Wer auf dich wartet. Gytha Lodge
wie ein Politiker. Außer du bist Dozent für Politikwissenschaft, dann …«
»Nicht ganz«, sagte er mit einem Kopfschütteln. »Wirtschaft. Bin ich zugelassen?«
»Ooh, also richtig klug«, sagte sie mit einem Grinsen. »Ja, du bist zugelassen.«
Nachdem sie ihren Drink zurückhatte, fragte sie ihn ein wenig ernster: »Aber du hast nichts dagegen? Du weißt schon, mit einer Studentin auszugehen?«
»Ich unterrichte dich schließlich nicht, oder?«, fragte er achselzuckend. »Und du bist ja auch nicht gerade eine milchgesichtige kleine Achtzehnjährige. Du bist … sechsundzwanzig, hast du gesagt, richtig? Praktisch schon eine ältere Dame.«
»Alles klar. Ich rede nicht mehr mit dir«, sagte sie.
»Doch«, erwiderte er. »Ausführlich. Du hast es versprochen.«
Bis sie an ihrem Tisch platziert wurden, hatte er ihr bereits Maeves komplette Geschichte sowie die Langfassung von Victors seltsamen Anwandlungen entlockt. Die Art, wie er nachdenklich zuhörte, Fragen stellte und umsichtige Vorschläge machte, gefiel ihr. Er gab ihr das Gefühl, als wäre all das jetzt auch sein Problem.
Danach war sie bei ihrem Vater gelandet, seiner Alkoholsucht, die er vor ihrer Mutter verbarg, und den Anlässen, bei denen sie zu seiner Rettung hatte eilen müssen.
»Ist es nicht unfair, dass er sich auf dich verlässt?«, fragte Aidan am Ende sanft. »Du bist schließlich die Tochter. Also, ich finde, er sollte sich um dich kümmern.«
Zoe zuckte die Schultern und lächelte knapp und verlegen. »Ich brauch niemanden, der sich um mich kümmert.«
Es hatte etwas Köstliches, wie Aidan langsam nickte und sagte: »Das werden wir sehen.«
Irgendwann drehte sie den Spieß um und fragte ihn über sein Leben aus; sie erfuhr von der Mutter, für die nichts jemals gut genug gewesen war, die Freundinnen, die er gewählt hatte, weil sie ihn an sie erinnerten, von ihrem Tod und seiner komplizierten Trauer.
»Findest du, dass ich bin wie sie?«, fragte Zoe.
»Nein«, sagte Aidan lächelnd und mit leuchtenden Augen. »Du bist überhaupt nicht wie sie. Und ich glaube, dass ich dieses Trauma vielleicht endlich überwunden und eine gewählt habe, die tatsächlich gut für mich ist.«
Es hätte peinlich sein sollen, doch das war es nicht. Stattdessen spürte sie eine Wärme von innen und einen leichten Schwindel.
Es schien unvermeidlich, dass sie von dem Restaurant zu Aidans Hotelzimmer gingen, sich langsam gegenseitig auszogen und ihre Körper verschmelzen ließen.
»Mein Gott, du bist wundervoll«, murmelte er danach und aus irgendeinem Grund standen beiden Tränen in den Augen.
7.
»Ich nehme an, Sie sind von der Polizei?«
Felix stand in der Tür. Juliette registrierte den hellgrauen Anzug und das offene Hemd, das perfekt frisierte Haar und den sauber gestutzten Bart. Er sah aus, als wäre er gerade von der Arbeit heimgekommen oder hätte sich für einen gediegenen Abend außer Haus extra umgezogen.
Juliette lächelte ihn an. »Woher wissen Sie das?«
»Es ist einfach Ihre Art«, sagte Felix und grinste. »Und vielleicht die Streifenwagen vor der Tür. Aus meinem Küchenfenster kann ich die Straße überblicken.«
Als Juliette den Mund aufmachte, um vorzuschlagen, drinnen weiter zu reden, sagte er: »Sie sehen aus, als wollten Sie mir ein paar heikle Fragen stellen. Kommen Sie doch rein. Wenn ich meine Nachbarn verpfeife, würde ich es lieber vertraulich tun.«
Er trat einen Schritt zurück, um Juliette hereinzulassen. Der Grundriss der Wohnung war eine Spiegelung von Zoes, wie sie erkannte. Wahrscheinlich war die Wohnung genauso groß, aber vollständig möbliert wirkte sie kleiner. In der Mitte des Raumes stand ein großes Sofa, und eine Wand wurde komplett von einem spießigen Bücherregal beherrscht, in dem ordentlich aufgereiht oben Taschenbücher und unten gebundene Bücher standen. Ein paar Bilder gab es auch, Seestücke an zwei Wänden sowie mehrere gerahmte Urkunden und ein paar kleinere Fotos auf einem zweiten Regal. Auf einem TV-Regal stand ein riesiger Plasmabildschirm, darunter eine akkurate Reihe DVDs.
