Nur einmal. Kathleen Collins

Nur einmal - Kathleen  Collins


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und schweigen, wir befinden uns in einer unvorstellbaren, skandalösen Situation … wir sollten leise sein … und schweigen … denn all das ist unvorstellbar skandalös. Er redet … »Le malheur dans cette région, c’est que les hivers sont trop longs et l’océan trop froid …« Das ist das Unglück … (zu wörtlich) … Das ist das Traurige an dieser Gegend, die Winter sind zu lang und das Meer ist zu kalt … Sie kichert. »Comme c’est vrai, monsieur«, sprudelt es aus ihr hervor. »Vous dites la vérité, monsieur.« Sie kichert wieder … Wie wahr, Mister … Sie sagen die Wahrheit!! Sie sind allein am Strand. Er kniet vor ihr. Ihre Fingernägel bohren sich in seine Haut. Er lächelt, als er ihr die Abdrücke zeigt. Das ist ihr erstes Geheimnis. »Vous aimez vous baigner, ma petite?«»Oui, monsieur, oui, oui, oui … j’aime bien me baigner!« … ja, ja, ich mag es, mich zu baden … (zu wörtlich) … ich bade mich gerne … (zu wörtlich) … ich … baden Sie sich gerne, mein Kleiner?

      Das ist zu skandalös, zu unvorstellbar, mein Kleiner. Und sie wird die ganze Zeit lachen und ihr kurzes, ihr unvorstellbar kurzes, skandalöses Haar schütteln und sich dem großen herrlichen Erwachen hingeben, das er ihr schenkt … »Comment dit-on … wie sagt man … danke …«

      Nur einmal

      Um einen fehlerlosen Sprung hinzulegen, musste er den Tunnel hinunterrutschen und unten rasch auf die Beine kommen, sonst würde er auf der Stromschiene landen.

      Er schaute sie an. »Glaubst du, ich schaffe das?« Er grinste. Als könnte er über das Leben gebieten. Mit seinen lachenden Augen. Zu allem bereit. Und seinem goldenen Körper. Zu allem bereit.

      Sie wollte ihm nicht zusehen. Nicht jetzt und auch bei keiner anderen Gelegenheit.

      Einmal gingen sie über die Brooklyn Bridge, als er plötzlich das Geländer erklomm. Im nächsten Moment spazierte er oben entlang. Sie dachte bei sich: »Das geht dich nichts an, geh einfach weiter.« Und das tat sie.

      »Hier oben ist es irre, Baby«, rief er, »selbst wenn ich runterfalle, es ist richtig irre!«

      So einem Mann begegnest du nur einmal, heißt es immer. Nur einmal.

      Er lehnte an einem Pfeiler und rauchte eine Lucky Strike. Sie kamen ins Gespräch. Er fand, dass sie komisch aussah beim Tanzen. »Du gibst ein lächerliches Bild ab«, sagte er. »Wie kommst du eigentlich darauf, dass du tanzen kannst?« Er nahm sie bei der Hand, und sie gingen in den Park.

      »Glaubst du, du kannst von dem großen Stein da springen?« Er grinste.

      Sie sah ihn nur an.

      »Na los, ich fange dich auf, wenn du verkehrt springst.«

      Sie kletterte hinauf. Sprang. Er schaute zu und ließ sie fallen. Die Landung war gut, auch wenn ihr Knöchel ein bisschen wehtat.

      »Das war wunderbar.« Er grinste. »Du hättest dir den Knöchel brechen können.«

      Sie war unglaublich stolz.

      »Wir suchen noch einen Stein. Ich fange dich auf, wenn du verkehrt springst«, sagte er und umarmte sie.

      So einem Mann begegnest du nur einmal, heißt es immer. Nur einmal.

      Er fuhr mit ihr zu ihren Eltern nach New Jersey, wo sie ihm im Garten die Rosen ihres Vaters zeigte … ihm ihre Kindheit zeigte und alles, was pikste und wehtat und schwer zu verzeihen war. Er betrachtete das Haus, den Garten und die Familie … Und sie hatte das Gefühl, dass sich alles veränderte. Verziehen war.

      Das zweite Mal hatte er sie gerade noch aufgefangen, bevor sie sich den Knöchel brach. »Das wäre fast daneben gegangen. Du bist verkehrt gesprungen.« Er grinste. Ungeheuer zufrieden, dass er sie gerade noch aufgefangen hatte. Ungeheuer zufrieden.

      »Großer Gott, das ist ja unglaublich!«, rief er. Und als sie sich umdrehte, war sein Gesicht fast hinter den üppigen lila Blüten der Glyzinie verschwunden. »Großer Gott, was für ein Wahnsinnsgeruch«, rief er. Der Duft überwältigte ihn und ließ ihn heftig erschauern. »Großer Gott«, rief er außer sich vor Glück.

      »Glaubst du, ich schaffe das?« Er grinste. Als könnte er über das Leben gebieten. Mit seinen lachenden Augen. Zu allem bereit. Und seinem goldenen Körper. Zu allem bereit.

