Die Lichtschreiberin. Almut Adler

Die Lichtschreiberin - Almut Adler


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mir zu eng, ich war flügge für meinen Freiflug. Richtung Süden schwebte mir vor.

      Über Bekannte meines Vaters kam ich nach Heidelberg. Bei Fotowerbung Rockland trat ich eine Stelle als Fotografin an. Mit einem vollgepackten, mausgrauen VW-Käfer fuhr ich zuhause los. Meine Mutter stand weinend auf der Straße und winkte ihrem ausfliegenden Adlerkind lange hinterher. Schon zwei Tage später habe ich mein Herz in Heidelberg verloren. Als ich spielende Kinder fotografierte stolperte Roger über mich. Sein sympathisches Lachen und seine Ausstrahlung ließen mein Herz sofort höher schlagen. Auf sein intellektuelles Aussehen fuhr ich voll ab, Cordjacke, halblange, braungelockte Haare, Schnauzbart, modische Brille und dieses Lachen mit den Grübchen! Ich schmolz dahin, mein Herz machte einen Schnellstart. Gleich am ersten Tag versackten wir beide im Weinloch, eine Studentenkneipe par exellence. Später zeigte mir Roger das Heidelberger Schloss, die Pizzeria Pop, den Jazzkeller Cave und vieles mehr. Mit Roger machte ich meine ersten Nächte durch, lernte seine Freunde kennen und auch seine intellektuelle Mutter, eine Anwältin. Ich bewunderte die selbstbewusste, allein erziehende Frau, die so ganz anders lebte, als ich es von meiner Familie kannte. Sie war mit dem Fotografen Harlan Feltus befreundet, dem Vater von Barbara Becker. Die ersten drei Monate glichen einem Rausch an neuen Eindrücken und anderen Lebensarten. Wegen meiner schmalen Taille und dem weiblichen Becken nannte Roger mich Geige – ich ließ es zu. Leider konnte er seiner Geige keine wohligen Töne entlocken und schon bald kamen die Noten unseres Liebesliedes abhanden. Wir lösten unser Duett auf.

      Meine Arbeit im Rockland-Studio gefiel mir von Tag zu Tag weniger. Ich stand häufiger in der Dunkelkammer, als im Fotostudio hinter der Kamera. Auch meine zwei Kolleginnen litten zunehmend unter den Profilneurosen unseres kleingewachsenen Studio-Chefs. Er gängelte seine Mitarbeiterinnen wo er nur konnte. Weil meine Kollegin ihm freche Antworten gab, schmiss er sie raus. Als ich mich einmischte flog ich ebenfalls. Gerne wollte ich in Heidelberg bleiben oder in das ähnlich mittelalterliche Freiburg ziehen, doch adäquaten Stellen für Fotografen gab es dort nicht.

      So landete ich in der schwäbischen Kleinstadt Esslingen. Heidenei!

      Marokko und 120 Kamele

      Im Bechtle Verlag bekam ich eine Anstellung als Studiofotografin. Dort arbeitete ich mit Kollegen Nestle, Häberle und Bauchle und wohnte zur Untermiete bei Witwe Buschle im Ländleweg. Die umsichtige Frau lief am liebsten in Gummistiefeln herum und führte in ihrem Haus das Regiment. Ständig lag Frau Buschle auf der Lauer, überprüfte meine Kehrwoche und mahnte mich regelmäßig “um Goddes Wille ned zu viel Wasser zu verbrauche!” Die Umsichtige kontrollierte sogar wenn meine Besucher zur Toilette gingen. Dann klopfte sie laut an die Tür.

      “Ihr Sausäckl, jetzt hen ihr drei Mol gschpült”, kreischte sie aufgeregt, “da langt doch au nur oimol!”

      Schon bald ging mir diese Spießigkeit aufs Weckerle - die Kehrwoche, das Spare-spare-Denken und das Überkorrekte. Ich kündigte mein Zimmer und suchte mir eine andere Bleibe. Ein holzgetäfeltes Zimmer unter dem Dach, mit separatem Eingang und eigenem Kühlschrank. Aber auch hier herrschte schwäbische Disziplin, Geiz und Schaffe-schaffe-Mentalität. Der Hausherr pflegte seinen Garten so lange, bis er alles penibel gestutzt hatte. Wehe es schlug etwas aus, dann pirschte Herr Enderle mit der Schere durch den Garten und schnippte gnadenlos zu. Ich nannte ihn ihn heimlich den Stutzer. Nur der Wein aus dem Remstal fand meinen uneingeschränkten Zuspruch.

      Mit meinen Kollegen Bernd und Dieter entwickelte sich bald eine kumpelhafte Freundschaft, sie waren die coolsten Typen vom Verlag. Wir drei besaßen einen ähnlich schrägen Humor und hatten schließlich die gleiche Idee. Wir planten gemeinsam eine Auto-Tour durch Marokko - eine ungewöhnliche Reise sollte es werden. Bernd besaß einen rot-weißen VW-Bus aus den 60er-Jahren, mit Schiebedach und geteilter Frontscheibe. Jedes Wochenende beschäftigten wir uns damit das gute Stück auf Vordermann zu bringen. Bernd und Dieter kümmerten sich um das Technische, ich konzentrierte mich auf das optische Erscheinungsbild, pinselte und nähte Blümchengardinen für unseren Hippiebus.

