Nur einmal. Kathleen Collins

Nur einmal - Kathleen  Collins


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entpuppt habe, ihm keine richtige Hilfe sei; dass er es zu nichts gebracht habe, sich nie auf andere habe verlassen können. Und er konnte weinen! Er gab sich seinem Schluchzen hin, ließ sich von seiner Trauer überwältigen, als wäre das Leben eine riesige Tränenquelle, in die man nur eintauchen konnte, indem man weinte! Mein Vater, der durch uns wach geworden war, kam herunter, außer sich vor Wut, dass sein Bruder mir derart zusetzte.

      Ich sah ihn nie wieder. Als der Anruf mit der Nachricht von seinem Tod kam, saß ich mit meinen Eltern beim Essen. Mein Vater war tief erschüttert. Das erste seiner sieben Geschwister war gestorben. Dabei war sein Bruder das jüngste Kind gewesen, der Kleine, von allen am meisten geliebt, gehätschelt und verwöhnt. Ich bot meinem Vater an, ihn zum Haus meines Onkels zu fahren. Unterwegs erzählte mein Vater von seinen letzten Lebensjahren, den Jahren, in denen er das Bett überhaupt nicht mehr verließ. Jede Nacht hielt er die anderen (denn irgendwie war es ihm gelungen, in dieser Zeit drei heute fast erwachsene Kinder zu zeugen) mit seinen Klagen wach, seinem lauten, herzzerreißenden Schluchzen, das sich unerbittlich hinzog, bis er am Morgen endlich eindöste, den ganzen Tag verschlief, um dann am Abend von Neuem seine Klage anzustimmen. Seine Kinder waren mit seinem Kummer aufgewachsen. Seine Geschwister kamen regelmäßig vorbei und versuchten, ihn mit aufmunternden Worten zurück ins Leben zu holen. Sie standen unten an der Treppe und baten ihn, doch wenigstens ins Wohnzimmer zu kommen, brachten schmackhafte Speisen mit und beknieten ihn, aufzustehen und mit ihnen zu essen, versprachen, ihm eine Stellung als Cheftrainer an einer renommierten Universität zu besorgen. Aber er blieb im Bett, hielt an seinem traurigen, verkehrten Leben fest, weinte in sein Kissen, bis der Tod ihn mit sich nahm.

      Meine Tante kam an die Tür. Sie hatte sich ihre Schönheit über die Jahre bewahrt, nur nicht um die Augen – die stumpfen Augen einer Frau, die zu viel hat hinnehmen müssen. Alles war beinahe so wie in meiner Erinnerung. Das Sofa im Wohnzimmer, auf dem er mit seinen riesigen U-Boot-Sandwiches und zuckerbestäubten Doughnuts gelegen hatte. Das Esszimmer, in dem jetzt nur fast-weiße Frauen, ältere Ausgaben meiner Tante, Sherry schlürfend und flüsternd, beisammensaßen. Ich ging nach oben in sein Schlafzimmer. Das breite, altmodische Bett, in dem er gelebt hatte, beherrschte den Raum, thronte darin wie ein Denkmal für sein groteskes Streben nach Demütigung und Leid. Natürlich war das grotesk, sicher hatte das mit seiner Hautfarbe und ihren lausigen Möglichkeiten zu tun. Doch sein Weinen, sein Wehklagen und sein Zähneknirschen waren von einer überbordenden Kraft, und ich weinte um ihn, weinte vor Stolz und Freude darüber, dass er sein Leben so gründlich in Leid ertränkt und auf ein uraltes Ritual zurückgegriffen hatte, das über die offene Demütigung seiner Haut und ihre beschränkten Möglichkeiten hinausging; sich beharrlich weigerte, sein Leid zu überwinden wie eine Krankheit, wie einen Stolperstein, den man ihm in den Weg gelegt hatte, um seine Geduld auf die Probe zu stellen; sich beharrlich weigerte, dagegen anzukämpfen, sein Leben in die Hand zu nehmen und Verantwortung zu übernehmen. Nein. Er hatte seinem Leid alle Ehre erwiesen, sich ihm mit tief empfundenen, nie versiegenden Tränen so rückhaltlos ausgeliefert, dass er mir, während ich in seinem Zimmer stand, wie der tapferste Mensch erschien, den ich je gekannt hatte.

      Wie sagt man

      Als sie in die Sommerferien aufbrach, war ihr Haar so kurz, dass ihr Vater sich nicht von ihr verabschiedete. Er ertrug ihren Anblick nicht. Es war so kurz, dass Glätten zwecklos war, also lag es kraus um ihren Kopf und ließ sie, wie ihr Vater es ausdrückte, »wie alle farbigen Mädchen« aussehen.

      Sie fuhr nach Maine, in die Summer School, um sechs Wochen lang nur Französisch zu sprechen. Den ganzen Weg von New Jersey. Weinend. Entmutigt durch die strengen Blicke ihres Vaters. Die grauen Augen voller Abscheu darüber, dass seine Tochter so farbig aussah, dass sie sich dessen entledigt hatte, was sie von den anderen unterschied, dass sie mit dieser Frisur nach Maine fuhr, obwohl sie dort bestimmt die Einzige oder fast die Einzige sein würde, und warum musste sie, wenn sie schon die Einzige oder fast die Einzige war, so farbig aussehen, aussehen wie »alle farbigen Mädchen«?

