Nur einmal. Kathleen Collins
knackigen Sarah-Lawrence-Absolventin (»weiß«) auftaucht; der Umbra-Dichter (»schwarz«), der im Wohnzimmer Kaffee trinkt und ein Gedicht mit dem Titel June Bug! vorliest; eine Gruppe Frauen mit glänzenden Augen (»weiß«), die eben noch auf den Stufen unseres Kapitols Gebetswache gehalten haben; ein paar aufsässig gestimmte Frauen (»schwarz«) die bald schon in Itta Bena, Mississippi ihrer bürgerlichen Herkunft aus dem Norden abschwören werden. Idealismus war wieder in Mode. Eine Zeit lang verstanden sich die Menschen. Innerhalb des Schmelztiegels. Innerhalb des Schmelztiegels.
Es ist Sommer. Die »Schwarze« und ihr junger »weißer« Liebhaber denken an Heirat. In Kürze wird sie ihn mit ins Krankenhaus nehmen, damit er ihren Vater kennenlernt (der nach einer Überdosis Idealismus einen Schlaganfall erlitten hat). In Kürze wird ihr kleiner weißer Liebhaber mit dem hängenden Mundwinkel (deshalb stottert er leicht) dem in Ehren ergrauten, ersten »farbigen« Rektor von New Jersey gegenüberstehen. (»… ich liebe dich«, sagt er … [das heißt, ihr Liebhaber] … »Ich möchte ein Schwarzer für dich sein«, sagt er …) Ihr Vater wird sie mit seinen dunkelgrauen Mittelschichtsaugen ansehen, unfähig, sich zu bewegen.
Es ist Sommer. Die Sarah-Lawrence-Absolventin lauscht ihrem Umbra-Dichter. Er ist dunkel und still, sein Blick huscht zwischen seinen Gedichten und ihrem Gesicht hin und her. In der Wohnung wird es dämmrig. Später wird die Clique losziehen und eine Versammlung zum Mieterstreik in Harlem, eine Spendenaktion für das SNCC oder ein Treffen der Wahlregistrierungshelfer in Newark, New Jersey besuchen.
Wir sind im Jahr, in dem die Grenzen zwischen den Rassen, Religionen und Ethnien verwischen: In Montclair, New Jersey; Brookfield, Massachusetts; Hartford, Connecticut; Mount Vernon, New York und Washington, D.C. – den verborgenen Enklaven der SCHWARZEN BOURGEOISIE (so heißt ein Buch, das in einer namenlosen Kleinstadtbücherei aus dem staubigen Regal gezogen wird, kurz darauf als Taschenbuch erscheint und einen bis dahin namenlosen »schwarzen« Soziologen schlagartig berühmt macht) – müssen »schwarze« Eltern erleben, wie ihre Kinder sich gegen das bürgerliche Streben nach Ent-Ghettoisierung auflehnen. Ihre Söhne werden für die Freiheit ins Gefängnis gehen (was in den Augen der Eltern nicht besser ist, als würden sie wegen bewaffneten Raubüberfalls, Drogenhandels, Zuhälterei oder anderer ethnientypischer Straftaten hinter Gittern landen). Ihre Töchter werden sich zum Beten auf die staubigen roten Straßen Georgias knien, als hätten sie ihre erste Begegnung mit dem Glauben nicht auf den hübschen samtenen Bänken in der Episkopalkirche gehabt. Die ersten »Farbigen« in Medizin, Rechtswesen, Politik, Pädagogik und Maschinenbau, im Baseball, Basketball und Tennis, in der biochemischen Forschung, in der Armee und in der Filmindustrie werden gebeten, vorzutreten und über ihren Erfolg zu sprechen. Der Name Ralph Bunche wird bald jedem Amerikaner ein Begriff sein. Jeder, der etwas auf sich hält, wird mindestens einmal einen »Schwarzen« zum Essen mit nach Hause bringen. Es ist das Jahr des Menschen. Es ist 1963: Was ist nur aus der Liebe zwischen den Rassen geworden?
In der Wohnung in der Upper West Side sind unsere junge »Schwarze« und ihr Freedom Rider gerade zurück aus dem Krankenhaus. Sie ist beschämt und seltsam niedergeschlagen. Der trostlose Ausdruck in den Augen ihres Vaters hatte nichts Beruhigendes. Er konnte sich nicht rühren, doch schien er zu sagen: Habe ich all die Jahre dafür gekämpft, für diese … für diese anrüchige Verbindung? Offenbar versteht er nicht, wie die Welt von morgen aussieht. Offenbar versteht er nicht, dass die junge farbige Frau, die er gezeugt hat, nicht an Farbe glaubt: dass der junge Freedom Rider ihrer Träume für sie keine Farbe hat (was auch zutrifft), dass ihre Gefühle füreinander dort beginnen, wo Farbe aufhört (weil das gar nicht anders sein kann), dass er endlich einsehen muss, dass Rasse als Problem, Rasse als sozialer Faktor, Rasse als politische und ökonomische Barriere der Vergangenheit angehört. Sieht er denn nicht, dass die Liebe keine Farben kennt? Sie ist den Tränen nahe. Die grauen Mittelschichtsaugen gehen ihr nicht aus dem Sinn.
