Scheidung kann tödlich sein. Andrea Ross
in Ferienhaus-Position, damit die Räume schon wieder halbwegs anständig aussahen, wenn Verwalterin Yvonne das Haus betreten würde.
Natürlich überprüften wir, ob inzwischen weitere Post dort aufgelaufen war. Allerdings, es fanden sich Briefe im Kasten, besonders ein nettes Schreiben für Attila von der Deutschen Rentenversicherung, welches er amüsiert für einen Irrläufer hielt; er war in Deutschland ja mit der GmbH nicht versicherungspflichtig gewesen und das Schreiben behauptete, er hätte sich womöglich als Selbständiger pflichtversichern müssen. Das bezog sich auf Attilas Einzelgewerbe, das er neben der GmbH, und früher der Limited, zusätzlich angemeldet hatte, für das er aber schon seit etlichen Jahren schon nicht mehr arbeitete. Nur, wie kam die Versicherung jetzt nach Jahren plötzlich darauf, hier Überprüfungen anzustellen? Ein Anruf dort sollte es klären.
Attila rief die zuständige Dame an und erfuhr, dass sein Versicherungsstatus nun ermittelt werden müsse, und zwar 5 Jahre zurück bis 2006. Während dieses Telefonats fühlte sich Attila immer beunruhigter, denn ihm fiel siedend heiß ein, dass er ja tatsächlich in der fraglichen Zeit noch ein paar Rechnungen über das Einzelgewerbe gestellt hatte, ohne hierbei sozialversichert gewesen zu sein.
Er stellte der Dame die Frage, wie sie denn ausgerechnet jetzt auf die Idee käme, das Ganze zu überprüfen, nachdem er mittlerweile ausgewandert sei und seine GmbH sich in Liquidation befinde. Nun, das liege am anhängigen Scheidungsverfahren, wegen dem durchzuführenden Versorgungsausgleich, erklärte diese.
Das klang höchst merkwürdig, denn die Auskunft der Rentenversicherung hatte dem Gericht schon seit Monaten vorgelegen. Hatte da etwa schon wieder Uschi als Denunziantin die Finger im Spiel, die auf diese Weise ihr Zerstörungswerk fortsetzte?
Unmöglich war das nicht! Dabei war sie selbst damals die Geschäftsführerin der GmbH gewesen, wenn auch bloß auf dem Papier. Wenn, dann hätte sie die Beiträge für ihren Programmierer abführen müssen, doch die Zeche für das Versäumnis durfte die GmbH heute bezahlen, ergo er als Geschäftsführer. Uschi wäre wieder einmal fein heraus.
Ich fragte Attila nach dem Telefonat, wie schlimm eigentlich diese neuerliche Katastrophe in finanzieller Hinsicht werde, wenn nun nachversichert werden müsste. Er schätzte, so um die 14.000 Euro, was sich beim nachfolgenden Anruf bei der Steuerberaterin leider bestätigte. Auch sie ging davon aus, dass Uschi höchstwahrscheinlich die Informantin gewesen war.
Prima, noch ein »paar« Tausender, die wir nicht auf der Rechnung gehabt hatten! So langsam bekam ich ernstlich die Krise. Attila dagegen nahm es in einem Anfall von Fatalismus relativ leicht. Im Falle des Falles werde er eben doch nicht liquidieren, sondern in Konkurs gehen. Dann müsse es halt so sein!
Die Altlasten dieses Mannes, die ich nicht nur in familiärer, sondern auch in finanzieller Hinsicht ständig mitzutragen hatte, wogen alles andere als leicht. Hätte ich ihn nicht so sehr geliebt, wäre ich schon lange auf der Strecke geblieben. Oder, wie Dr. Beutler es einst ausdrückte: von Bord gegangen.
Apropos familiäre Lasten ... Attila hatte seinem Anwalt voreilig eine Mail geschickt, als Ronja am vergangenen Samstag nicht innerhalb der vereinbarten Zeit auf die E-Mails geantwortet hatte. Aufgrund dieser Mail hatte der Anwalt wiederum ein Schreiben an den Familienrichter gesandt, in welchem er darauf hinwies, dass Ronja in der Vergangenheit bereits zweimal geäußert habe, zu ihrem Vater nach Spanien ziehen zu wollen. Dass alle anders lautenden Äußerungen nur auf Druck der Mutter zustande kämen, auch gegenüber der Gutachterin und dem Verfahrenspfleger. Und dass im Übrigen der Mailkontakt schon wieder unterbunden werde; was sich im Nachhinein allerdings als nicht zutreffend herausgestellt hatte.
Was sollte das schon wieder? Außerdem – was machte ihn eigentlich so sicher, dass das Kind für immer hierher zu ihm ziehen wollte? Ronja hängte doch auch nur ihr Fähnchen in den Wind, benutzte Attila genau dann, wenn sie sich einen Vorteil versprach oder wenn sie Schützenhilfe gegen ihre Mutter brauchte.
Attila versuchte also weiterhin, die Kinder hierher nach Spanien zu bekommen. Aufgrund dieser neuerlichen Ereignisse drohte ich erneut in eine Depression zu rutschen. Es würde niemals aufhören und die anstehende Verhandlung bedeutete für mich eine echte Gefahr für die Zukunft. So viel war spätestens jetzt klar.
