Data Leaks (1). Wer macht die Wahrheit?. Mirjam Mous
sind unten. Sobald ich mich umsehe, entspannen sich meine Muskeln. Das ist kein Keller mit Folterwerkzeugen, Matratzen und Ketten – wie im unheimlichen Cellargame. Die Einrichtung besteht aus drei völlig normalen Tischen. Sie stehen im Halbkreis, vollgestellt mit altmodisch wirkenden Geräten, Tastaturen und Monitoren, die von einem großen dünnen Jungen bedient werden. Er trägt eine Trainingshose und Flaffy-Sneaker, die mindestens drei Jahre aus der Mode sind. Und als wäre das noch nicht schlimm genug, hat er auch noch eine beigefarbene Beanie auf dem Kopf – grobe Modepanne Nummer fünf, laut Reeves.
Ist das ein witzig gedachtes Kostüm für Happy Day? Oder läuft er immer so rum?
Ich würde mich jedenfalls in Grund und Boden schämen, aber der Junge ist anscheinend vollkommen in seinem Element. Er ruft Kommandos und seine Finger fliegen nur so über die Tasten. Manchmal wischt er kurz über einen Bildschirm und verändert etwas in der fenstergroßen Projektion an der Wand.
Ein Kapitän auf der Brücke seines Raumschiffs, denke ich.
»Mein Freund Laşer«, sagt Mo.
»Hallo«, sage ich zu dem hohen, schmalen Rücken.
Laşer dreht sich um und sieht mich an. »Hast du das E-Label dabei?«
»Wieso?«
»Damit wir einbrechen können.«
Ich hätte es wissen müssen. Mo hat mein Camphone gehackt, die Überwachungskameras vom Pool übernommen und jetzt ist Colourcompany dran.
Mit einem unbehaglichen Gefühl im Bauch schaue ich zu den übervollen Tischen hinüber. »Und das macht ihr mit den alten Kästen?«
»Nicht so respektlos«, sagt Mo. »Die funktionieren noch prima und man kann damit hacken, ohne eine Spur zu hinterlassen, was mit heutigen Geräten nahezu unmöglich ist.«
»Also?« Laşer hebt eine Hand und zappelt ungeduldig mit den Fingern.
Bin ich mitschuldig, wenn ich mitarbeite? Mein Kleid fühlt sich plötzlich zu eng an.
»Bitte, und sonst eben nicht.« Er wirft mir einen verächtlichen Blick zu und wendet sich dann an Mo. »Sie wird uns wirklich nicht helfen.«
»Nur die Ruhe, Laşer«, sagt Mo. »Gönn ihr ein wenig Zeit.«
Laşer setzt sich auf die Treppe und schmollt.
»Achte nicht auf ihn.« Mo legt den Arm um mich.
Ich habe immer gedacht, es gäbe nichts Aufregenderes als den jährlichen Schlussverkauf bei Goucies – Spezialist für Designerklamotten –, aber das hier ist aufregender.
Und dann fängt er auch noch an, mit seiner sexy Stimme sanft auf mich einzureden. »Ich verstehe, dass du dir Sorgen machst, aber dafür gibt es keinen Grund. Nicht du bist die Übeltäterin. Wenn sich hier jemand schuldig fühlen müsste, dann die Leute von Colourcompany. Sie versuchen, allen klarzumachen, dass man ohne ihre Klamotten nicht glücklich ist. Online, auf der Straße, im Kino. Überall. Du bekommst so lange eine Gehirnwäsche, bis du es selbst glaubst.«
Das klingt vollkommen logisch aus seinem wunderbaren Mund. Aber es sind vor allem seine durchdringenden Augen, die mich überzeugen. Er sieht mich, und zwar richtig. Ich vergesse Laşer und das Wormhole. Es ist, als gäbe es sonst niemanden auf dieser Welt, nur Mo und mich.
»Und deswegen werden wir dafür sorgen, dass du dein Geld zurückbekommst«, beendet er seine Geschichte.
»Wie denn?«, frage ich. »Flow hat das E-Label abge…«
»Kein Problem. Solange wir den Code noch lesen können.«
»Aber …«
»Schhhh. Vertraust du mir?«
Ich vertraue nicht mal mir selbst. Wenn er noch lange so stehen bleibt, lehne ich gleich meinen Kopf an seine Schulter.
