Scheidung kann tödlich sein. Andrea Ross

Scheidung kann tödlich sein - Andrea Ross


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ich mich retten könnte. Da, ein Müllcontainer! Gerade noch rechtzeitig gelingt es mir, dort hinaufzuklettern, als Mucki seine spitzen Zähne schon wieder in den Saum meiner Hose gegraben hatte.

      Ich sitze mit klopfendem Herzen und völlig aus der Puste auf dem metallenen Müllcontainer, froh über meine Rettung, und untersuche den Hosensaum. Ha, diesmal konnte er nichts ruinieren, der blöde Kläffer. Aus einem Hauseingang sehe ich vorsichtig die Hannelore hervorlugen, ums Eck die dicke Ricke. Mucki steht vor der Mülltonne und verbellt mich nach Leibeskräften. Da will ich vor meinen Freundinnen natürlich als besonders stark dastehen, fange an, den Mucki zu verhöhnen.

      »Na, du wandelnder Bettvorleger? Hast wohl noch gar nicht geschnallt, dass du gar kein richtiger Kampfhund bist, du lächerliche Schoßtöle??« Gelächter aus dem Hauseingang. Jetzt finde ich die ganze Sache relativ lustig, weiß allerdings noch nicht, wie ich jemals von der Mülltonne wieder herunterkommen soll, wenn das Vieh nicht bald verschwindet.

      Dieser Entscheidung werde ich allerdings enthoben, und dies viel zu plötzlich. Unter meinem Hosenboden tut sich was, der große Deckel des metallenen Müllcontainers öffnet sich, rutscht nach hinten hinunter. Und ich schreiend mit ihm.

      Plumps, lande ich genau vor Muckis Schnauze, der erfreut um die Mülltonne gerannt ist, um mich gebührend in Empfang zu nehmen. HRRRRRRR! Mucki fletscht das Gebiss, knurrt bedrohlich und macht sich daran, meine Kleidung zu zerfetzen. Da naht im Laufschritt Ilonas Mutter mit einer Leine, und da Mucki gar so sehr mit meiner Socke beschäftigt ist, die er haarklein zu zerlegen gedenkt, kann sie die Leine mühelos an seinem Halsband einhaken und ihn wegzerren. Gerettet!

      Ich bin schon ein bisschen sauer auf die anderen, die mir nicht einmal zu Hilfe geeilt sind, sondern nur mit wohligem Schaudern abgewartet haben, ob ich nun gefressen werde oder nicht. Feige Schweinebande. Ich glaube, die nächsten Wochen dürfen sie auf meine Wenigkeit verzichten, ich werde mich erst einmal wieder hinter meinen Büchern vergraben. Wobei man Mucki nicht mehr gesichtet hat; ich glaube, der ist im Tierheim.

       *

      

      Am Dienstagmorgen tigerte ich los, um meine Wirkung als Vertreterin für Anzeigen auf die Geschäftswelt zu testen. Der Einstieg gestaltete sich erst einmal schwierig, denn die einen brauchten keine Werbung, weil sie ohnehin jede Menge Kundschaft bekamen. Die anderen hatten zum Zeitpunkt des Besuchs den Geschäftsinhaber nicht zum Gespräch vorrätig, dort konnte ich nur Preisliste, Heftchen sowie meine Telefonnummer hinterlassen, musste später nachbohren. Aber zum Schluss stellte sich doch noch ein Erfolgserlebnis ein. Und was für eines!

      Ich beschloss, einem neu eröffneten Fitnessund Wellnesscenter einen Besuch abzustatten. Und Bingo – man suchte noch nach einer Möglichkeit, den Club bei den deutschen Residenten bekannt zu machen und seine Eröffnungsangebote zu präsentieren. Dort konnte ich einen Termin für ein Interview vereinbaren, denn man wollte eine größere Anzeige für mehrere Monate schalten. Diesen Vertrag hatte ich praktisch in der Tasche. Die netten dänischen Inhaber zeigten mir nach dem Gespräch noch stolz das mehrstöckige Haus.

      Und was für ein Haus! Erstens war es äußerst geschmackvoll eingerichtet, wobei Dunkelbraun und Apfelgrün dominierten. Alles war perfekt durchgestylt. Man bekam jede nur erdenkliche Wellnessund Schönheitsbehandlung geboten: von der Kosmetikerin über Kneipp-Anwendungen, Sauna, Frisör, Fitness oder kleine, feine Snacks, und das alles in einem Traum-Ambiente.

      Wenn ich nur an jenen Raum denke, in welchem Salz aus dem Himalaya ausgelegt war und alles in orangefarbenen SalzlampenDesign erstrahlte. Außerdem glänzte der Laden mit sehr freundlichem Personal, ich wollte dort am liebsten gar nicht mehr weg. So kam ich nicht, wie ich es befürchtet hatte, frustriert, sondern eher beschwingt nach Hause. Für einen ersten Tag war das Ganze nett gewesen.

      Am Abend meldete sich Marco bei Attila mit der Begründung, dass er das Mailstündchen am Vortag vergessen habe; die beiden kommunizierten ein paar Minuten, dann war das Söhnchen auch schon wieder weg vom Rechner.

