Data Leaks (1). Wer macht die Wahrheit?. Mirjam Mous

Data Leaks (1). Wer macht die Wahrheit? - Mirjam Mous


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      Anna schickt den Alert weiter.

      ERKENNEN SIE DIESE PERSON, RUFEN SIE SOFORT FOLGENDE NUMMER AN …

      Ich betrachte die Gestalt auf dem Camfie. Dunkle Haare. Schwarze Kleidung. Das Gesicht verborgen hinter einer weißen Maske mit schwarzen Augenbrauen, rosa Wangen, einem schwarzen Schnurrbart und einem vertikalen schwarzen Streifen auf dem Kinn. Es kommt mir vage bekannt vor.

      Brooklyn grinst. »Ich ahne es schon. Unser Nachbar ist der Täter.« Flow und Anna brüllen vor Lachen. Als Brooklyn der Maske auch noch ein paar Kaninchenohren verpasst, ersticken sie fast.

      »Prissy?«, ist von der Diele aus zu hören.

      »Ich bin hier!«

      »Zum Glück, du bist schon zu Hause.« Mama kommt mit zerzausten Haaren ins Zimmer. Ohne Kostüm, weil sie am Morgen arbeiten musste. Das einzig Festliche ist der Glitzer auf ihren Wangen und die gepunktete Schleife unter ihrem Kinn. »Was für ein Aufstand«, murrt sie. »Frau Adams wurde ins Krisenzentrum gerufen, um sich mit den neuen Führenden zu beraten. Manche Fest‌teilnehmer sind wegen dieser Knallerei völlig durchgedreht.«

      »Du auch«, sage ich. »Du hast tausend Nachrichten geschickt.«

      Sie schaut mich mit gespielter Empörung an. »Höchstens fünf. Und da wusste ich noch nicht, dass es Feuerwerk war.«

      Holden taucht hinter ihr auf. »Fantastisches Feuerwerk.«

      Er trägt dieselbe schwarze Kleidung wie der Typ auf dem Alert.

      »Wo ist dein Kostüm?«, frage ich.

      Er schmeißt seinen Rucksack auf den Boden. »Und deins?«

      »Ja, Pris …«, sagt Brooklyn.

      Mein Kopf glüht, als hätte ich vierzig Grad Fieber.

      Ende Camchat!

      Mama hat nichts mitgekriegt und schaltet den Projektor ein. »Mal kurz schauen, ob es schon Neuigkeiten gibt.«

      Wir landen mitten in einer Live-Sendung.

      »… Happy Day gestört hat«, sagt Jesser von Hotnews.com. »Wir zeigen Ihnen die Filmaufnahmen.«

      Auf unserer Wand erscheinen Dutzende verkleideter Menschen. Einer von ihnen ist mit einem Kreis gekennzeichnet. Der Täter. Deutlich sichtbar zündet er eine Rakete an. Auf dem Alert war sein Rucksack nicht gut zu erkennen, aber jetzt …

      Holden?

      Wie kannst du nur so etwas denken?, flüstert eine Stimme in meinem Kopf. Dein eigener Bruder.

      Andererseits hat er kein Problem damit, Regeln zu übertreten, sagt eine andere Stimme. Und dann hat er auch noch diesen Schutzkeller entdeckt. Was, wenn die Leute früher dort nicht nur Lebensmittel in Konserven, sondern auch Leuchtraketen auf‌bewahrt haben, um sie im Notfall abzufeuern?

      Ich würde mir am liebsten die Hände vor die Ohren halten, aber dann sagt Mama heiser: »Papa hat vor Jahren auch eine solche Maske zu Happy Day getragen.«

      Als hätten wir uns abgesprochen, schauen wir beide gleichzeitig zu Holden.

      »Was?«, fragt er pikiert.

      Mama bringt den Projektor zum Schweigen. »Schatz …«

      Holdens Blick wandert zu seinem Rucksack. »Du glaubst doch nicht …«

      Ich muss wissen, ob es wahr ist.

      Sobald Holden wieder wegschaut, schnappe ich mir die Tasche.

      »Bitch!«, ruft er.

      Mama scheint es nicht einmal zu hören. Sie sieht zu, wie ich den Rucksack öffne. Wie ich mit zitternden Händen eine Maske herausziehe.