Ihr Liebhaber sitzt geknickt in dem sonnenlosen Zimmer. (Beim Einzug hatte sie sich für das Zimmer am Ende des Flures entschieden, weil sie glaubte, dort hätte sie mehr Ruhe. Die hat sie auch, aber dafür hat das Zimmer kein Licht, und kurz vor ihrem Auszug wird sie dahinterkommen, dass ihre ganze Traurigkeit von dem dunklen, lichtarmen Schlauch herrührte, den sie ihr Zimmer nannte. Sie hätte einfach nur Licht gebraucht. Ein von herrlichem Sonnenlicht durchflutetes Zimmer.) Er denkt an seine Eltern in Boston, an ihre strenge Erziehung. Sein Vater wird keinerlei Bereitschaft zeigen, das Mädchen kennenzulernen, das er heiraten will. Seine Mutter wird sich höchstens zu einem heimlichen Treffen in einem abgelegenen Bostoner Restaurant überreden lassen. Wie soll er seinem Vater begreiflich machen, wie man sich fühlt, wenn man krankenhausreif geschlagen wird? Wie man sich fühlt mit eingeschlagenen Zähnen und ausgerenktem Kiefer, mit gebrochener Nase und matschigem Bauch. Und alles nur für die Freiheit. Alles für die »Schwarzen« in diesem Land, das wir Amerika nennen. Sein Vater muss endlich einsehen, dass niemand ihn verrät, dass er, der Sohn, in Wahrheit nur den Traum des Vaters verwirklichen will – den Traum, an den er, der Vater, tief im Innersten glaubt. Irgendwo tief im Innersten. Er, der Sohn. Es ist 1963: Es ist das Jahr, in dem sich Prophezeiungen erfüllen. Die letzte Erweckungsversammlung liegt noch nicht lange zurück, dort nahmen die Söhne das Kreuz ihrer Väter auf sich. Weiße Söhne machten sich auf zu den Schotterstraßen Georgias und Alabamas, um ihren Vätern zu beweisen, dass es im Schmelztiegel noch einiges zu schmelzen gab. »Schwarze« Söhne machten sich auf zu den Woolworths, Grants und Greyhounds von Amerika, um ihren Vätern zu beweisen, dass sie überall sitzen, essen und fahren konnten, vorne wie hinten.
Ihr Liebhaber sitzt allein und geknickt in dem sonnenlosen Zimmer. Bald muss er zurück auf die Baumwollfelder, weiter die »Basis organisieren«. Sein Bostoner Englisch spielt mit dem breiten Südstaatenakzent. Sein weißes Gesicht treibt in einem Meer aus schwarzem Protest. Diese Zeit verlangt nach einer bildgewaltigen Metapher, denn wir tauchen hinab in die legendären Abgründe Amerikas … dort, wo man sich die Nase am groben Sand der Illusion aufschürft und blutend wieder auftaucht.
Nach seiner Rückkehr wird unser junger Liebhaber (»weiß«) zum zweiten Mal im Gefängnis landen. Er wird sich weigern, die Kaution zu zahlen, zu essen und den Mund zu halten, bis man ihn abermals zusammenschlägt, um ihn (vergeblich) zum Schweigen zu bringen. Sein Vater eilt ihm nicht zur Hilfe. Seine Mutter fleht ihn an, den beigefügten Scheck einzulösen und nach Hause zu kommen. Seine (»schwarze«)Freundin schreibt ihm aus der Wohnung in der Upper West Side poetische Briefe mit ein paar aufmunternden Zeilen von Emily Dickinson (»Niemand bin ich! /und du?«) oder, wenn die Schwermut sie packt, mit ein bisschen Edna St. Vincent Millay (»Wenn ich ganz zufällig und nebenbei erführe, /dass du gestorben bist, nie mehr wiederkommst«). In dieser trüben Stimmung verbringen sie den Winter.
Die (»schwarze«) Mitbewohnerin verkriecht sich in ihrem sonnenlosen Zimmer. Angesichts der strengen Haltung ihres gelähmten Vaters, angesichts ihres inhaftierten Liebhabers sitzt sie da, trinkt Tee und durchlebt noch einmal ihre »weiße« Studienzeit (wie ist es gewesen, die Einzige zu sein????).
Sie denkt an die mahnenden Worte ihres Vaters, Problemen mit Zimmergenossinnen von vornherein aus dem Weg zu gehen (IH!!!! In meinem Zimmer sitzt eine »Negerin«!!!): Verlang immer ein Einzelzimmer. Sie erinnert sich an jedes dieser Einzelzimmer – eins pro Jahr. Doch einsam war sie nie. Sie wurde (im ersten Jahr) zur Studentensprecherin gewählt, war (im zweiten Jahr) Studentenvertreterin im Disziplinarausschuss und im Jahr darauf irgendetwas anderes … Sie war sich sicher, dass sie eine von ihnen war, bis zu dem schicksalhaften Tag, als das ERSTE SIT-IN stattfand und sie mit der Frage konfrontiert wurde, warum sie selbst so privilegiert war, wo doch, wie sie von den SITZSTREIKENDEN erfuhr (die in Scharen in alle fast-weißen Einrichtungen im Land strömten und Vorträge hielten), so viele Angehörige ihrer Rasse (viel später erst wurde daraus »ihr Volk«) in Armut und Verzweiflung lebten und sogar um ihr Wahlrecht, ein amerikanisches Grundrecht, betrogen wurden. Dabei waren sie Amerikaner, genau wie sie. Und so teilte sie ihrem (noch nicht gelähmten) Vater an Ostern mit, dass sie im Sommer in den Süden fahren und bei der Wählerregistrierung helfen werde, dass sie im Sommer in den Süden fahren werde, um ein für alle Mal herauszufinden, was es hieß, »schwarz« zu sein.
In jenem Sommer war sie völlig unerwartet zu einer verblüffenden Erkenntnis gelangt: Sie konnte jeden heiraten, nicht nur einen farbigen Arzt/Anwalt/Lehrer/Professor,