Scheidung kann tödlich sein. Andrea Ross

Scheidung kann tödlich sein - Andrea Ross


Скачать книгу
sehen, wenigstens auf die Sicherstellung des Unterhalts. Dann erst auf mich oder Attilas Belange. Und erst dann – nein, dann wären meine Kapazitäten bei weitem schon aufgebraucht.

      Attila ging es wieder einmal gar nicht gut. Man sah ihm an, dass er einerseits am liebsten Uschi den Kragen umgedreht hätte, andererseits plagten ihn vermutlich Schuldgefühle, dass er diese Misere mitverursacht hatte. Und wenn es nur deswegen war, dass er mit dieser Frau Kinder in die Welt gesetzt hatte, obwohl sie damals schon ein nicht gerade vorbildliches Verhalten an den Tag legte. Sie hatte die Kinder geboren, um nicht mehr arbeiten gehen zu müssen, sich dann aber kaum darum gekümmert, lieber Drogenund Alkoholkonsum betrieben.

      Wenigstens hatte Attila zu jener Zeit noch seinerseits ein wenig auf die Kinder achten können, auch wenn ihm das volle Ausmaß von Uschis Verantwortungslosigkeit damals offenbar gar nicht bewusst gewesen war. Doch seit seinem Weggang war ihm das überhaupt nicht mehr möglich. Im Gegenteil, man hatte ihn wegen Uschis Interventionen Stück für Stück entrechtet. Seit er ausgezogen war, ging es mit diesen Kindern tatsächlich mit Riesenschritten bergab.

      Wenigstens hatte ich ein kleines, aber feines positives Erlebnis. Ann kommunizierte wieder mit mir, wollte sich sogar während meines Deutschland-Besuches mit mir treffen. Da durfte ich ja gespannt sein! Es gab mir Auftrieb unter meinen Flügeln.

      Am Samstagvormittag versuchten wir mithilfe eines sehr langen Spazierganges, unsere Psychen wieder etwas auf die Reihe zu bekommen. Wir wanderten von der Residencial Ambra aus bis hinunter an die Playa Flamenca, durch traumhafte Wohnviertel, vorbei an Bars und Restaurants. Unten angekommen, genossen wir einen Kaffee in der Sonne, bei immerhin schon 19 Grad. Auf dem Rückweg nahmen wir noch den riesengroßen Markt in Orihuela Costa mit, der die Massen jeden Samstag von weit und fern anlockte. Sehr günstig gab es dort zwar Lederkleidung und Schuhe zu kaufen, doch wir guckten nur und hielten uns vornehm zurück.

      Wieder zu Hause angekommen, schloss Attila die letzten Kabel in unserem neuen Büro an, verlegte sie ordentlich. Dann hoffte er auf seine E-Mail-Stunde mit Ronja, doch erneut kam keine Antwort auf seine Mail. Man brauchte eigentlich überhaupt nicht darüber nachzudenken, was der Grund für dieses Verhalten sein mochte. Da war zu vieles denkbar. Ronja konnte wieder etwas anderes zu tun haben, Solveig konnte den Rechner blockieren oder Mama hatte interveniert. Vielleicht würde sie sich ja wieder später melden, so wie in der Woche zuvor. Ein Trauerspiel.

      Es bewahrheitete sich Theorie 1, Ronja hatte Besseres zu tun gehabt. Die erklärende Mail kam am Sonntagvormittag, gerade, als wir nach La Mata fahren wollten, um letzte Arbeiten im »alten« Haus durchzuführen. »Sorry«, lautete der Kommentar. Attila fragte vorsichtig an, was sie gestern denn stattdessen Schönes gemacht habe. Antwort: Mit Marco und Solveig in der Stadt gewesen. Natürlich nahm es Attila wieder kommentarlos hin, ohne ihr deutlich zu signalisieren, dass sie nicht dauernd einseitig die getroffene Abmachung ändern könne. So lange sie Lust verspürte, schrieb er mit ihr an diesem Tag Belanglosigkeiten hin und her, ohne Rücksicht auf eigene Pläne. Nein, Erziehungsversuche kamen nach wie vor auch von seiner Seite nicht infrage.

      Mir schwebten einmal mehr Fragezeichen über dem Kopf, Uschi betreffend. Wie konnte man eine 10-jährige Tochter und einen 8-jährigen Sohn alleine mit der ältesten Tochter in die Stadt gehen lassen, die dort bereits mindestens einen Ladendiebstahl begangen hatte? Die kürzlich erst nach Gewalttätigkeiten, der eigenen Mutter gegenüber, mit Polizeigewalt in die Psychiatrie gebracht werden hatte müssen, nachdem Polizei und Gesundheitsamt übereinstimmend feststellten, dass man sie keinesfalls nach Hause entlassen durfte und von einer psychotischen Gemeingefährlichkeit ausgingen?

      Eine von Ronjas Mails enthielt darüber hinaus die Mitteilung, dass sie und ihr Bruder Marco lieber nicht in den Osterferien nach Spanien kommen wollten. Sie hätten sonst bestimmt Heimweh.

      Mir war vollkommen egal, ob Uschi den beiden wieder Angst eingeredet hatte; etwa, weil der böse Papa sie sonst dortbehalten und nicht mehr nach Deutschland lassen würde. Eine Woche Spanien wäre ohnehin nicht gut gegangen, ganz abgesehen davon, dass Attila bei Gericht schon die ganze Zeit über argumentierte, er könne sich Privatflüge nach Deutschland nicht mehr leisten.