      Dann schreit sie Holden an. »Was hast du getan, um Himmels willen?«

      Sie reißt mir die Sachen aus den Händen und rennt in die Küche. Ihre Panik ist wie ein Virus, der sich auf mich überträgt, und ich laufe hinter ihr her.

      Holden folgt uns, übertrieben stöhnend. »Jetzt tu doch nicht so hysterisch, Mama.«

      »Du hast ja keine Ahnung!«, schreit sie.

      Holden und ich schauen uns an. Sie kriegt sich nicht mehr ein.

      »Beruhige dich doch«, beschwichtige ich.

      Holden nickt. »Keiner hat mich erkannt.«

      »Das wäre zu hoffen.« Mama stopft die Maske in den Schredder, der sie im Nullkommanichts zermalmt. Danach ist der Rucksack an der Reihe. »Deine Kleidung muss auch noch da rein.«

      Ich sehe Holden an, dass er protestieren will, aber dann hören wir, dass vor dem Haus ein Wagen anhält, und genau in diesem Moment verhakt sich der Schredder. Mama muss den Rucksack herausziehen und von vorn anfangen. Sie flucht.

      Draußen werden Autotüren zugeschlagen.

      »Schau nach, wer es ist«, flüstert Mama.

      Holden will schon zum Fenster laufen.

      Mama gibt der Tasche noch einen Schubs. »Du nicht. Prissy.«

      Ich falle fast in Ohnmacht vor Angst, als ich am Vorhang vorbeispähe und ich im Licht der Laterne den Wagen entdecke. »Ordnungskräfte.«

      In diesem Moment klingelt es.

      Wir zucken alle zusammen, als bekämen wir einen Stromschlag.

      Holden

      Der Shredder beißt sich noch immer die Zähne an meinem Rucksack aus.

      »Nicht öffnen«, sagt Mama. »Holden, geh nach oben und zieh dir was anderes an.«

      Das Herz einer Maus schlägt über 600-mal in der Minute. Meins ist mindestens so schnell, als ich in mein Zimmer flüchte. Ich trete mir die Schuhe von den Füßen, streife die Hose über die Beine und pfeffere sie irgendwo weit nach hinten in meinen Schrank.

      Die Konserven! Wenn sie die finden, bin ich erledigt.

      Wild schaue ich mich um. Ginge dieses dämliche Fenster nur auf, dann könnte ich sie zwischen die Sträucher in den Garten werfen. Energieneutrale Häuser sind verdammte Bunker!

      Shit. Diese nervige Klingel schon wieder. Minutenlang.

      Ich kümmere mich nicht weiter um die Dosen, tausche meinen schwarzen Hoodie gegen einen grünen Pulli und ziehe eine Jeans an. Fuck, da liegt das Feuerzeug. Das muss gerade aus meiner schwarzen Hose gefallen sein.

      Jetzt klingeln sie nicht nur, sondern bollern auch noch an die Tür. Ich kann nicht mehr logisch denken, stecke das Feuerzeug in die Hosentasche und gehe auf Socken die Treppe hinunter.

      »Machen Sie auf oder wir sind gezwungen, die Tür gewaltsam zu öffnen!«, erklingt es von außen.

      Der Shredder ist still.

      Ma kommt in die Diele. »Fertig?«

      Als ich nicke, öffnet sie.

      Sie sind zu zweit. Ein Mann mit traurigen Hundeaugen und eine durchtrainierte Frau mit starrem Gesichtsausdruck und einem kleinen Koffer.

      »Ordnungshüter Chapman«, stellt sich der Mann vor.

      »Miller.« Die Frau hat eine unangenehm näselnde Stimme. »Sie haben uns ziemlich lang warten lassen.«

      »Das tut mir leid«, sagt Ma. »Ich war auf der Toilette und meine Tochter …«

      Prissy versucht sich an einem unschuldigen Lächeln, wodurch sie besonders schuldig aussieht. »I-ich hatte einen Kopfhörer auf«, stammelt sie.

      Chapman schaut zu mir.

      »Ich war … äh … oben«, sage ich und weise mit einer etwas unbestimmten Geste zur Treppe.

      »Können wir kurz drinnen reden?« Miller wartet Mas Antwort gar nicht erst ab und betritt die Diele.

      Wir


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