Eisblumen. Karl Eitljörg-Scholz

Eisblumen - Karl Eitljörg-Scholz


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und seht. Wenn die mächtigen 250 Jahre alten, bis zu 50 m hohen Fichtenstämme sich im strahlenden Türkis des Wassers spiegeln und im sanften Wind vom Latemar herunter die Wellen lustig jodelnd an die Steine klatschen. Ja, dann werdet Ihr verstehen, warum ich einer der meist fotografierten Seen Südtirols bin. Nicht umsonst hat sich der Wald an meinen Ufern zum größten Fichtenwald Europas gewandelt. Nicht umsonst ist mein Holz besonders für edle Saiteninstrumente als der beste Klangkörper beliebt und begehrt. Fragt sie einmal alle, die Geigen- und Orgelbauer. Wie wertvoll und unverzichtbar mein Holz aus der Haselfichte ist.

      Wer weiß schon, ob nicht auch die berühmte Stradivari-Geige in Cremona hier ihre Wurzeln hat!“ „Was ist eigentlich mit Deiner Geige, Martin? Stammt sie auch aus diesem Zauberwald?“, kommt die überraschende Frage Kühnerts.

      „Ich weiß lediglich, dass diese mein Vater von seinem Großvater vererbt bekam und angeblich von einem Geigenbauer im bayrischen Mittenwald kommt.

      Jedenfalls ist sie mein Lieblingsinstrument und meine Freude.“ Martin war den Eltern schon als Kind mit seinem musikalischen Talent und der Freude zum Gesang in der Familie aufgefallen. Man wusste nicht so recht, woher er diese Gabe hatte. Lediglich Mutter besaß eine schöne Stimme. Das war’s dann aber auch schon.

      Als ihm endlich die erste Blockflöte fad wurde, schenkte man ihm Großvaters Violine nebst Unterricht bei einem pensionierten Musiklehrer aus Bozen. Da spielte er dann begeistert darauf los, dass es sämtlichen Schafen im Tal die Haare aufstellte.

      Jedenfalls wuchs er zum begnadeten Virtuosen auf der Geige. Spielte im Kirchenchor und bei vielen Anlässen, wo man sehnlichst und begeistert auf sein Ave Maria wartete.

      Martin hatte recht behalten.

      Drüben am Jochgrimm auf 1.980 m Höhe erwartet sie gleißendes Sonnenlicht. Der Wind frischt auf und die Sicht wird klar.

      Vom Weisshorn leuchten schon die bleichen Felsen, als sie vor der kleinen Kapelle auf der Scheitelhöhe ihre Bergschuhe schnüren, um über die Wiesen und Latschenfelder beim Skilift den Aufstieg zu starten.

      Oben, beim Gipfelkreuz machen sie auf blankem Fels gemütlich Rast.

      Martin kramt in seinem Tagesrucksack und bringt, wie es eben geliebte Tradition und am Berg Sitte ist, wahre Leckerbissen zum Vorschein. Die Klassiker auf Bergeshöhen, Speck, würzige Kaminwurz, italienische Salami, dunkles Roggenbrot, gewürzt mit Brotklee aus dem Pustertal und die typischen „Vintschgerln“, Schüttelbrot und etwas Obst.

      Und so erzählt er so manche Bergerlebnisse und Geschichten und findet bei Kühnert einen faszinierten Zuhörer. Wann findet sich auch schon Gelegenheit, aus so berufenem Munde wahre Abenteuer in Fels und Eis, zwischen Himmel und Erde zu hören.

      Allmählich ist es Mittag geworden.

      Die Sonne steht hoch am wolkenlosen Himmel und es tut im Spätherbst einfach gut, wie ihre Strahlen den blanken Felsplatten noch ein wenig Wärme schenken.

      Von der Wallfahrtskirche des nahen Maria Weißenstein schallen leise und beinahe verträumt die Mittagsglocken herauf und friedvolle Stille legt sich über Land und Bergeshöhen.

      Martin und sein Begleiter üben sich in ehrfurchtsvollem Verhalten im Anblick dieser majestätischen Kulisse im Dolomitenrund.

      Das Spiel der Sonne von gleißendem Licht und Schatten in den schroffen Spitzen und Zacken des nahen Latemar-Gebirges bis hin zu den leuchtenden Wänden des Rosengartens. Der sagenumwobene Schlern grüßt von Norden und weit dahinter die Ötztaler Alpen mit ihren gleißenden Schneefeldern und Firnen, weiter dem Westen zu der ehrwürdige Ortler mit der blendend weißen Königsspitze, südlich begrenzt von den markanten Gipfeln der Brenta Gruppe.

      Und von hier oben vom Weisshorngipfel ist es ein schwindelnder Blick hinunter in die geologisch hochinteressante Blettenbach-Schlucht, die Aufschluss gibt über das Werden der Dolomiten, wie vielseitige Muschelabdrücke und Meeresablagerungen beeindruckend bezeugen.

      Eine einzige, atemberaubende Reise durch Jahrmillionen Erdgeschichte.

