Im gleißenden Licht der Sonne. Clare Clark
Schweigen. Matthias sah ihn an, seine grünen Augen waren unergründlich. Dann lächelte er verhalten. »Ich weiß«, sagte er und umfasste seine Hände, als wollte er Julius’ Worte mit ihnen einfangen.
Matthias war in Hochstimmung. Irgendwie hatte er seinen Bruder davon überzeugen können, dass es unklug wäre, sich zu einseitig auf die Belieferung des Warenhauses zu verlassen, und dass der Handel mit moderner Kunst, mit Besonnenheit und Umsicht betrieben, ein zweites stetiges Einkommen sichern konnte. Wenn Matthias früher einmal bereit gewesen war, mit geliehenem Geld zu spielen, hatte ihm der Trübner eine gehörige Lektion erteilt. Er war nicht Händler geworden, um Geld zu scheffeln. Er wollte eine neue Galerie moderner Kunst gründen, die man ernst nehmen konnte und die von Künstlern und Käufern gleichermaßen geschätzt wurde. Gemälde für Gemälde wollte er sein Geschäft aufbauen und mit jedem Schritt ein wenig dazulernen.
»Aber in einem irrst du dich«, sagte er, als sie beim Kaffee saßen.
»Geht es schon wieder um Ruthenberg?«
Matthias lächelte. »Was ihn betrifft, hast du mich überzeugt. Ich meine das, was du einmal zu mir gesagt hast – es sei unmöglich, als Kunsthändler ein glückliches Leben zu führen.«
»Meiner Erinnerung nach habe ich gesagt, es bricht einem das Herz, sich von schönen Dingen trennen zu müssen.«
»Genau. Und ich habe befürchtet, du hättest recht. Als ich klein war, war mein Vater Diener bei …«
»Ich dachte, dein Vater ist Schmied gewesen?«
Matthias zuckte zusammen. Zu spät fiel Julius ein, dass er diese Information von Salazin hatte. Sie musste nicht stimmen, und womöglich hatte Matthias etwas dagegen, dass Julius in seinen Privatangelegenheiten herumschnüffelte. Er überlegte gerade, ob er sich entschuldigen sollte, als Matthias die Achseln zuckte.
»Ja, als ich ganz klein war. Aber nach einem Unfall mit seiner Hand hat er sich als Diener verdingt. Ich habe oft bei ihm in der Küche gesessen, während er das Silber polierte, und mir gedacht, wenn ich einmal groß bin, will ich schöne Dinge besitzen. Wann immer ich mir in Museen Gemälde ansah, wünschte ich mir so sehr, sie würden mir gehören, doch in den letzten Monaten hat sich der Drang zu erwerben, zu besitzen verflüchtigt. Ich verkaufe ein Werk, aber ich verliere es deswegen nicht. Seine Schönheit, seine Kraft bleiben bei mir, weil seine Essenz und sein Geist mit dem, was mich ausmacht … ich kann es nicht in Worte fassen, nicht so wie du. Jedenfalls stelle ich es mir vor wie bei einer Mauer nach einem heißen Tag, die Wärme ist in den Ziegeln gespeichert, auch nachdem die Luft sich abgekühlt hat …« Er verstummte, die Wangen hochrot. »Ich kann es nicht erklären. Sag mir, ich soll den Mund halten, bevor ich es noch schlimmer mache.«
Julius schwieg. Er dachte an den van Gogh, an das wilde, überschäumende Verlangen, das ihn beim Anblick dieses Bildes erfüllt hatte, an den leidenschaftlichen Wunsch, es zu besitzen, es in sich aufzusaugen, es war Liebe auf den ersten Blick gewesen. Er dachte an Luisas makelloses Gesicht, an die Verachtung, mit der sie ihn angesehen hatte, als wäre er der größte Fehler ihres Lebens. Deshalb hast du mich doch ausgesucht, als weiteres Ausstellungsstück für dein verdammtes Museum!
Matthias trank seinen Kaffee aus und stellte die Tasse auf den Unterteller zurück. Dann lächelte er Julius schief an. »Ach ja, der Idealismus. Er ist so angenehm erschwinglich.«
Im Helldunkel des Kerzenscheins wirkte sein Gesicht wie von Caravaggio gemalt.