Während in Zoes Wohnung alle Ablageflächen vollgestellt gewesen waren, war bei Felix alles aufgeräumt und blitzsauber, der Wischlappen über dem Spülbecken und das Handtuch an der Ofentür waren exakt mittig ausgerichtet und sahen aus, als wären sie gebügelt worden.
»Bitte«, sagte er, holte sich einen Stuhl aus der Küche und wies auf das Sofa, »nehmen Sie Platz.«
»Danke«, sagte Juliette und setzte sich vorsichtig. »Meines Wissens sind Sie Zoe Swardadines Vermieter. Ist das korrekt?«
Felix erstarrte kurz, bevor er Platz nahm, als wäre nichts gewesen.
»Ja«, antwortete er. »Ist dies … Geht es ihr gut?«
»Zoe ist in ihrer Wohnung tot aufgefunden worden«, sagte Juliette sanft. »Es tut mir leid, Ihnen diese Nachricht überbringen zu müssen.«
»Ist das … ist das Ihr Ernst?« Der Ausdruck in den Augen des Mannes wirkte beinahe gehetzt. »Ich habe gestern noch mit ihr gesprochen.«
»Ein Freund von ihr hat sich Sorgen um sie gemacht hat und uns angerufen.« Juliette wählte ihre Worte mit Bedacht. »Als wir in die Wohnung kamen, war sie bereits tot.«
»Mein Gott«, sagte Felix und dann noch einmal: »Mein Gott.« Er stand auf und stützte sich auf die Arbeitsplatte. »Hat sie … hat sie es selbst getan?«
Hanson fand die Frage merkwürdig. »Es ist noch zu früh, um das mit Bestimmtheit zu sagen«, antwortete sie. »Haben Sie Grund zu der Annahme, dass sie selbstmordgefährdet war?«
»Nein, natürlich nicht«, sagte Felix und fügte hinzu: »Dann hätte ich … Ich hätte etwas getan …«
Es entstand ein Schweigen, und Juliette hatte den Eindruck, dass er tief in eine Erinnerung versunken war.
»Soweit ich weiß, besitzen Sie einen Schlüssel zu ihrer Wohnung«, sagte sie schließlich.
»Ja, selbstverständlich. Ich muss Zugang haben, damit ich Dinge reparieren oder Handwerker hereinlassen kann.« Juliette wunderte sich über seinen defensiven Tonfall. Felix blickte zu einer Reihe von Haken neben der Wohnungstür. »Brauchen Sie ihn …? Ich könnte ihn raussuchen. Aber ich habe nur den einen …«
»Ich frage den Chef«, erwiderte Juliette. »Es wäre wahrscheinlich nützlich, ihn griffbereit zu haben. Sie haben gesagt, Sie hätten gestern mit ihr gesprochen. Wann genau war das?«
»Am Vormittag«, sagte er rasch. »Nur ein kurzer Plausch.«
Juliette lächelte. »Sprechen Sie häufig mit Ihren Mietern?«
»O nein. Ich habe nur diese eine Wohnung, die ich vermiete, und Zoe war mehr eine Freundin als nur eine Mieterin. Ich kannte sie aus dem Café, bevor sie eingezogen ist. Mein Gott.« Er ließ beide Arme hängen und wirkte plötzlich kraftlos.
»Wie ging es ihr, als Sie mit ihr gesprochen haben?«, fragte Juliette.
Felix zuckte die Schultern. »Schwer zu sagen. Sie wirkte beschäftigt, nehme ich an. Sie schien nicht so viel Zeit zu haben wie üblich.«
»Und nach diesem Gespräch haben Sie sie nicht mehr gesehen?«, bohrte Hanson weiter.
»Nun … gesehen habe ich sie schon. Als sie nach Hause gekommen ist.«
»Sie haben sie gesehen …?«
»Unten«, sagte er und wies mit dem Kopf auf das Küchenfenster, von dem aus man auf die Straße blicken konnte. Juliette stand auf und trat an das Fenster. Sie probierte aus, ob man auch die Haustür beobachten konnte. Aber selbst wenn sie ganz rechts stand, sah sie nur den Bürgersteig direkt davor. Trotzdem konnte man problemlos verfolgen, wer das Haus betrat und verließ.