Nur einmal. Kathleen Collins

Nur einmal - Kathleen  Collins


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Ich rückte den Flammen mit einer Decke zu Leibe, aber sie hatten schon den halben Raum erfasst. Eine ganze Weile stand ich da und überlegte, was ich tun könnte. Dann wurde mir schlagartig bewusst, dass ich keine Sekunde verlieren darf, wenn ich lebend davonkommen will. Ich sprang splitternackt durch das Fliegengitter. Ein paar Farmer kamen vorbei und staunten über den Anblick von so viel brauner Haut vor dem Hintergrund wütender Flammen. Das Feuer verbrannte meine Haare, meine Kleider, meine Geige. Die Natur erledigt ihre Arbeit gründlich, das muss man ihr lassen. Ich fuhr wieder nach Hause, kaufte einen großen Blumenkasten für das Küchenfenster und fing an, Kräuter zu ziehen. Der Sommer war sehr heiß und einsam. Ich nahm einen Job als Illustratorin für Kinderbücher an und kümmerte mich um meine Kräuter, grub mit bloßen Händen in der Erde und widmete mich den Pflänzchen mit der Hingabe einer angehenden Kräuterheilerin, die mit wirren Haaren ihre Einsamkeit in Schweiß und Schmutz versenkt, und beschriftete sie mit ›Thymian‹, ›Rosmarin‹ und ›Salbei‹. Das Basilikum wuchs zum Fenster eines Nachbarn hinunter, der Rosmarin wählte die andere Richtung und wucherte in die Küche. Der Sommer wurde noch heißer und einsamer. Ich fing an, abends zwischen sechs und acht über die Brooklyn Bridge zu gehen, und schliff die Kanten meiner Traurigkeit im leuchtenden Sonnenuntergang, ließ sie mit dem Rauschen des Verkehrs, das unter mir wie Brandung auf- und abschwoll, und dem fahlen Glanz der New Yorker Skyline verschmelzen. Dann kam eine Zeit, in der nichts mich trösten konnte. Weder das kleine Kräuterwunder in meiner Küche noch das ausgiebige Duschen vor und nach den Ausflügen zur Brooklyn Bridge verschafften mir Erleichterung. Wenn ich wach war, lastete die Zeit wie Blei zwischen meinen Beinen, und Linderung war nicht in Sicht. Ich fing an, Memoiren zu lesen. Es gehörte zu den schöneren Momenten, als ich begriff, dass kein Mensch den Qualen der Einsamkeit entkommt. Den Claudes und Johns und Marthas und Henrys aus früheren Zeiten ist es zu verdanken, dass ich die Beschwernisse des Lebens, weitergegeben von Vater zu Sohn, zum ersten Mal wirklich verstand. Über Wochen lag ich von 17.30 Uhr am Freitagabend bis 8.30 Uhr am Montagmorgen erschlagen im Bett und versank in Trauer. Ich erkannte, dass auch andere schon maßlos einsam und verloren gewesen waren, und dank ihrer Ironie, ihres Scharfsinns und ihrer altmodischen Moral gelang es mir manchmal, mein Leid auf eine spirituelle Ebene zu heben. Der Sommer wurde noch heißer und noch einsamer. Eine Freundin bekam ein Baby, und dieses quirlige Wesen führte mir meine eigene Verlorenheit vor Augen und löste den schlimmsten Schmerz aus, den ich bisher erlebt hatte. Mir war, als trocknete ich langsam aus, als schrumpften kalte Wellen meine Brüste, als ächzten und stöhnten alle meine Glieder. Nachts im Schlaf sah ich, wie du dich vor einer bunt gemischten Gruppe von Verkäuferinnen, Kellnerinnen, Go-go-Girls und Diakonissen entblößt. Du hast einer anderen den Bauch gefüllt. Der Sommer war fast vorbei. Ich ging in den nächsten Laden für Künstlerbedarf und kaufte einen Bogen Malkarton, zwanzig mal dreißig Zentimeter; bei einem Trödler erstand ich einen Stapel alter Zeitschriften. Ich wollte eine große Collage anfertigen und gegenüber von meinem Bett aufhängen. Das heillose Durcheinander schuf die Illusion von Wärme, von reger, lauschiger, lebensfroher Einsamkeit. Ich schnippelte und klebte, schnippelte und klebte, und widmete mich meinem Meisterwerk mit der fieberhaften Hingabe einer Künstlerin. So gestärkt, kam ich eines Sonntagmorgens auf die Idee, mir zwischendurch einen kleinen Fick zu gönnen und zog munter durch den Botanischen Garten. Der Mann war groß und überaus freundlich hinter seiner dicken Brille, und sein Penis hatte die Größe einer Erbse. Ich nahm es als Zeichen, dass ein kleiner Fick zwischendurch nichts für mich ist. Es war Herbst. Du hast mich angerufen, ein R-Gespräch. Ich sagte, dass ich ein Kind von dir will. Du hast gelacht und versprochen, mich in einem Jahr wieder anzurufen. Der Sommer kehrte noch heißer und einsamer zurück. Ich lernte einen Jazz-Discjockey kennen und entschloss mich erneut zu einem kleinen Fick. Eines Abends kam er mit zu mir. Das Schnippeln und Kleben war ausgeufert und hatte meine ganze Wohnung – Sofa, Kamin, Teppich, Vorhänge, Badezimmerspiegel – in eine Collage verwandelt, schon beim Eintreten blieb Klebstoff an den Sohlen hängen. Der Jazz-Discjockey fand mich sehr besonders, aber vor lauter Verlegenheit fiel ihm nichts anderes ein, als stumpf in mich einzudringen und ohne das kleinste bisschen Lust zu kommen. Es wurde endgültig Herbst. Ich fing an zu nähen und produzierte eine erstaunliche Kollektion schlechtsitzender Hosen, Blusen, Samtkleider und Hausanzüge, eine fummelige Arbeit, in die ich meine Vorstellung von der Schönheit und den Freuden handwerklichen Könnens einfließen ließ. Der Winter kam. Ich fuhr mit der Subway nach Coney Island. Der kalte, einsame Strand und der menschenleere Vergnügungspark kamen in einem Gedicht mit dem Titel Der Winter unserer Liebe vor. Als ich um Mitternacht vor dem Kamin saß, bist du wieder erschienen und hast dich vor der Frau deiner Träume entblößt – sie war schöner, freundlicher und liebevoller als ich. Ich spielte mit dem Gedanken, mir eine neue Geige zu kaufen. Die letzte war bei lebendigem Leib verbrannt, im Wald, zu Beginn des Sommers …«

