Scheidung kann tödlich sein. Andrea Ross
heraus, schüttelte provisorisch die Sauerei aus dessen Innenleben. Er sah dabei aus, als wäre ihm nun wieder speiübel. Was es ihm scheinbar am Vorabend auch schon gewesen war, denn der restliche, im wahrsten Sinne des Wortes feuchtfröhliche Nachhauseweg war mit mehreren »Pizzen« verziert, die mutmaßlich von ihm gestammt haben dürften.
Wieder bemerkt Peterchen, er werde nie wieder Alkohol zu sich nehmen. Nie wieder. Besonders nach dem Generalanschiss unserer Mutter, die normalerweise eher zu sanft mit ihrem geliebten Bübchen umgeht.
Heute Abend werde ich die Einweihung meiner ersten eigenen Wohnung gebührend feiern, welche im Dachgeschoss einer nagelneuen, sehr ansprechenden Wohnanlage liegt. Ich verfüge sogar über eine Loggia mit Blick über Bayreuth und ein sechseckiges Schlafzimmer, wandere immer wieder stolz durch meine Räume. Im Wohnzimmer habe ich eine Fototapete mit Palmenstrand angebracht, passend dazu eine Anpflanzung mit Sand, Palmen und Lavabrunnen aufgestellt. Eine der Küchenwände ist sogar mit einer riesigen Palme bemalt und diese ganze Pracht habe ich mit meinem Beamtengehalt höchstpersönlich selber bezahlt.
Wenigstens dafür ist dieser Job gut! Ja, ich bin schon sehr glücklich, endlich aus dem Kinderzimmer ausgezogen zu sein, welches ich bis vor wenigen Tagen immer noch zusammen mit meinem Bruder bewohnt habe. Mann, werden meine Freunde staunen, wenn sie diese Pracht hier sehen!
Natürlich habe ich raue Mengen an Bier, Schnaps und Wein besorgt. Man bekommt ja nur einmal im Leben seine erste Wohnung und das will angemessen gefeiert werden. Peter wird auch kommen, seinen Kumpel Roli mitbringen. Ich habe mir vorgenommen, ihn einmal derart abzufüllen, dass es ihm für alle Zeiten vergeht. Denn er übertreibt seinen Alkoholkonsum in letzter Zeit für meinen Geschmack etwas und ich habe im Dienst oft genug gesehen, wo so etwas enden kann; das muss verhindert werden.
Peter ist zwar doof, aber immerhin mein Bruder. Dekorativ stelle ich die Schnapsflaschen schön in einer Reihe auf die Küchenzeile, damit er sie auch sieht.
Als ich Peter zu Hause abhole, ermahnt mich meine Mutter eindringlich, ich solle bloß gut auf ihren Sohn aufpassen. Nicht, dass er zu viel trinkt! Und um Mitternacht müsse ich ihn nach Hause bringen, aber zuverlässig, nicht später!
»Jaja, Mama. Alles klar, mache ich!«
Es läuft genauso wie von mir erwartet. Während meine Gäste so langsam einlaufen und meine Behausung bewundern, mit einem Gläschen Wein auf der Loggia stehen und mich beneiden, checkt mein Bruder bereits die Spirituosenbestände. Roli und er bemerken fachkundig, dass diese paar lumpigen Fläschchen wohl kaum reichen werden, sich anständig und gepflegt die Kante zu geben. Na klar, niemals! Bei solch harten Männern mit derart ausgeprägten Lebern natürlich nicht! Ich grinse in mich hinein und harre der Dinge, die da kommen werden.
Zunächst muss ich mich um die Versorgung meiner anderen Gäste kümmern, kann ab und zu nur einen Seitenblick in die Küche werfen, wo Peter und Roli intensiv Barkeeper spielen. Sie sind sich selbst die besten Gäste, denn Roli singt bereits und Peters Aussprache klingt schon verwaschen. Als ich ihn frage, wie es ihm in seiner Küche denn so geht, verbiegt er seltsam den Oberkörper und versucht mit zwei Fingern, das Victory-Zeichen zu formen. So ganz will das aber nicht gelingen. Er hat Gleichgewichtsprobleme, gut so. Da kann es bis zum totalen »Tilt« nicht mehr weit sein.
Als ich das nächste Mal an der Küche vorbeikomme, sehe ich bloß noch den Roli, der sich krampfhaft an der Arbeitsplatte der Küchenzeile festkrallt, so als wäre es die Reling eines Dampfers bei schwerem Seegang. Sprechen kann er nicht mehr, als ich ihn beiläufig frage, wo denn der Peter abgeblieben sei. Nur noch vorsichtig in Richtung meiner Toilette deuten.
Aha, es ist so weit! Schon beschweren sich Gäste, dass das Klo dauernd blockiert sei, die Türe auch nicht aufgehe, obwohl man sehen könne, dass nicht von innen abgesperrt sei. Mit Gewalt drücke ich die Tür einen Spalt breit auf, sehe meinen Bruder am Fußboden liegen. Er hat sich dekorativ rund um die Toilettenschüssel drapiert und stöhnt leise vor sich hin, ein Bild für Götter. Kein Wunder, dass niemand die Türe öffnen konnte! Peter ist fast 2 Meter groß und musste in seinem Zustand auf den Boden meines eher kleinen Duschbades passen.