»Wir tun niemandem etwas Böses«, sagt Mo. »Colourcompany ist ein gigantisches Unternehmen. Die können durchaus ein Kleid verschmerzen, wahrscheinlich merken sie es nicht einmal. Deine Mutter bekommt ihr Geld zurück und deine Probleme haben sich erledigt.« Er drückt mich kurz. »Das ist doch gut?«
Ich finde es gar nicht gut, dass er mich loslässt.
»Also, was jetzt?«, tönt es hinter uns.
Laşer. Der ist leider auch noch da.
Der Bann ist gebrochen und ich zögere doch wieder. »Was machen wir, wenn das einer rauskriegt?«
»Unmöglich«, sagt Laşer empört. »Ich bin noch nie erwischt worden.«
»Da hörst du es.« Mo lächelt. »Also?«
»Okay dann.« Ich wühle in meinem herzförmigen Täschchen, bis ich das E-Label finde.
Während die Jungs mit meiner Rettungsaktion zugange sind, telefoniere ich in der Cafeteria mit Flow.
»Endlich«, sagt sie. »Ich wollte schon jemanden benachrichtigen.«
»Ist nicht nötig. Mo ist nicht unheimlich, sondern wahnsinnig nett.«
»Dein Stalker?«
»Nenn ihn nicht so.«
»Das ist er aber doch.«
Manchmal könnte ich Flow erwürgen. Vor allem, wenn sie recht hat.
»Bis gleich«, sage ich.
Ich habe jedes gemalte Wesen in der Skatehalle betrachtet, als Mo und Laşer endlich aus ihrem Wormhole kriechen.
»Und?«, frage ich.
Sie machen einen Faustgruß und grinsen breit.
»Komm, setz dich!«, ruft Mo. »Dann feiern wir.«
Und was ist mit Happy Day?, will ich fragen.
Aber Laşer hat schon eine Schachtel aus der Cafeteria geholt.
BLUFFY’S – DAS YUMMY MIT DEM BESTEN BISS, lese ich auf der Seite.
»Werden die immer noch verkauft?«, frage ich erstaunt.
»Keine Ahnung«, sagt Mo. »Wir haben sie gewonnen, Laşer und ich. Mit einer Hack-Challenge im Internet.«
»Schöner Preis.« Mich fröstelt es. »Neulich ist doch jemand erstickt, weil er ein Bluffy in die Luftröhre bekam.«
»Fake News«, sagt Laşer. »Wahrscheinlich von der Konkurrenz verbreitet.«
»Wirklich?« Ich lasse mich auf die Couch fallen.
Mo nickt. »Die sozialen Medien sind voller Lügen.«
»Nicht nur die sozialen Medien.« Laşer lässt die Schachtel herumgehen. »Sogar unsere Führenden verbreiten Fake-Nachrichten. Es gab überhaupt keine Bangen Jahre. Den Begriff haben sie nur erfunden, um uns glauben zu lassen, es ginge uns jetzt unglaublich gut.«
»Das ist doch auch so?« Mein Yummy sieht aus wie eine Badeperle. Ich beiße es kaputt und genieße den salzigen Geschmack auf der Zunge. Dann pingt mein Gerät zum zigsten Mal.
»Ist das schon wieder deine Freundin?«, fragt Mo.
Als ich nicke, zieht er mir mein Camphone aus den Händen und fängt an zu clicken. Hast du nichts Besseres zu tun? Get a life!
»Nicht versenden!«, rufe ich.
Feixend gibt er mir mein Gerät zurück. »Zu spät.«
Sorry!, clicke ich schnell. Das war ich nicht. Das war ein Scherz von Mo.
Auf Flows Seite bleibt es entsetzlich still.
Als Mo und ich zum Zentrum zurückfahren, wird es schon dunkel. Er schweigt die ganze Zeit und das verunsichert mich. Findet er mich doch nicht so nett, wie er dachte?
Das Auto parkt sich selbst neben dem Bürgersteig. »Ziel erreicht.«
»He.« Mo legt