      Als sie ins Anmeldebüro ging, verbarg sie ihre Haare unter einem Tuch und sah niemanden an (was ihrem Vater noch peinlicher gewesen wäre, denn er hatte sie immer ermahnt, sich aufrecht zu halten, nicht ängstlich zu sein, sondern den Leuten direkt in die Augen zu sehen). Aber ohne ihre Haare fühlte sie sich unsicher und hässlich. Und natürlich sehr farbig.

      Aber seine Augenbrauen fielen ihr trotzdem auf, und immer wenn sie an diese erste Begegnung zurückdachte, sah sie ihr braunes Gesicht mit dem grünweißen Tuch und seine dicken, buschigen Brauen, die sie anlachten. Die dicksten, die buschigsten Brauen überhaupt!! Und darunter die Augen mit kühlem, festem Blick. Sie gaben sich die Hand … »Professeur …« »Mademoiselle«

      Sie ging zurück in ihr Zimmer, wusch und kämmte sich die Haare und ließ das Tuch weg. Dann zog sie sich an und ging zum Essen.

      Er machte gerade den Salat an. Professeur … mit den buschigen Brauen. »Bonsoir, mademoiselle.« Die Stimme nicht heiter, aber erfreut, dazu der klare, feste Blick und ein grimmiges Lächeln, fast so, als hätte ihm die Schwere seiner Brauen einen finsteren Zug ins Gesicht gemeißelt, was ihm etwas Ernstes, aber auch etwas Albernes verlieh. »Et vous, mademoiselle … d’où venez-vous?«

      Nach dem Essen stand er auf dem Rasen … entre les professeurs … und sah sie vorbeigehen. Er beobachtete sie. Sie wusste, dass sie beobachtet wurde. Es war, als wären sie durch einen Draht verbunden.

      Dienstags und donnerstags besuchte sie um elf seinen Kurs in civilisation française. Montags und mittwochs überschnitt sich ihr Weg zu ihrem Neun-Uhr-Seminar mit seiner Ankunft auf dem Campus. Er fuhr vorbei, während sie über den Rasen ging … beide achteten darauf, pünktlich zu dieser Begegnung zu erscheinen. Wobei sie nie lächelten oder grüßten. Sie sahen sich nur an. Zeigten einander, dass sie es eingerichtet hatten, pünktlich zu sein.

      Dann trafen sie sich eines Abends zufällig in der einzigen Bar im Ort. »Bonjour, mademoiselleque vous êtes élégante ce soirJe peux vous offrir à boire?« Er lud sie auf ein Getränk ein. Er redete. Ihr Französisch entglitt ihr; sie spürte, wie die Wörter auf ihrer Zunge austrockneten und verkümmerten. Er redete. »Vous savez que vous avez de très jolis yeux?« Sie versuchte, Wort für Wort zu übersetzen … Sie wissen, dass Sie haben sehr schöne Augen? … zu wörtlich … Sie haben schöne Augen, wissen Sie das? Er redete. Sie sah, wie seine buschigen Brauen sich berührten und lächelten, und darüber musste sie lachen. »Après cet été je compte aller vivre à Paris!«, sprudelte es aus ihr hervor. Die Wörter kamen einzeln. Nach … dem … Sommer … beabsichtige (hoffe? gedenke?) … ich … in … Paris … zu … leben!! Sie redete weiter … »Il me plaît beaucoup de passer l’été ici.« Es … gefällt … mir … sehr … den … Sommer … hier … zu … verbringen … Sie war sehr zufrieden mit sich. Er war sehr zufrieden mit ihr. Beide waren sehr zufrieden miteinander.

      Sie machten einen Ausflug mit dem Wagen. Er redete. »Vous connaissez le Maine, mademoiselle? C’est un très joli pays. Cela fait quarante-cinq ans que j’habite ici … Vous n’étiez même pas née quand je suis arrivé ici comme professeur …« Sie hörte zu, nahm sich die Sätze einzeln vor und übersetzte jeden Wort für Wort. Kennen Sie das Maine (darüber musste sie lachen), Miss? Das ist ein sehr schönes Land. Es sind fünfundvierzig Jahre, die ich jetzt hier bin. Sie waren nicht einmal geboren, als ich kam hierher als Professor … (Na, so was, dann ist er mindestens fünfundsechzig … na, so was! …) Sie wollte ihm sagen, dass er schöne Augenbrauen hatte. »Comment dit-on ›Augenbrauen‹ en français?« Sie wollte ihm sagen, wie dick und buschig und wundervoll sie waren! »Comment dit-on ›buschig‹ en français?« Unfassbar, er hatte schon hier gelebt, als sie noch gar nicht auf der Welt war. Und dann sprudelt es aus ihr hervor: »Qu’ils sont extraordinaires, vos sourcils! Je les adore!« Beide müssen darüber lachen, in dem dunklen, leisen Wagen auf der Fahrt zum Meer … Comment dit-on … wie sagt man. Sie konnte albern sein, wenn ihr danach war, und er ließ sie. Seine Brauen zogen sich dick und pelzig zusammen, sein fester, klarer Blick verweilte auf ihr, und er lächelte sein grimmiges Lächeln. Comment dit-on … wie sagt man … Sie haben ein grimmiges Lächeln, monsieur


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