Natürlich kam Attila auch an diesem Tag fast nicht zum Arbeiten. Er musste für die Rentenversicherung alte Rechnungen kopieren und Fragebögen ausfüllen. Wie sollte er das Geld verdienen, welches alle so dringend von ihm bekommen wollten? Und wann ließ uns Deutschland endlich in Ruhe?
Am liebsten wäre mir gewesen, ich hätte eine Methode gekannt, die es erlaubte, gewisse Speicherplätze in meinem Gehirn einfach zu löschen, so dass ich über diesen ganzen Wahnsinn wenigstens nicht mehr hätte nachdenken müssen. Das Negative dominierte in diesen Tagen wieder deutlich unser Leben.
Das bekam auch Attila zu spüren. Den ganzen Abend über grübelte er, wie er all das wieder in den Griff bekommen sollte. Falls er wegen dieser außerplanmäßigen Ausgaben tatsächlich in den Konkurs gehen müsste, dann würde das überzogene Gesellschafterkonto an ihm privat haften bleiben, welches zum Schluss ausgeglichen werden musste; er haftete ja dafür. Nur – wie?
Überzogen ist viel zu harmlos ausgedrückt! Es handelte sich um über 40.000 Euro, die größtenteils noch aus der Ehe mit Uschi resultierten; nur, dass er die Zeche nun alleine zahlen durfte, denn sie versteckte sich ja erfolgreich hinter ihrer Privatinsolvenz.
Es hätte durchaus eine Möglichkeit gegeben, diesen Knoten aufzulösen, denn die Firma warf nach wie vor gute Umsätze ab, die eine Gewinnausschüttung in der benötigten Höhe hergegeben hätten, um diese Verbindlichkeiten auszugleichen.
Nur – im Falle einer Gewinnausschüttung käme sofort Uschi daher und hielte die Hand auf. Denn sie würde davon ausgehen, dass Attila ja doch über mehr Geld verfüge als angegeben, wenn er jetzt auf einmal sogar eine Gewinnausschüttung durchführen könnte. Und dann würde sie im Rahmen des Zugewinnausgleichs augenblicklich die Hälfte haben wollen, auch wenn de facto gar kein Geld floss, sondern damit nur das Minus abgedeckt würde, welches zum größten Teil aus ihrer eigenen Zeit als verschwenderische Geschäftsführerin resultierte.
Alle paar Wochen ein neues Handy für irgendein Familienmitglied, ständig neue und vor allem teure Möbel, Reitunterricht für Solveig, Privatschule für zwei der Kinder, Musikunterricht, sehr teure Mieten für überdimensionierte Wohnobjekte, drei Autos … nur bekam Uschi regelmäßig eine Amnesie, wenn sie darauf gestoßen wurde, woraus eigentlich dieses Minus resultierte. Attila hatte all das damals abgesegnet, damit seine liebe Frau nicht ständig nörgelte. Diese wiederum hatte den Kindern alles spendiert, was sie haben wollten, damit sie sich nicht mit ihnen befassen musste; wodurch diese nebenbei auch noch unmäßig verwöhnt wurden und jetzt mit dem notwendigen Konsumverzicht nicht klarkamen.
Wie konnte man nur derart über seine Verhältnisse leben?
Es war nicht davon auszugehen, dass sie diesen Zusammenhang jemals kapierte. Attila wäre wieder in der Defensive, müsste sich nach allen Seiten hin verteidigen. Wer wusste schon sicher, ob der Familienrichter diese Zusammenhänge würde vollinhaltlich verstehen können? Dass sich Attila trotzdem weiterhin kein oder nur ein sehr niedriges Gehalt auszahlen konnte? Dass er selber von dieser »Gewinnausschüttung« keinen Cent sehen würde? Es blieb ohnehin schon spannend genug, auch ohne diesen Winkelzug. Denn mir war wirklich nicht ganz klar, wie Attila all das bis zum Jahresende 2011 stemmen wollte, wenn die Firma endgültig liquidiert werden sollte. Der Ausgleich besagter 40.000 Euro, dazu Steuerzahlungen, ebenfalls in 5-stelliger Höhe. Nebenbei noch die neu aufgetauchten Verbindlichkeiten von ungefähr 16.000 Euro. Und das alles, obwohl er dauernd nicht zum Arbeiten kam. Ich merkte es ihm an: sein Optimismus nahm stetig ab, auch er bekam es mit der Angst zu tun. Ich sowieso, die ich vorher niemals mit solchen Minus-Beträgen jongliert hatte.
Ich witterte eine weitere Gefahr, die Attila anscheinend überhaupt nicht bewusst war, oder die er verdrängte; ihn darauf anzusprechen, hätte unter Garantie wieder Streit bedeutet. Aber Attila versuchte ständig, die Kinder hierher zu holen, obwohl er den Anwalt eben erst wieder wahrheitsgemäß hatte schreiben lassen, dass wir auf 80 qm leben und auch noch unsere beiden Firmen in dem kleinen Häuschen untergebracht