      So einem Mann begegnest du nur einmal, heißt es immer. Nur einmal.

      Als sie wegging, schrieb er ihr Briefe. Dicke Umschläge kamen mit der Post. Auf jeder Seite stand ein Wort: Du. Weißt. Nicht. Wie. Sehr. Ich. Dich. Liebe.

      Eine einzige Rose, als sie sich an der Bushaltestelle trafen. Und ein überhebliches Grinsen auf seinem goldenen Gesicht. Nur einmal, heißt es immer. Nur einmal.

      Sie stahlen sich an der Vermieterin vorbei nach oben in sein Dachzimmer. Die Nacht war fast schon vorbei. Er drang tief in sie ein, und der Morgen brach an. Sie blutete wie ein Hundewelpe. Das helle Tageslicht weckte sie auf. Ein glückliches Grinsen liebkoste ihre Wange.

      Einmal im Schnee auf einem alten Pelzmantel. Einmal im Wald auf einem Bett aus Kiefernnadeln. Einmal in einer Scheune im Heu. Einmal. Nur einmal.

      Jetzt sitzt er in einem Sessel neben einer Lampe, und sie beobachtet ihn aus den Augenwinkeln, während sie sich mit seinen Leuten unterhält. Er bannt sie mit einem Lächeln, und das lässt sie ins Stottern geraten … »Glaubst du, ich schaffe das?« Er grinst. Als könnte er über das Leben gebieten. Darüber schalten und walten.

      Jetzt sind sie in einem Spirituosenladen an der Bowery. Sie kaufen eine Riesenflasche Chianti mit einem Straußenhals, gehen zu Fuß nach Hause in die 135. Straße und trinken unterwegs große Schlucke. Sie schlagen Räder und Purzelbäume und landen ungelenk auf der Straße. Kichernd.

      Zu Hause angekommen, sind sie so betrunken, dass sie auf dem Boden aneinanderstoßen und alles verschwimmt. Nach und nach sickern Geheimnisse durch – wie sehr es ihn überraschte, zutiefst überraschte, als seine goldene Haut schwarz wurde und bei anderen Verachtung hervorrief, als das Lachen in seinen Augen erstarb. Später wird sie versuchen sich zu erinnern, welches Geheimnis genau durch den Nebel zu ihr drang. Sie wird versuchen zu benennen, an welchem Punkt das Lachen erstarb. Wer die Beleidigung aussprach, wann und wo sie ihn traf und warum er sie nicht abschütteln konnte. Doch es wird ihr nicht gelingen. Gegen Morgen wird sich das Geheimnis verdichten. Zu einem winzigen Stück Schorf, das nicht abfallen will.

      »Glaubst du, ich schaffe das?« Er grinste. Als könnte er über das Leben gebieten. Mit seinen lachenden Augen. Zu allem bereit. Und seinem goldenen Körper. Zu allem bereit.

      Er landete auf der Stromschiene. Aber vielleicht auch nicht. Vielleicht passierte es später. Bei einem falsch berechneten Sprung von einer hohen Klippe. Aber vielleicht auch nicht. Vielleicht passierte es noch später. Er schoss sich in den Kopf. Er dachte, das Gewehr sei nicht geladen. Aber vielleicht wusste er auch, dass es geladen war.

      So einem Mann begegnest du nur einmal, heißt es immer. Nur einmal. Aber sie begegnete ihr ganzes Leben lang solchen Männern. Einer wie der andere, immer dieselbe Sorte Mann.

      Was ist nur aus der Liebe zwischen den Rassen geworden?

      Eine Wohnung in der Upper West Side mit zwei Bewohnerinnen unterschiedlicher Hautfarbe. Es ist das Jahr des Menschen. Das Jahr der Rassen-Religions-Farbenblindheit. Es ist 1963. Eine Bewohnerin (»weiß«) arbeitet in einem Ladenbüro in der Lenox Avenue in Harlem als Community Organizer. Sie ist zweiundzwanzig und kommt frisch vom Sarah Lawrence College. Sie ist zweiundzwanzig und verliebt in einen jungen Dichter vom Umbra Writers Workshop (dem später so illustre Namen wie Imamu Baraka und Ishmael Reed angehören werden). Die andere Bewohnerin (»schwarz«) kommt frisch aus einer Gefängniszelle in Albany, Georgia. Sie ist einundzwanzig und die einzige »Schwarze« ihres Abschlussjahrgangs. Sie ist verliebt in einen jungen, unbeugsamen Freedom Rider (»weiß«), dem man im Gefängnis in Mississippi den Kiefer ausgerenkt hat. Er sitzt mit ihr am Frühstückstisch, und sein Mund steht nicht still.

      Unter den Leuten, die in diesem Rassen-Mekka ein- und ausgehen: Ein Fotograf (»schwarz«), der ihnen aus Verzweiflung


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