      Auch am folgenden Tag machte ich meine Runde, um Anzeigen an den Mann oder die Frau zu bringen. Die Reaktionen fielen sehr unterschiedlich aus. Während man in manchen Geschäften und Bars Interesse zeigte oder es wenigstens heuchelte, kam man sich in anderen vor, als sei man ein nerviger Störenfried. Gleich entscheiden wollte ohnehin keiner, ob man sich zu einer Anzeige durchringen könne; somit konnte ich nur Angebot und Telefonnummer hinterlassen und später wiederkommen. Eigentlich gar nicht mein Fall.

      Am Donnerstag war ich längere Zeit mit Attila unterwegs, um einzukaufen und ähnliches, hatte zudem einiges im Haushalt zu erledigen. So ließ ich für diesen Tag die Anzeigentour ausfallen und begann lieber damit, schon mal den Teil 2 für meinen Roman zu beginnen. Auch in Bezug auf die Autorentätigkeit hatte ich neue Tiefschläge zu verkraften, denn ich war im Internet auf Gerichtsurteile gestoßen, die das Thema »Persönlichkeitsrechte bei Biografien« behandelten. Mein Scheidungsdrama strotzte nur so von Personenbeschreibungen, auch wenn die Namen von allen Personen, die als Vorlage gedient hatten, von mir geändert worden waren.

      Die Rechtsprechung hierzu war ziemlich widersprüchlich. Für manche Gerichte genügte es, das Ganze als »Roman« zu kennzeichnen und darauf hinzuweisen, dass die beschriebenen Personen stellvertretend für eine bestimmte Art von Menschen und deren Persönlichkeit zu werten sind, nicht als reale Person. Also ein »fiktiver Anteil« musste hinter der Geschichte zu vermuten oder tatsächlich vorhanden sein. Andere wiederum sahen das enger und verurteilten Autoren schon, sobald sich nur irgendwer in der Geschichte wiederzuerkennen glaubte.

      Somit war mein schriftlich festgehaltenes Lebensdrama samt Hinzudichtungen nicht nur inhaltlich ein wahres Pulverfass, sondern auch aus diesen Gründen gefährlich, es zu veröffentlichen. Die demokratische Presseund Meinungsfreiheit konnte ich hinter solchen Lehrsätzen jedenfalls nicht mehr erkennen, wenn man nicht einmal ohne Namensnennung bloße Sachverhalte beschreiben konnte, ohne Ärger zu bekommen. Es gab viele Uschis dort draußen, viele Stadtverwaltungen und viele andere merkwürdige Leute. Durfte man all das nicht mehr beschreiben?

      Uschis Fehlverhalten wurde gemeinhin geduldet, meine Ausführungen darüber hingegen vermutlich nicht. Und mir war klar: selbst, wenn ich ein eventuell gegen mich eingeleitetes Verfahren im Endeffekt gewinnen würde, es wäre schon wieder eine neue Baustelle, auf der wir uns zur Wehr setzen müssten.

      Außerdem fiele das Ganze auf Attila zurück, könnte den Fortgang seines Scheidungsverfahrens negativ beeinflussen. Daher musste ich wohl meinen Ehrgeiz hintenanstellen und abwarten, wie es weitergehen würde, das Manuskript überarbeiten. Wieder war ich ausgebremst, konnte mit meinen nun fast drei Bänden kein Geld verdienen, obwohl diese echt gut gelungen waren. Zu Band 1 hatte ich ja schon ein Vertragsangebot in Händen, dazu ein sehr positives Gutachten. Es war zum Auswachsen.

      Aufgrund dieser Erkenntnis war nun klar, dass ich unbedingt den komplett fiktiven Roman »Himmel noch mal!« als Erstes auf den Buchmarkt bringen musste. Somit schrieb ich noch weitere Verlage an, um denen mein Manuskript anzubieten. Mit demselben frustrierenden Ergebnis wie schon zuvor bei anderen Vertretern dieser Zunft. Vorsichtig fragte ich inzwischen erst einmal an, ob die Verlagspolitik derzeit überhaupt eine Veröffentlichung zuließe, bevor ich Dutzende von Manuskriptauszügen und Exposés auf grundsätzlich nicht interessierte Unternehmen losließ. Von manchen kam gar keine Antwort, von anderen wiederum derart verachtend formulierte Mails, dass man sich als Autor schon wie ein Störer des heiligen Verlagsfriedens vorkam, der Ungehöriges forderte: ein paar Minuten Aufmerksamkeit.

      Was dachten diese Herrschaften eigentlich, wer ihnen die Existenz sicherte? Manche waren an Überheblichkeit kaum zu überbieten, schickten einfach automatisierte Antworten, welche frech konstatierten, dass man sich mit meiner Mail gar nicht erst befassen werde. Dass man als Autor noch nicht einmal eine Mitteilung in Form einer Absage bekomme, wenn ungefragt eingesendetes Material nicht veröffentlicht werden könne.

      Das war in meinen Augen der Gipfel der Unhöflichkeit und hatte sicherlich mit Literatur-Kultur nichts mehr zu tun, nur mit eiskaltem Geschäftsgebaren. Arme Medienlandschaft. Solchen Verlagen wünschte ich echt eine saftige Unternehmenspleite an den Hals, und da war ich garantiert nicht die Einzige.

      So


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