      Im Sommer musste der Bechtle-Verlag mit drei Mitarbeitern weniger auskommen – wir kündigten. Im Juni startete unsere viermonatige Reise mit dem Ziel Marokko. Über Frankreich und Spanien ging es nach Portugal. An der Algave glaubten wir das Paradies gefunden zu haben. Nicht weit vom Fischerdörfchen Albufeira standen wir zwei Wochen wild campend am Meer. Bernd und Dieter schliefen im VW-Bus, ich in einem Hauszelt. Dann kam etwas womit ich nicht rechnete und auch nicht damit rechnen wollte, was in diesem Fall nichts mit Mathematik zu tun hatte. Bernd gestand mir am Strand der wunderschönen Algave seine Liebe und Dieter wurde eifersüchtig. Worauf nur, fragte ich mich? Drei schien eine schlechte Konstellation, das wurde mir schon in der Geschichtsstunde durch die Eselsbrücke „drei, drei, drei, Issos Keilerei“ eingebläut. Es schien etwas Wahres dran zu sein, obwohl die Keilerei ausbleibt. Bernds Liebesgeständnis erfreute mich keineswegs, ich dachte meine Gefühlsneutralität beruhte auf Gegenseitigkeit. Doch das Problem löste sich schliesslich von selbst. Bald kreuzte ein deutsches Ehepaar auf und würfelte unseren unflotten Dreier gehörig durcheinander. Dana und Frieder wurden Zeltnachbarn. Nach diversen fröhlichen wie feuchten Nächten fand Dana Gefallen an Dieter, sie wollte sich von Frieder trennen. Dieter entfachte die Flamme ihrer Lust so stark, dass sie mit uns dreien weiterreisen wollte. Wir einigten uns sofort - im Morgengrauen machte sich unser Trio aus dem Staub, ohne Da Da Dana. In Algeciras setzten wir Flüchtigen mit der Fähre nach Ceuta über, der spanischen Enklave an Marokkos Küste. Doch dort verweigerte ein engstirniger Grenzbeamter dem langhaarigen Bernd die Einreise nach Marokko.

      “Wir wollen hier keine Hippies”, lautete seine schroffe Begründung.

      Um einreisen zu können, musste Bernd seine Haare opfern, was bei ihm einer Kastration gleichkam. Bernd litt, er wollte schnurstracks umkehren. Beschwichtigend redete Dieter auf ihn ein, ich griff zur Schere.

      “Drecksbande“, jammerte Bernd, „als ob es nichts Wichtigeres gibt, schaut doch, wie verhunzt ich jetzt aussehe!”

      Etwas beleidigt war ich schon, schließlich gab ich mein Bestes - mit der Schere meines Schweizer Taschenmessers. Die ersten hundert Kilometer in Marokko zogen eindruckslos an Bernd vorbei. Er sah nur in den Spiegel und zupfte missgelaunt an seinen Haarstoppeln herum.

      “Jetzt freu dich doch, dass die Wolle endlich ab ist bei dieser Hitze!” motzte Dieter ihn an. Am Abend beruhigte sich Bernd. Er wusste dass er mit dem Thema Haare bei uns beiden keinen Schnitt mehr machen konnte.

      Am Wüstenrand von Merzouga versuchte ein Kameltreiber mit meinen Reisepartnern ins Geschäft zu kommen und offerierte sein Angebot.

      “120 Kamele für diese Frau!”

      Diese Frau war ich!

      „Eine Frechheit, 120 Kamele!“, echauffierte ich mich. „Wie viele Kamele ist wohl ein Mann wert, kann man auch einen Kerl kaufen?“

      Auf mich wirkten die Landessitten, als sei die Zeit 1000 Jahre stehen geblieben. Immerhin war Marokko landschaftlich ein Traum. Manche Bilder blieben mir unvergesslich als biblische Szenen in Erinnerung.

      Die erotischen Gelüste unseres fahrenden Dreigespanns liefen nach den amourösen Portugal-Eskapaden auf Sparflamme. Das Gefühlskarussell leierte lustlos seine Runden. Bernds Gedanken rotierten um die technischen Probleme seines Bullys, durch Dieters Kopf ondulierte sich Danas lockende Lust und meine Welt drehte sich nüchtern um den Umzug nach München. Jeder kurbelte seinen eigenen Film im Kopf.

      Von dieser Reise brachte ich typische Urlaubsbilder mit nach hause. Ich wollte alles festhalten, um möglichst viel zu zeigen. Es waren eingefrorene Erinnerungen, der künstlerische Aspekt blieb außen vor. Spanien-Portugal-Marokko im Knipsmodus. Zu weit weg, viel zu viel drauf, zu lange Belichtungszeiten, verwackelte Bilder und immer wieder ein schiefer Horizont. Ich sah, aber ich sah nicht wirklich hin. Bildgestalterisch steckte ich noch in den Kinderschuhen. Doch schon bald sollte ich ihnen entwachsen.

      München und die Gabelsberger Gang

      Dieter sah ich nach unserer Marokkoreise nie wieder.


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