Der gefundene Sohn. Edeltraud-Inga Karrer
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Edeltraud-Inga Karrer
Der gefundene Sohn
Edeltraud-Inga Karrer
Der gefundene Sohn
Roman
Verlag und Druck
tredition GmbH, Halenreie 42, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback | 978-3-12108-9 |
Hardcover | 978-3-12109-6 |
E-Book | 978-3-12110-2 |
Druck in Deutschland und weiteren Ländern
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Copyright © 2020
Edeltraud-Inga
1. Kapitel
Endlich ist der Tag da, auf den sie so lange gewartet hat. Wir befinden uns in einer Zeit, in der man vor der Geburt weder das Geschlecht eines Kindes feststellen, noch angemessene Vorbereitungen treffen konnte. Damit sind die komplette Ausstattung eines Kinderzimmers, die genau darauf abgestimmte Farbe der Tapete, des Himmelsbettes und der Kleidung und der entsprechenden Spielutensilien gemeint, die man heute antrifft und die unabdingbar zu sein scheinen.
Also keine Spieluhr, mit der man das Kleine zum Einschlafen animiert, kein Babyfon, mit dem man seinen Schlaf überwachen kann, kein Buggy und kein hippes Poster, kein rosa Einhorn oder eine wunderschöne, viel zu dünne rosa Prinzessin für ein Mädchen und kein Monster mit einem einziges Glubschauge auf der Mitte der Stirn und keine Autos, die Gesichter haben und geistlos lächeln können für die Jungen.
Heutzutage gibt es nur noch selten Puppen, die kleinen Menschlein ähneln und nicht Modells gleichen, bei denen man Sorge hat, dass die überlangen, spindeldürren Beine abbrechen, sobald man sie ein wenig fester anfasst und ebenfalls sehr selten Teddys und Eisenbahnen, die wie solche in der realen Welt aussehen.
Die hübsche Mama, die im Kreißsaal liegt, ist froh, endlich den überaus dicken Bauch nicht mehr mit sich herumschleppen zu müssen. Es ist Sommer. Jeder Gang vor das Haus war eine Schweiß treibende Mühe. Nun ist es vorbei, gleich, in den nächsten paar Stunden, hat die Hebamme gesagt.
Das Baby lässt sich Zeit. Die Mama, von der wir sprechen, liegt da, mit nasser Stirn und an die Wangen geklebten Haaren. Die liebevolle Hebamme wischt ihr immer wieder mit einem weichen Tuch über das Gesicht. Die Schmerzen kann sie ihr nicht nehmen, aber sie ist da und streichelt ihre Hand. Ihre tröstenden Worte tun der Gebärenden gut und helfen ihr ein wenig, die lange Wartezeit zu überstehen.
Die Wehen, die in immer kürzeren Abständen die junge werdende Mutter zu zerreißen drohen, lassen sie bei jeder Attacke laut aufstöhnen.
Väter durften damals noch nicht dabei sein. Wahrscheinlich war das auch besser so. Man weiß nicht, wie viele starke, mutige Männer bis heute schon umgekippt sind, wenn es so richtig losging. Leider gibt es darüber noch immer keine Statistik. Es war einfach angenehmer, sich nur um die Mütter und die Babys kümmern zu müssen, als auch noch die bei diesem Vorgang völlig nutzlosen Väter im Weg herumstehen oder -liegen zu haben.
Die Wehen kommen in immer kürzeren Abständen und werden noch heftiger. Im Kreißsaal wird nicht mehr gelächelt und gesungen. Alles dreht sich um die Geburt.
Da ist ein Köpfchen zu sehen, eine kleiner Körper rutscht hinterher. Das kleine, faltenreiche Gesichtchen läuft rot an und verzieht sich zu einer erbarmungswürdigen »Ich-will-wieder-zurück«-Miene. Aber da sind die großen Menschen gefühllos, ungnädig und brutal und kennen kein Erbarmen.
Doch mit dem kleinen Knaben ist es nicht genug. Da kommt noch ein kleiner Kahlkopf zum Vorschein. Auch er will eigentlich überhaupt nicht, kämpft sich aber unnachgiebig an das kalte Licht. Er ahnt ja nicht, dass er einen großen Fehler macht. Aber nun ist es nicht mehr zu ändern. Auch ihm gelingt der Rückzug nicht, weil er von zwei kalten Händen, die an ihm zerren, daran gehindert wird. Er kneift die Augen zusammen, wahrscheinlich, um nicht zu sehen, was er befürchtet, dass es nämlich nun eine Ende hat mit dem gemütlichen warmen Wasser um ihn herum – obwohl, man muss schon sagen, in letzter Zeit wurde es immer enger – vorbei mit der praktischen Ernährungsmethode. Er weiß noch nicht, dass er sich hier Zähne anschaffen muss, so nennt man die kleinen Messer, die die Leute im Mund haben, um etwas, was man hineingeschoben bekommt, irgendwie zu zerkleinern.
