Wem gehört die Zukunft?. Jaron Lanier
als Summe karmischer Erinnerungen vorstellen, die Münzen zu vergessen verdammt sind. Als moralische Instanz ist Gott praktisch das Gegenteil des Geldes.
Geld war die erste Anwendung der Datenverarbeitung. Im heutigen Zeitalter der Computer wird sich die Natur des Geldes erneut verändern. Leider ist durch die Kombination einer sich rücksichtslos verbessernden digitalen Technologie und fauler Ideale eine neue Ära entstanden, in der Geld manchmal nicht alles vergisst, was es vergessen sollte. Das ist keine gute Entwicklung.
In der vernetzten Welt von heute erinnert sich Geld, das auf manchen Computern gespeichert wird, nur zu genau. Das kann Probleme verursachen. Ein Problem ist die Korruption.
Lügner benötigen ein hervorragendes Gedächtnis. Eine doppelte Buchführung macht mehr Arbeit als eine einfache. Die Plage toxischer Wertpapiere und gigantischer Schneeballsysteme wäre ebenso wie die sinnlose Aufblähung des Finanzsektors ohne gigantische Rechnerleistungen nicht möglich gewesen, nur dank gigantischer Computer konnten alle Details gespeichert und sortiert werden, die man benötigt, um andere Leute übers Ohr zu hauen. Die ungeheuerlichsten modernen Lügner nutzen die Computer nicht nur, sie lassen sich auch von ihnen inspirieren.
Erst vor kurzem wurde Rechnerleistung so günstig, dass man sie dazu verwenden konnte, faule Wertpapiere zu verstecken. Die toxischen Finanzkonstrukte der Wirtschaftskrise waren so komplex, dass die Entwirrung des Geflechts der Entschlüsselung eines komplizierten kryptografischen Codes glich. Diese Finanzprodukte waren die Geschöpfe großer Rechnerkapazitäten.
Selbst der legale Handel kann betrügerische Züge annehmen. Es gibt den Spruch: »Wer mit Glücksspiel richtig Geld verdienen will, der sollte ein Kasino eröffnen.« Er ist veraltet. Die neue Version lautet: »Wer mit dem Netz richtig Geld verdienen will, dem sollte ein Metaserver gehören.« Wenn Ihnen die schnellsten Computer mit Zugang zu Informationen über jedermann gehören, müssen Sie das Geld nur suchen, schon wird es auftauchen.
Ein Eliteserver im Verborgenen, der sich an alles erinnert, was das Geld früher vergaß, und im Zentrum menschlichen Handelns platziert ist, ähnelt, wenn man es recht bedenkt, durchaus gewissen Vorstellungen von Gott.
Die Informationstechnologie des Optimismus
Die Wirtschaftswissenschaften sind eine noch relativ junge Disziplin und oft nicht in der Lage, sich auf grundlegende Lehrsätze zu einigen oder fragwürdige Theorien definitiv zu widerlegen. So befasst sich ein Großteil meines Buchs mit der Schaffung von Vermögen, doch es gibt immer noch keine Einigung darüber, woher Vermögen eigentlich kommt.[2]
Ich behaupte nicht, ein Wirtschaftswissenschaftler zu sein. Als Informatiker beschäftige ich mich jedoch mit der Frage, wie sich Informationssysteme entwickeln, und das könnte uns einen nützlichen Einblick in die Wirtschaftswissenschaften eröffnen. Jede Informationstechnologie, vom frühesten Geldkonzept bis zum neuesten Cloud-Computing, basiert im Grunde auf Entscheidungen darüber, was gespeichert und was vergessen werden soll. Geld ist einfach ein weiteres Informationssystem. Die grundlegenden Fragen zu Geld sind daher auch die, die man sich im Zusammenhang mit Informationssystemen stellt. Was wird gespeichert? Was wird vergessen?
Wenn die offiziellen Wissenschaften ins Schwimmen geraten, schießen populäre Theorien ins Kraut, die oft an Paranoia grenzen. So auch zum Thema Vermögen. Eine breitverteilte Entstehung von Vermögen lässt sich nur schwer von dem Begriff »Wachstum« trennen, aber »Wachstum« wird von linken Kräften manchmal als eine Art Krebsgeschwür dargestellt, das den Menschen und seine Welt befallen hat. Die politische Rechte wiederum reagiert allergisch auf den Begriff »Inflation«, die stets, allerdings oft auch nur in geringem Ausmaß, eintritt, wenn Reichtum auf breiter Ebene entsteht. Dazu kommt bei den Konservativen noch der ausgeprägte Hang zu Sparsamkeit. (Erstaunlich, wie viele Gemeinsamkeiten Gegner häufig haben.)
Die Schaffung von Vermögen bedeutet aus Sicht der Informatik einfach nur, abstrakte Informationen, die wir speichern, in Einklang zu bringen mit dem konkreten Nutzen, den wir haben könnten. Ohne diese Abstimmung werden wir nicht in den Genuss all dessen kommen, was potenziell möglich ist.