VIII
»Er geht Ihren Terminkalender durch.«
Julius starrte seine Haushälterin mit offenem Mund an. »Was haben Sie gesagt?«
»Herr Rachmann, wenn er hierherkommt.« Frau Lang zerknüllte das Taschentuch in ihrer Hand. Sie hatte etwas Bockiges, sogar in ihrem Bemühen, die Tränen zurückzuhalten. »Er fragt Fräulein Grüber aus, will wissen, was Sie unternehmen, mit wem Sie sich treffen. Das ist nicht recht.«
Julius musste daran denken, wie Matthias in der Tür zum Morgensalon gestanden und gelacht hatte und wie Fräulein Grüber errötet war, als er ihr eine gute Nacht gewünscht hatte. Wütend schüttelte er den Kopf. »Das reicht jetzt, hören Sie?«
»Fragen Sie doch Fräulein Grüber, wenn Sie mir nicht glauben.«
»Es reicht, habe ich gesagt. Sie werden jedem meiner Gäste den gebührenden Respekt entgegenbringen, sonst müssen wir uns über Ihre Stellung hier in diesem Haus Gedanken machen, verstanden?«
Frau Lang zog das Gesicht in Falten. Wortlos und mit unsicheren Schritten zog sie sich zurück. Julius nahm seufzend die Brille ab und rieb sich die Augen. Frau Lang war immer unmöglich gewesen, aber er hätte nicht gedacht, dass sie zu solcher Niedertracht fähig wäre. Ihre Aversion gegenüber Matthias war inakzeptabel und nichts anderes als eine giftige Mischung aus Eifersucht, Dünkel und Übellaunigkeit. Seine bescheidene Herkunft, seine Jugend, seine Offenheit, ja sogar seine tadellosen Manieren hatte sie ihm von Anfang an angekreidet. Und doch blieben ihre Vorwürfe haften, ließen sich nicht so leicht abschütteln. Eines Morgens, als Fräulein Grüber mit ihrem Stenoblock aus dem Arbeitszimmer huschen wollte, rief er sie zurück.
»Da wäre noch etwas«, sagte er. »Stimmt es, dass Sie private Informationen über mich an Herrn Rachmann weitergeben?«
Fräulein Grübers Wangen leuchteten rot. Auf einmal wollte Julius es am liebsten gar nicht mehr wissen. Er verschränkte die Arme, die Ellbogen fest umklammert. »Ist das ein Ja, Fräulein Grüber?«
»Es tut mir furchtbar leid. Das hätte ich nicht machen dürfen, ich weiß, aber …«
»Aber was?«
Sie zuckte zusammen und ließ kläglich den Kopf hängen. »Na ja, er hat mich halt gefragt, kurz nachdem Frau Lang ihn in Ihrem Beisein heruntergeputzt hatte, weil er unangemeldet gekommen war. Sie erinnern sich vielleicht nicht mehr daran, aber es war ihm furchtbar peinlich, er hat befürchtet, sie würden ihn nicht mehr treffen wollen, und wenn er doch käme, wären Sie zu höflich, um ihn abzuweisen, dabei würden Sie nur darauf warten, ihn wieder loszuwerden. Er wirkte völlig ratlos, und als er mich gefragt hat, dachte ich, es schadet ja keinem und ich könnte helfen.« Ihre Stimme zitterte. »Es war falsch, das sehe ich jetzt ein, ich hätte es nicht machen dürfen – es tut mir so leid.«
Julius dachte an all die Abende zurück, an denen Matthias unangemeldet in die Meierstraße gekommen war, mit was für einem untrüglichen Gespür er immer gerade jene Abende gewählt hatte, an denen Julius ganz bestimmt zu Hause war, und lachte leise in sich hinein. Er wäre nie darauf gekommen, dass Matthias’ Einfühlungsvermögen auch von einem guten Teil Durchtriebenheit herrührte.
»Ich nehme an … ich nehme an, Sie wünschen, dass ich meine Sachen packe«, sagte Fräulein Grüber, ohne ihn anzusehen, doch Julius schüttelte den Kopf.
»Ich wünsche nichts dergleichen. Wenn Herr Rachmann so entschlossen ist, mir keine Unannehmlichkeiten zu bereiten, warum um alles in der Welt sollte ich ihm dabei im Weg stehen?«
Fräulein Grüber runzelte zweifelnd die Stirn. »Dann sind Sie also nicht böse auf mich?«
»Ganz im Gegenteil, ich erteile Ihnen die Erlaubnis, Herrn Rachmann Auskunft über alles zu geben, was er erfahren möchte. Seine Gewissenhaftigkeit spricht für ihn, auch wenn Frau Lang da vielleicht anderer Meinung ist.«
Böhm rief an. Nach monatelanger Verzögerung sei endlich ein erster Gerichtstermin vereinbart. Die Parteien würden vor Gericht ihre Anträge stellen und die Zeugenaussagen der Gegenseite zugänglich machen. Nichts wäre entschieden, es würde nur ein Termin für die Hauptverhandlung festgelegt werden. Julius’ Anwesenheit sei demnach nicht erforderlich. Was nicht verhinderte, das Harald Baeck ihn in seinen Träumen heimsuchte.
Böhm kam in die Meierstraße, um Frau Langs Aussage aufzunehmen. Nervös wie ein Schulmädchen saß sie auf ihrem Stuhl, die Knie zusammengepresst. Der Anwalt ging behutsam vor. Er nahm einen Aktenordner aus seinem Koffer, schlug ihn auf und reichte ihn ihr.
»Bitte