»Oh, zwei!«, haucht die erleichterte Mutter, während sie beide in die Arme gedrückt bekommt, nachdem sie in warme Handtücher gehüllt sind. Glücklicherweise hat sie genauso viele Arme, wie sie nun braucht. Die furchtbaren Schmerzen sind fast vergessen. Wie schnell ein Mensch doch abzulenken ist.
Klar hat sie die süßesten Babys, die man sich vorstellen kann, auf die Welt gebracht. Weil es zwei sind, erklärt sich auch, warum ihr Bauch solche Ausmaße angenommen hat. Sie kann ihn im Moment nicht abtasten, irgendwie fehlt ihr jetzt doch noch die dritte Hand. Aber es wird schon so sein, dass der Umfang kleiner geworden ist.
Natürlich haben beide gleichzeitig Hunger, möchten gewickelt und in den Schlaf geschaukelt werden, und das fast immer zeitgleich. Beim Wiegen in den Schlaf kann sie Jo sehr gut gebrauchen. Der junge Vater stellt sich überhaupt nicht ungelenk an. Leider ist er mangels Milchproduktionsmöglichkeit beim Stillen ein Totalausfall, ebenso beim Wickeln. Die Kinder riechen nach seinem Einsatz intensiver und eindeutiger als zuvor. Also macht die Mama – sie heißt übrigens Magda – es lieber allein. Doch was Papa prima kann ist, die beiden gleichzeitig auf seinen Knien zu deponieren und mit ihnen Hoppe-Hoppe-Reiter zu spielen. Da kreischt der eine wie der andere vor Begeisterung. Das macht Johannes natürlich nicht, aber er strahlt, wenn er seine Jungs so glücklich machen kann. Gut, dass er zwei Knie hat.
Bald fällt auf, dass die beiden Jungen zwar ziemlich zur gleichen Zeit geboren wurden, sich aber doch sehr unterschiedlich entwickeln. Andy meldet sich regelmäßig deutlich lauter zu Wort – kann man eigentlich nicht sagen – besser zum Schreien als Jack. Letzterer ist der geduldige, der ruhige und der, den man fast vergessen könnte, wenn man nicht genau wüsste, da sind zwei und der Schreihals hat noch einen Bruder.
Sobald die beiden miteinander spielen, dauert es nicht lange, bis Magda, die Schiedsrichterin, durch jämmerliches Schreien von Jack, an den Tatort gerufen wird. Hier muss sie dann entscheiden, wer von beiden den anderen geärgert hat. Das ist keine Herkulesaufgabe! Es ist eigentlich immer Andy, der dem armen hilflosen Jack zusetzt. Jack ist auch nicht besonders klug oder sagen wir besser, er ist nicht berechnend wie sein um fünf Minuten älterer Bruder. Sobald er ein Spielzeug ins Herz geschlossen hat, ist Andy hundertprozentig genau auf dieses scharf. Er grinst seinen Bruder an, tätschelt seinen Arm und klaut ihm, von diesem unbemerkt, das Lieblingsteil.
Sie werden älter. So ist nun mal der Lauf der Zeit. Damit wird auch Jacks Stimme immer kräftiger. Die Streitereien zwischen den Brüdern sind nicht weniger geworden, sondern intensiver und Jakob hat viele Gelegenheiten seine Stimmbänder zu trainieren. Irgendwann läuft Magda auch nicht mehr jedes Mal los, wenn ihr Jack schreit. Soll er sich doch wehren!
2. Kapitel
Die beiden sind ungefähr vier Jahre alt. Brav spielen sie miteinander im Garten. Jack schreit, Andy wirft mit Erdklumpen nach seinem plärrenden Bruder. Magda sieht aus dem Fenster – alles in Ordnung, alles wie immer.
Eine Stunde später steht Jack mit schmutzigem und tränenverschmiertem Gesicht vor seiner Mama, schaut sie vorwurfsvoll an und gibt noch den einen und anderen Restschluchzer von sich. Wieso ist sie nicht sofort gerannt und hat ihren Sohn gerettet? Sie schnappt ihn sich und es geht ab ins Badezimmer. Als sie nach einer Viertelstunde mit dem sauberen Junior wieder herauskommt, wundert sie sich, dass Andy noch nicht erschien, der doch jede