Drei kräftigere Männer aus meinem Bekanntenkreis helfen mir, den käseweißen Peter vorsichtig aus dem Bad zu bugsieren, ihn neben einem Eimer in meiner Diele abzulegen. Sonst kann keiner mehr auf die Toilette gehen. Peter hat keine Ahnung, wo oder wer er ist; er sieht aus, als würde er jeden Moment den Löffel abgeben. Zum Glück kotzt er nicht mehr, das hat er bereits ausgiebig hinter sich. Sein Freund Roli verabschiedet sich kleinlaut, dieser hat wohl etwas früher mit dem Alkoholkonsum aufgehört und kann noch nach Hause wanken, er hat es nicht sehr weit.
Peter allerdings erkennt ihn nicht mehr, versucht stattdessen krampfhaft, das Karussell anzuhalten, auf dem er sich wähnt. Mit seinen Flurschadentretern »bremst« er zu beiden Seiten meiner schön weiß getünchten Diele an den Wänden, hinterlässt hässliche Schuhabdrücke. Da werde ich morgen mit Farbe und Pinsel anrücken müssen, aber ich bin ja selber schuld.
Jetzt fängt der Peter auch noch an zu zittern, scheinbar ist ihm kalt. Als ich mit einer Decke die Kälte verscheuchen will, hat er bereits etwas zum Zudecken gefunden: mein Telefonbuch. Er hat es sich auf den Bauch gelegt, klammert sich mit beiden Händen daran fest, so als wäre es eine Bettdecke. Und ist eingeschlafen, schnarcht wie ein Waldarbeiter. Na gut, den lasse ich erst einmal so liegen, informiere nur meine Gäste, damit sie nicht drauftreten. Alle paar Minuten grunzt der Peter auf, haut mit Händen und Füßen um sich und rückt das Telefonbuch wieder gerade, damit er nicht friert. Jedes Mal ergibt es neue Fußabdrücke an meiner Wand, Größe 46.
Irgendwann verabschieden sich die ersten meiner Freunde und ich nehme entsetzt wahr, dass es bereits 23.30 Uhr ist. Mist, der Peter muss dringend heim! Aber wie soll das bitteschön gehen? Ich schnappe mir wieder die drei kräftigen Kumpels und bitte sie, den Peter in die Senkrechte zu bringen. Weil wir ihn die Treppe hinunter und zum Auto schaffen müssen. Sie sehen mich ungläubig an. »Wie sollen wir, bitte schön, diesen langen Kerl heil die Treppe hinunterkriegen? Aus dem zweiten Stock? Laufen kann der bestimmt nicht!«
Da haben sie allerdings Recht, aber es muss irgendwie gehen. Ich mag mir einfach keinen Einlauf bei Mama abholen!
Es IST schwierig. Kaum, dass man Peter auf seine Füße stellen will, wird ihm wieder schlecht. Stehen kann er nicht, außerdem ist er wütend und schlägt um sich. Er will unbedingt unter seinem Telefonbuch weiterschlafen. Wir lassen das Peterchen erst einmal ausgiebig das Klo vollkotzen, dann zerren wir es mit Gewalt aus der Wohnung. Im Treppenhaus kommen wir arg ins Schwitzen, denn der Peter ist nicht nur unhandlich, sondern schwankt gefährlich auf den Treppenstufen herum. Dazu brüllt er jetzt auch noch unflätig Schimpfwörter, die es eigentlich gar nicht gibt. Die hat er im Rausch wohl selber erfunden. Im ganzen Haus öffnen sich Wohnungstüren und die Bewohner lugen ängstlich durch den Türspalt. Was ist denn da bloß los?
Ich entschuldige mich bei den Leuten, will ja eigentlich nicht gleich nach dem Einzug negativ auffallen, während ich zusammen mit den anderen versuche, nicht mitsamt Peter die Treppe hinunterzufallen. Manchmal ist es knapp; zum Beispiel, wenn Peter sich am Geländer festklammert und unbedingt wieder nach oben will. Zum Telefonbuch. Wenn ich ihm dann mit Gewalt die Finger aufgebogen habe, kriegt er das Übergewicht und reißt die anderen fast mit runter.
Uff, geschafft! Der Peter ist endlich unten und mein Nachbar hält die Tür auf. Jetzt muss Peter noch die 100 Meter bis zum Auto geschleift werden, dann ist Teil 1 dieser Aufgabe erst einmal erledigt. Es ist allerdings noch ein Kunststückchen, den Peter ins Auto zu bekommen, denn mein Toyota Starlet hat keinen allzu großen Innenraum und Peter schlägt noch immer wild um sich, klammert sich überall fest. Jetzt endlich haben wir die Autotür zu bekommen, Peter liegt indes vornübergebeugt mit dem Kopf auf dem Armaturenbrett und wimmert vor sich hin.
Die anderen Jungs fragen mich halbherzig, ob einer mitfahren und uns begleiten sollte; sie sind sichtbar erleichtert, als ich verneine. Die sind schon geschafft genug, das Ganze war ja auch meine eigene Schuld.
Während ich losfahre, bereue ich meine Entscheidung bereits. Was würde ich denn machen, wenn ich Autofahren muss und Peter greift mir womöglich ins Lenkrad, kotzt mir ins Auto oder was sonst ihm einfallen mag? Ich greife ins Handschuhfach