      Der Onkel

      Ich hatte einen Onkel, der sich in den Schlaf weinte. Ja, diese Geschichte ist wirklich wahr, und sie ging schlecht aus. Eines Nachts weinte er sich nämlich in den Tod. Er war noch keine vierzig. Ein ehemaliger Sportler von olympischem Format. Im Haus meines Vaters hängen noch die goldenen Trophäen, die er irgendwann bei den Olympischen Spielen in England gewann. Er war ein schöner Mann. Schwarz. Und Marlon Brando wie aus dem Gesicht geschnitten. In meiner Familie erzählt man sich, mein Onkel und Marlon Brando seien sich eines Tages in Philadelphia auf der Straße begegnet und verblüfft über die Ähnlichkeit stehen geblieben. Er war ziemlich hell, hellbraun, und hatte die grüblerische Brando-Miene, den finsteren Zug um Mund und Augen, den verdrossenen, ruhelosen Blick. Er war mein Lieblingsonkel. Diese Geschichte lässt sich kaum erzählen, ohne die Requisiten der Rasse einzusetzen. Ich habe gesagt, er war schwarz. Ein Held der Aschenbahn. Ein Marlon-Brando-Doppelgänger. Er hatte außerdem eine hinreißend schöne Frau, die aufgrund ihrer gemischten Herkunft unbeschreiblich hell, fast weiß war, mit schwarzem, seidigem Haar und feinen Zügen. Als Kinder vergötterten meine Schwester und ich die beiden. So einen tollen Onkel und so eine tolle Tante zu haben! Und auch sie mochten uns sehr. Wir verbrachten viele Sommer in dem kleinen Ort im Süden von New Jersey, in dem Haus, das früher meiner Großmutter gehört hatte und jetzt ihnen gehörte. Sie waren immer ziemlich pleite. Ich weiß noch, dass meine Schwester und ich einmal unser letztes Taschengeld hergaben, als der Elektriker den Strom kappen wollte. Aber für uns machte sie das umso hinreißender. Pleite zu sein und trotzdem so anziehend und schön, so faul und großherzig. Es war nämlich so: Mein Onkel konnte keine Rennen mehr bestreiten, weil er seit einiger Zeit unter schweren Asthmaanfällen litt. Er hatte sich angewöhnt, tagelang im Wohnzimmer auf dem Sofa zu liegen, ohne sich zu rühren. Und meine Tante arbeitete nie. Ich glaube mich zu erinnern, dass meine Schwester und ich manchmal wochenlang jeden Morgen zu ihnen ins Schlafzimmer gingen, wo wir dann stundenlang zusammen im Bett lagen und uns lachend Geschichten anhörten. Meine Tante sprach unheimlich gern über Sex. Ohne sie wüsste ich vielleicht bis heute nicht, welche Rolle Sex bei der Fortpflanzung spielt. Und mein Onkel liebte es, beim Imbiss um die Ecke riesige U-Boot-Sandwiches, heißen Kakao, Doughnuts mit Puderzucker und Eis zu bestellen, im Bett zu essen und zu erzählen. Wenn ich die gemütlichen Sommertage ohne den Filter der Verklärung betrachte, erkenne ich, dass er den Kampf mit dem Leben schon damals aufgegeben hatte und dass meine Tante eine faule, verwöhnte Frau war, die sich einbildete, ihre helle, fast weiße Haut würde sie retten. Ich verlor früh den Kontakt zu meiner Familie. Ging für mehrere Jahre ins Ausland, kam verheiratet zurück und gründete eine eigene Familie. Doch aus den Briefen meines Vater erfuhr ich vom schleichenden Verfall meines Onkels, von seinen sporadischen Jobs als Leichtathletiktrainer in verschiedenen Colleges und Freizeitzentren, den lähmenden Phasen der Depression, in denen er wochenlang im Bett blieb und Tag und Nacht weinte.

      Ich sah ihn nur einmal in diesen Jahren: Im Sommer- haus meiner Eltern, wo ich nach der Geburt meines ersten Kindes ein paar Wochen verbrachte. Er kam zur Tür herein, als ich die Treppe hinunterging. Für mich sah er aus wie immer, nur das Grüblerische in der Brando-Miene trat stärker hervor. Der traurige, düstere Ausdruck hatte Falten auf seiner Stirn und unter den Augen hinterlassen, und seine Mundwinkel zeigten noch ein bisschen mehr nach unten.

      Aber diese tiefe Traurigkeit faszinierte mich, vielleicht weil ich noch jung genug war, um Leid anziehend zu finden. Dann geschah etwas Sonderbares. Mitten in der Nacht weckte er mich auf, riss mich unter heftigem Schluchzen aus dem Schlaf und bat mich, nach unten zu kommen und mich mit ihm zu unterhalten.

      Ich


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