Krimi Paket 10 Thriller: Mord ist kein Vergnügen. Pete Hackett
"Ich habe ein Zimmer für Sie hergerichtet und hoffe, dass alles nach Ihrem Geschmack ist."
"Danke, das wird es sicher."
"Mrs Carson hat im Moment Besuch, wird Sie aber gleich empfangen, Miss Rogers." Der Butler führte sie ins Obergeschoss. Das Zimmer, das er für sie hergerichtet hatte, erschien ihr riesig. Die Möbel wirkten gediegen und kostbar. Manche davon hätten sich sicher gut in einem Antiquitätengeschäft wie Jackson & Graves gemacht... Wenig später führte der Butler sie in eine Art Salon und bat sie, in einem der zierlich wirkenden Sessel doch Platz zu nehmen.
"Sie trinken doch eine Tasse mit, nicht wahr?"
"Gerne." Sie deutete auf das überdimensionale Portrait-Gemälde, das eine der Wände dieses Salons beherrschte.
Es stellte einen Mann in Reiterkleidung dar, vielleicht Mitte vierzig und mit kantigem, energisch wirkendem Gesicht.
"Wer ist das?", fragte Sally
"Das ist Arthur Carson", erklärte der Butler.
Und Sally entfuhr unwillkürlich ein "Oh."
"Er verstarb bei einem Reitunfall und obwohl das bereits recht lange her ist, leidet Mrs Carson noch immer darunter. Wenn sie plötzliche Stimmungsschwankungen bemerken sollten, dann seien Sie nachsichtig, Miss Rogers."
"Natürlich."
Dann verschwand der Butler.
Die Tür zum Salon blieb dabei halb geöffnet. Knarrend wurde der Spalt durch einen Luftzug noch etwas größer.
Sally erhob sich, um die Tür zu schließen, aber sie hatte sie kaum erreicht, da hörte sie aus dem Flur Stimmen und Schritte.
"Ich danke Ihnen, Mister Heyward", hörte sie eine Frauenstimme sagen. "Es beruhigt mich doch sehr, zu wissen, dass Arthur mit allem einverstanden ist..."
"Sie tun das richtige, Mrs Carson...", sagte eine Männerstimme, die hart und metallisch klang.
"Mister Heyward, Sie wissen ja gar nicht, was es für mich bedeutet, dass Sie eine Verbindung herstellen konnten..."
"Sie war nur sehr kurz, Mrs Carson. Kurz und instabil. Ich weiß nicht, ob wir es noch einmal schaffen..."
"Tun Sie alles, was in Ihrer Macht steht, Mister Heyward!"
"Das wird nicht einfach sein und vielleicht auch etwas Zeit brauchen..."
"Ganz gleich, was es auch kosten mag! Ich bin bereit, dafür alles zu geben! Alles!"
"Ich weiß."
"Ich wüsste nicht, was ich ohne Sie tun würde, Mister Heyward... Sie können sich nicht vorstellen, in welche düsteren Täler der Verzweiflung ich für lange Zeiten gestürzt bin..."
Es war sicherlich nicht Sallys Absicht gewesen zu lauschen.
An sich war sie stets peinlich darauf bedacht, die Privatsphäre anderer zu beachten. Aber das, was da an ihre Ohren drang, war einfach so merkwürdig, dass sie nicht anders konnte, als zuzuhören.
Offenbar ging es um Arthur Carson, einen Toten, von dem gesprochen wurde, als würde er noch leben.
Sally atmete tief durch.
Närrin!, schalt sie sich selbst. Du siehst schon Gespenster.
Vermutlich gibt es irgendeinen lebenden Verwandten gleichen Namens...
Dann drang erneut die metallisch klingende Stimme jenes Mannes in ihr Bewusstsein, der Heyward hieß.
"So sehr ich Ihre Freude über die Verbindung zum Geist Ihres toten Mannes auch teile, Mrs Carson: Ich mache mir Sorgen um Sie. Und nicht nur um Sie!"
"Ich weiß, Mister Heyward!"
"Sie müssen lernen, mit dieser grausamen Kraft umzugehen, die Ihre Gedanken besitzen! Sonst ist es nur eine Frage der Zeit, wann wieder ein Unglück geschieht. Und es wird niemanden geben, der dann etwas dagegen tun kann! Auch Sie nicht!"