Seit einiger Zeit geht es bei dem, was das neue Geld in die Welt gebracht hat, hauptsächlich um die »Memorialisierung« von Verhaltensabsichten. Es handelt sich also mehr um eine Berechnung der Zukunft, wie wir sie planen, als der Gegenwart, wie wir sie bemessen. Moderne Vorstellungen von Geld entsprechen dem Bedürfnis nach einem Ausgleich zwischen Planung und Freiheit. Wenn wir uns nicht gegenseitig Beständigkeit versprechen würden, wäre das Leben tückisch.
Also geben wir Versprechen ab, unser Leben entsprechend zu gestalten, schaffen aber ein gewisses Maß an Freiheit, indem wir entscheiden, welche Versprechen wir machen und wie wir sie einhalten. Wenn Ihnen also eine Bank Kredit gibt, weil sie Ihnen vertraut, können Sie das Geld zurückzahlen, doch Sie verfügen auch über einen gewissen Spielraum, wie Sie das machen. Außerdem konkurrieren mehrere Banken miteinander, die verschiedene Methoden zur Bewertung Ihrer Kreditwürdigkeit anwenden. Was für ein interessanter Kompromiss dadurch entstanden ist, der sowohl Freiheit als auch Planung umfasst!
Das ist eins der wichtigsten Geschenke des modernen, zukunftsorientierten Geldes. Durch die abstrakte Version eines Versprechens (etwa, dass man einen Kredit zurückzahlt) minimalisieren wir das Ausmaß, mit dem wir den Erwartungen der anderen entsprechen müssen. So, wie Geld die Vergangenheit vergisst und uns dadurch unzählige blutige Fehden erspart, ist es nun zu einem Werkzeug geworden, das die Zukunft abstrahiert. Dadurch erlaubt es uns ein Mindestmaß gegenseitiger Akzeptanz, die notwendig ist, um die von uns gegebenen Versprechen zu halten.
Wenn Sie ein Haus kaufen mit einem Kredit von einer Bank, die Nutznießerin des vielgeschmähten Mindestreserve-Systems ist, dann kommt es zu folgender Situation: Ein Teil des Geldes, mit dem Sie Ihr Haus bezahlen, hätte vielleicht nie existiert, wenn Sie sich nicht zum Kauf entschlossen hätten. Es ist quasi »aus der Luft gegriffen« oder erfunden, wie die Kritiker des Systems sagen,11 aufgrund Ihres bloßen Versprechens, dass Sie dieses Geld irgendwann in der Zukunft verdienen werden.
Ganz normale Menschen können also zur Schöpfung neuen Geldes beitragen, indem sie ein Versprechen machen. Man legt die Zukunft fest, indem man einen Plan erstellt und das Versprechen abgibt, sich daran zu halten. Als Reaktion darauf entsteht Geld, denn mit diesem Versprechen haben sie einen Wert geschaffen. Neues Geld wird geschöpft, um diesen Wert wiederzugeben.
Deshalb können Banken bankrottgehen, wenn ihre Kunden die Kredite nicht zurückzahlen. Banken verkaufen Werte, die unter anderem aus den zukünftigen Absichten der Kreditnehmer bestehen. Wenn die Kreditnehmer ihre Versprechen nicht einhalten, existieren diese Werte nicht mehr.
Eine Volkswirtschaft ist wie eine Kosmologie. Ein expandierender Markt ist wie ein sich ausdehnendes Universum charakterisiert von globalen Gesetzen und lokalspezifischen Phänomenen. Für einen gesunden Markt ist Wachstum erforderlich, das aber nicht auf Kosten der Umwelt oder anderer Werte erfolgen darf, die uns allen gehören. Wachstum ist nur ehrlich, wenn die Bedürfnisse der gewöhnlichen Menschen nicht vergessen, sondern im Gegenteil respektiert werden. Das bedeutet, dass ein gewisses Maß an Inflation – nicht zu viel – angemessen ist, weil die Leute ihre Geschäfte dann besser erledigen, nämlich so, dass auch andere davon profitieren.12 Das ist eine so simple Idee, dass man sie kaum wahrnimmt.
Wenn man das Vertrauen in die Grundlagen der Entstehung von Vermögen verliert, verliert man auch das Vertrauen in den Fortschritt der Menschheit insgesamt. Wenn der gesamte Wert, den es je geben wird, bereits existiert, dann kann es bei der Marktdynamik nur um Schwankungen, Konflikte und Anhäufung gehen. Wirtschaftlicher Stillstand oder Negativwachstum führen dazu, dass die Menschen rücksichtslos und unvernünftig handeln.
In einem wachsenden Markt entstehen neue Werte und neues Vermögen. Nicht jedes neue Vermögen kommt durch bahnbrechende Veränderungen wie Erfindungen oder die Entdeckung neuer Rohstoffe zustande.13 Manchmal entsteht es eben auch dadurch, dass ganz gewöhnliche Menschen ihr Versprechen halten.
Die Psychologie des Geldes hat mit seinem Nutzen nicht Schritt gehalten. Deshalb hat der Goldstandard in der populistischen Politik der USA eine so große Anziehungskraft und taucht in libertären Kreisen immer wieder