      Man hätte schwerlich begründen können, warum sogar Kinder geholt und gebracht werden können, die Finanzkrise in diesem Fall plötzlich nicht existent wäre. Mit dem Auto zu fahren, wäre ebenso teuer gekommen; denn mit den Kindern im Auto wäre bei dieser langen Fahrtstrecke eine Übernachtung nicht zu vermeiden gewesen, und zwar sowohl bei der Hinals auch bei der Rückfahrt.

      Am Montag fuhr ich hinüber zur Redaktion des Anzeigenblättchens, um wegen dem Außendienstjob nachzufragen. Die österreichischen Herren dort waren total unkompliziert und nach einer Viertelstunde war ich mit einem Stapel Verträgen und einem weiteren Stapel der Anzeigenbroschüren wieder draußen, durfte bei der Sal News anfangen. 15 % Provision würde ich für jeden Anzeigenvertrag erhalten, den ich abschloss. Da war ich ja mal gespannt. Gleich am nächsten Tag wollte ich die Einkaufscenter unsicher machen und Anzeigennehmer rekrutieren.

      Sicher, Reichtümer konnte man da garantiert nicht erwirtschaften. Aber bei uns zählte mittlerweile jeder Cent. So hatte ich jetzt drei Berufe: den Support, den ich aber nicht selber ausübte, nach wie vor übernahm ich nur kleine Gelegenheitstätigkeiten für Attila, wie die Übersetzung von Texten. Dann war ich noch Autorin – und schließlich Anzeigenvertreterin. Hurra! Aber das war für mich der Beweis: wenn man wirklich arbeiten möchte, dann bekommt man auch irgendetwas. Man darf nur nicht zu wählerisch sein. Nicht wahr, Uschi?

      Als ich aus Torrevieja zurückkam, hätte eigentlich Attilas Mailstunde mit Marco stattfinden müssen. Aber mein Schatz wartete wiederum vergeblich. Ich war schon gespannt, welche Ausrede Marco zum Besten geben würde, warum er nicht mailen konnte oder wollte. Erst recht war ich darauf gespannt, ob Attila den Braten jetzt langsam riechen würde: er war den Kindern offenkundig nicht halb so wichtig wie umgekehrt sie ihm.

      Freilich … als er noch mit ihnen zusammengewohnt hatte, war der Kontakt zu Papa auch eher selten gewesen, er weilte ja meist im Büro oder arbeitete zu Hause, konnte selten Zeit erübrigen. So vermissten sie ihn eben wahrscheinlich auch nicht allzu sehr, seit er gegangen war. Außer natürlich, man versprach sich gerade von einem Kontakt unmittelbare Vorteile. Es war für Attila mit Sicherheit niederschmetternd, dies realisieren zu müssen.

      Es gab natürlich Zeiten, in denen auch ich nicht gerade größtes Interesse zeigte, mit meinen Eltern abzuhängen. Aber ich konnte mir total sicher sein, dass ich Kontakt zu ihnen haben konnte oder sogar musste, sobald ich nach Hause kam. Ich war ja schließlich kein Scheidungskind.

      1974 – Mucki-Alarm

      Ich habe mich jetzt, nach zwei Jahren, einigermaßen in meinem neuen Wohnviertel eingelebt, hier neue Freunde gefunden. Allerdings verhalte ich mich wie eine Katze und schätze menschliche Kontakte meist nur, wenn die Initiative zur Anfreundung von mir selbst ausgeht. So kann ich die bekloppte Sabrina, die bei uns im Mietshaus wohnt, nach wie vor nur sehr bedingt akzeptieren. Wir beide haben so eine Art gegenseitigen Duldungszustand erreicht, denn man läuft sich leider sowieso dauernd über den Weg.

      Nachmittags nach den lästigen Hausaufgaben treffen sich meist die Kinder der Nachbarschaft draußen, wo dann beraten wird, was man so anstellen könnte. Alle besitzen Rollschuhe, was uns natürlich auf üble Ideen bringt. Man fährt dann schon einmal rasant um die Wette einen steilen Berg hinunter, wonach die Fahrt anschließend mit einem unsanften Flug in eine stachelige Hecke endet. Oder aber, wie bei mir vor einigen Wochen, an einer hohen Bordsteinkante. AUA!

      Doch all das kann uns nicht aufhalten. Heute werden wir wieder mal »Klingelputzen« gehen, aber in der verschärften Version. Eine Zeit lang haben wir uns damit begnügt, einfach auf sämtliche Klingelknöpfe der umliegenden Mietskasernen zu drücken, uns dann im Gebüsch zu verstecken und vergnügt auf die Reaktionen der Hausbewohner zu warten, die sich dann oft gegenseitig beschuldigten, ausgerechnet in der geheiligten Mittagszeit geklingelt zu haben.

      Wie herrlich, wenn sich wegen unseres Streichs zwei Weiber in Schürzenkleidern giftig anfrotzeln! Oder der bösartige Opa aus dem dritten Stockwerk wüste Verwünschungen aus dem Fenster brüllt. Pah, bis der das Treppenhaus herunterhumpelt, sind wir längst über alle Berge. Er


Скачать книгу