr bewegte Karriere«, sagte Wittgenstein. »Und hat er auch Feinde beim MAD?«

      Dietrich warf einen Blick in seine Notizen.

      »Nachdem er von den Schusswunden genesen war, konnte er als Zielfahnder nicht weitermachen. Er übernahm einen Fall, bei dem es um einen Serienkiller ging. Später stellte sich heraus, dass es sich um Bewusstseinsmanipulation handelte. So eine Art Gehirnwäsche. Auf jeden Fall war der MAD in diesen Fall verstrickt und ein hochrangiger Mitarbeiter des Dienstes kam dabei ums Leben. Hagedorn hieß der Mann. Vielleicht kennt ihn ja einer von Ihnen.«

      »Von diesem Fall habe ich gehört«, sagte Wittgenstein leise. »Es war ein sehr interessantes Projekt der Amerikaner, das hier bei uns weitergeführt worden war. Wie hieß der Professor noch, der es geleitet hatte … irgendwas mit Ziege … Ziegenhagen, genau. Professor Ziegenhagen. Der Fall ging damals durch die Medien, weil Eichborn angeblich einer Mörderin bei der Flucht geholfen haben soll. Ich erinnere mich.«

      »Also, so wie sich das für mich darstellt, hat Eichborn überall da, wo er auftauchte, verbrannte Erde hinterlassen. Warum sollte uns nicht dasselbe passieren?«, wollte Hoffmann skeptisch wissen.

      »Weil wir ihn erst dann zu uns holen, wenn unser lieber Freund Olaf Dietrich seine Schwachstelle entdeckt hat und wir entsprechende Vorkehrungen getroffen haben. Schließlich brauchen wir ihn nur für eine einzige Sache, nicht wahr?«, antwortete Wittgenstein. »Aber für diese eine Sache, da könnte er für uns Gold wert sein.«

      »Ich prophezeie schon jetzt, dass er Forderungen stellen wird«, sagte Dietrich.

      »Was für Forderungen könnten das ein?«, erkundigte sich Wittgenstein.

      »Ein persönliches Treffen mit Ihnen beiden.«

      »Auf keinen Fall!«, rief Hoffmann.

      Wittgenstein sah ihn milde lächelnd an. »Aber Klaus, du weißt doch am besten, wie wir arbeiten. Wenn Herr Eichborn ein Treffen mit uns haben möchte, dann soll er das bekommen. Wir lernen ihn kennen, und falls sich herausstellen sollte, dass er ein falsches Spiel mit uns spielt, nun, für diesen Fall werden wir vorgesorgt haben. Wir treffen ihn erst dann, wenn wir ihn in der Hand haben. Ihm wird gar nichts anderes übrigbleiben, als mit uns zu kooperieren.«

      23

      »In was für einer beschissenen Welt leben wir eigentlich …«

      Nicolas Eichborn

      Die offizielle Trauerfeier der bei dem Absturz des Kampfjets ums Leben gekommenen Menschen fand in der Marienkirche in Rostock statt. Diese Kirche hatte eine bewegte Geschichte hinter sich. Sie war von allen vier Stadtkirchen die einzige, die die massiven Bombenangriffe des zweiten Weltkrieges zwischen 1942 und 1944, bei denen die Rostocker Innenstadt zur Hälfte in Schutt und Asche gelegt worden war, unbeschadet überstanden hatte.

      Dreiundfünfzig Menschen waren bei dem Absturz des Jets getötet worden. Über dreißig lagen immer noch im Krankenhaus. Bei vielen von ihnen war der Zustand kritisch. Dementsprechend war die Kirche voll bis auf den letzten Platz. Da sich unter den Toten auch ein Offizier der Luftwaffe befand, waren eine Abordnung


Скачать книгу