"Ich habe das Gefühl, das meine Kräfte stärker und stärker werden...", sagte Mrs Carson in gedämpftem Tonfall.
"Ich weiß", sagte Heyward. "Das ist in solchen Fällen oft der Fall..."
"Die Vögel..."
"Die Vögel sind kaum mehr als ein Vorspiel von dem, was noch geschehen kann!"
"Mr Heyward, ich bin so verzweifelt... Ich komme gegen diese Mächte nicht an!"
"Gemeinsam werden wir einen Weg finden, Mrs Carson. Das verspreche ich Ihnen!"
Heyward verabschiedete sich dann.
Wenig später war zu hören, wie draußen ein Wagen angelassen wurde und wegfuhr.
11
"Möchten Sie Zucker in Ihren Tee?", fragte der Butler. Er und Mrs Carson waren fast gleichzeitig eingetreten und Sally hatte es gerade noch geschafft, sich wieder auf ihren Platz zu setzen.
"Gerne", beeilte sie sich.
Mrs Dorothy Carson stand derweil etwas abseits. Sally schätzte sie auf Mitte sechzig. Ihr Haar war grau und ebenso ihre Augen. Sie bedachte Sally mit einem falkenhaften Blick, der deutliches Misstrauen ausdrückte. Die ganze Zeit über rieb sie die Handflächen aneinander.
"Lassen Sie uns bitte allein, Charles", sagte sie dann etwas ungeduldig zu ihrem Butler. Dieser nickte und und verschwand diskret und leise durch die Tür.
Dorothy Carson setzte sich nicht und Sally fühlte sich ziemlich unbehaglich. "Sie sind also Miss Rogers... Mein Neffe hat Sie mir schon angekündigt."
Sie ging ein Stück auf und ab.
"Sie wollen Ihre Bibliothek veräußern", sagte Sally, um überhaupt ein Gespräch anzufangen. Denn Dorothys Blick war inzwischen auf das große Bildnis des verstorbenen Arthur Carson gefallen. Sie stand in sich versunken da und rührte sich nicht.
"Ja", murmelte sie tonlos. "Sehen Sie zu, dass Sie mit Ihrer Arbeit schnell fertig werden."
"Ich werde mir Mühe geben."
Sie wandte sich herum. Ihr Blick hatte etwas Angstvolles, Gehetztes. "Entschuldigen Sie, ich wollte nicht ungastlich sein, aber ich brauche dringend etwas Geld. Deswegen wäre ich Ihnen dankbar, wenn die ganze Sache schnell über die Bühne gehen würde."
"Ganz so schnell wird es vielleicht nicht gehen", sagte Sally ganz offen. "Ich sage Ihnen das aus Erfahrung. Unsere Branche ist nicht halb so hektisch wie es in anderen Bereichen zugeht. Und bis wir einen Käufer gefunden haben, kann es etwas dauern. Schließlich wollen Sie die Bücher ja sicher nicht unter Wert weggeben..."
"Nein", sagte Dorothy leise.
Sally trank ihren Tee aus.
Ein unangenehmes Schweigen entstand. Dann sagte Dorothy: "Sie werden sich vielleicht wundern, weshalb eine Frau wie ich in Geldschwierigkeiten ist..."
"Es geht mich nichts an, aus welchen Motiven Sie die Bücher verkaufen wollen, Mrs Carson."
Ein mattes Lächeln ging über ihr Gesicht. "Wie Sie sicher wissen, hat mein Mann einst Carson Industries gegründet und natürlich denkt alle Welt, dass ich im Geld schwimme. Aber das ist nicht der Fall. Jedenfalls nicht so, wie sich die Leute das vorstellen... Es ist nicht schön, wenn man umgeben ist von Menschen, die nur darauf warten, dass man stirbt und ihnen etwas hinterlässt... Lassen Sie sich das gesagt sein, junge Frau! Möchten Sie noch Tee?"
"Nein, danke", sagte Sally und erhob sich. "Am besten Sie zeigen mir jetzt die Büchersammlung."
"Es wird Ihnen nicht gefallen, was Sie zu sehen bekommen. Die Sammlung ist in keinem guten Zustand und teilweise noch in Kisten verpackt. Sie war eigentlich im Westflügel untergebracht und jetzt liegt sie auf der anderen Hausseite... Kommen Sie!"
Sally