      Talwärts auf den grünen Matten gegen Deutschenofen hin grüßt der alte Tiroler Wallfahrtsort Maria Weißenstein mit dem Bild „der schmerzhaften Mutter Gottes“.

      Heute sorgen sich Patres des Servitenordens um das Wohl der zahlreichen Pilger, die keine Mühen scheuen, um hinaufzupilgern, um Heil und Segen zu erfahren in ihren Anliegen.

      Wie eh und je in diesem Land mit seinem stolzen Leid.

      Geknetet in Blut und Tränen.

      Aber welcher Segen liegt heute über diesem gottgelobten Land, wenn man gegen Süden und Westen blickt.

      In saftigem Grün zeigen sich die paradiesischen Apfelgärten unten im Etschtal, überlagert von den üppigen Weinhängen in Überetsch in ihrer herbstlichen Farbenbracht. Fürstlich bewacht von der steil aufragenden Mendelhöhe. Ein einziger Garten Eden.

      „Mensch, Martin, welcher Anblick“, findet endlich Kühnert Worte. „Danke, dass Du mich hier heraufgeführt hast. Diese Vielfalt, diese Pracht, man fasst es nicht!“ „So ist es, lieber Herr Notar. Hier ist einer der seltenen Plätze, um die Schöpfung zu schauen, von den Schneegipfeln und Bergeshöhen bis ins Paradies mit Apfel und Wein.

      Ein leises Ahnen von der Fülle dieses gesegneten Landes!“ „Wenn ich dir zuhöre, Martin, ist dir dieses Weisshorn an das Herz gewachsen.“ „Sie sind mir tatsächlich auf die Spur gekommen und ich will Ihnen etwas verraten, was nicht viele wissen.

      Oft, am zweiten Sonntag nach Fronleichnam, wenn das „Heilige Herz-Jesu-Fest“ gefeiert wird, das bei uns in Südtirol von jeher große Bedeutung hat, treibt es mich zum Weisshorn.

      Dann, wenn die Nacht hereinbricht, erglühen hunderte Feuer mit dem Herz-Jesu-Symbol, rundum auf Wiesen, Scharten, Bergkämmen und Gipfeln.

      Ein heiliger Schauer breitet sich über das Land, als ehrlicher Dank für diese Gottesgaben, verpackt in eine begnadete Natur in ihrer Vielfalt und Herrlichkeit.“ „Wieso Martin, ist das speziell nur bei euch so in Südtirol?“, kommt die erstaunte Frage.

      „Das geht zurück auf das 18. Jhdt. Die Angst ging um vor den drohenden Franzosenkriegen der napoleonischen Zeit. An den Grenzen loderte schon Feuerschein und Kriegsdonner hallte in den Schluchten und Tälern. Nacktes Entsetzen packte das geschundene Land.

      Und nirgendwo Hilfe? Doch, eine gibt es – raste die Botschaft wie ein Flammenmeer durch Täler, Städte, Almen, Höfe und Bergeshöhen.

      „Heiliges Herz Jesu“ hilf und beschütze unsere Heimat. Lass unser Tirol dir empfohlen sein.

      Und so gelobte der Landtag 1796 alljährlich dieses Fest feierlich zu begehen.

      Ja, so war es dann auch. Das Land hat diesen Hilferuf nie vergessen und tausende Segensfeuer zum Dank, bezeugen jährlich am „Hl. Herz-Jesu-Sonntag“ ihren Glauben.

      Alle Jahre wieder, wenn die Dämmerung hereinbricht und über Gipfeln und Graten noch ein letztes, zartes Licht steht, erglühen schlagartig unzählige Feuersymbole mit dem Herzen und Kreuz Christi. Lobpreis und Dank sprühen mit den Funken zum Himmel. Es ist der Moment, da auch die ersten Sterne aufleuchten, als sei es eine himmlische Botschaft der Erwiderung.“ „Und?“, will Herr Kühnert wissen, „sehen das auch die jungen Leute so? Diese mühsame Vorbereitung, das Holz auf die Berge. Wenn es der Traktor nicht mehr schafft mit Händen und Seil auf die Felsen. Da könnte man schon verstehen, dass die Bereitschaft dazu abnimmt.“ „Keineswegs“, sagt Martin überzeugt. „Die Bereitschaft ist immer noch groß. Wenn auch die spirituelle Begeisterung nicht mehr dieselbe Tiefe hat, so ist dies mehr der Tradition und dem Erlebniswert geschuldet.“ Der Schatten des Gipfelkreuzes war länger geworden und mahnte zum Aufbruch. Es ist einer der Tage, der für beide viel zu früh zu Ende geht. Den Blick ins Tal könnte man noch stundenlang genießen. Obwohl die Alpenflora mit Almrausch und Alpenrosen längst verblüht ist, das monotone Bimmeln der Kuhglocken von den Almen herauf verstummt ist, um dem heiligen Almfrieden zu weichen.

      „Es hat schon was für sich, dein Südtirol“, wendet sich Kühnert


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