Die Lichtschreiberin. Almut Adler
ihrer buddhistischen Heiligtümer.
Im Inneren des Klosters tauchte ich in ein geheimnisvolles Halbdunkel. Meine Augen brauchten eine Weile um sich an das schummerige Licht zu gewöhnen. Überall brannten kleine Öllampen und es roch merkwürdig tranig. In der Luft lag ein monotones Brummen, das sich wie ein Maschinengeräusch an hörte. Der eintönige Om-Laut meditierender Mönche ließ mich eine mir bis dahin unbekannte Spiritualität spüren. Einen friedlicheren Ort gab es kaum auf der Welt. Der Rundgang durchs Kloster verzauberte mich, ich schwebte durch ein unbekanntes Universum und tauchte ein in eine Welt, die ich mit Worten nicht beschreiben kann. Ich spürte eine Leichtigkeit, die mich durch Zeit und Raum wirbelte. Sie gewährte mir zu erkennen wie unsinnig es ist, sich im Hier und Jetzt über die Zukunft zu sorgen. Vieles konnte ich damals noch nicht einordnen. Erlebtes musste sich setzen, musste verinnerlicht werden, damit ich es später begreifen konnte.
In den Straßen von Leh machte ich eine meiner schönsten Schwarzweißaufnahmen im Gegenlicht (S.44). Menschen strömten aus ihren Dörfern in die Provinzhauptstadt, um die Ansprache der Indischen Staatspräsidentin Indira Gandhi zu hören (S.42). Ich sah Menschen, wie ich sie nie wieder vor die Linse bekam. Faltige, wettergegerbte Männergesichter, Mädchen mit windzerzausten Haaren, zahnlose Greise, dreckig zerlumpte Kinder, Frauen, mit schwerem Steinschmuck behängt und Mönche, die weltentrückt ihre Gebetsmühlen drehten. Eines hatten alle gemeinsam – glückliche und lachende Gesichter. Dies alles erleben zu dürfen, dafür bin ich Ilse und meinem Bruder bis an mein Lebensende dankbar.
Heilige Städte und das Grabmal
Der Weg zum Goldenen Tempel von Amritsar war leicht zu finden, Arnulf fuhr den Pilgerströmen einfach hinterher. Wir sahen die goldene Kuppel schon von weitem leuchten. Das Heiligtum der Sikhs lag mitten in dem rechteckigen Becken - dem Nektarsee. Auf der Oberfläche des Wassers spiegelte sich das goldene Licht der Kuppel. Vor dem Einlass in den Tempel mussten wir alle unsere Schuhe ausziehen. Ich befürchtete in dem Meer von Tretern meine Sandalen nie wiederzufinden. Am Eingang wurden wir genötigt unsere Füße zu waschen und im Inneren der heiligen Räume eine Kopfbedeckung zu tragen. Dann wurden wir von der Menschenmasse einfach mitgerissen. Drei Mal umrundeten wir das Tempelinnere, bekamen ein Schälchen mit goldenem Reispudding in die Hand gedrückt und wurden mit einem roten Punkt auf der Stirn markiert. Jeder der den Tempel besuchte, wurde von den gläubigen Sikhs wie Schwester oder Bruder behandelt, alle Gläubigen empfanden sich als Familie. Ich fühlt mich mit den Sikhs sehr verbunden, sie zeigten mir wie aufgeschlossen man Fremden gegenüber sein kann.
Vom Fluss Yamuna stieg Abendnebel auf. Zuerst sah ich vier Minarette, die wie spitze Bleistifte in den verhangenen Himmel ragten. Das Tadj Mahal am Stadtrand von Agra war nahezu verhüllt und von weitem kaum sichtbar. Der Großmogul Shah Jahan ließ 1631 das Tadj Mahal bauen - zum Gedenken an seine verstorbene große Liebe Mumtaz Mahal. Deshalb wird es auch als das Grabmal der Liebe bezeichnet. Über Nacht parkten wir unseren Bully direkt vor dem Tadj Mahal. Das imposanteste Bauwerk der Moghul-Herrschaft verzauberte uns und machte demütig. Diese Stätte war mehr als ein Grabmal der Liebe, für mich zählte es zu dem schönsten Gebäude das ich jemals gesehen habe.
Wir betraten das Gelände des Tadj Mahal in einer hellen Vollmondnacht. Vor dem Eingang saß ein alter Sikh-Wächter, den wir um Einlass ins Grabmal baten. Als einzige Besucher ließ er uns zu später Stunde herein. Unter der gewaltigen Kuppel spielte Arnulf Blockflöte und seine Melodie tanzte zum Gewölbe empor und schwebte wie ein Echo durch den Raum. Die Atmosphäre hinterließ bei mir eine Gänsehaut und trieb mir Tränen in die Augen. Es war ein unvergessliches Erlebnis, Harmonie pur. Genau in der Mitte der Kuppel befand sich in völliger Symmetrie des Raumes das Grabmal von Mumtaz Mahal.
In diesem Raum konnte ich die Liebe förmlich spüren und ich bewunderte die bunten und filigranen Marmorintarsien in winzig floralen Mustern. Über 20.000 Handwerker und Architekten aus vielen Teilen Süd- und Zentralasiens waren an dem Bau beteiligt gewesen. Persische Architektur verschmolz mit indischen Elementen zu einem einmaligen indo-islamischen Bauwerk. Noch nie hatte mich ein Grabmal so ergriffen. Holy shit, es war zum sterben schön.
Der chaotische Verkehr Indiens stellte Arnulf täglich vor neue Herausforderungen, aber in Benares hatte das Chaos Vollversammlung. Das Fahren verursachte selbst uns Mitfahrern puren Stress. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus, die Stadt nahm ich wahr wie im Traum, dann wie im Schock. Benares schien Alptraum und Wunder zugleich. Schon 100 Kilometer vorher waren die schrägsten Pilger dorthin unterwegs, angemalt, bunt gekleidet oder gar nackt. Ein Pilger streckte sich der Länge nach aus, mit den die Füßen Richtung Benares. Zu seinen Zehen platzierte er einen Stein, um seinen Kopf beim nächsten Ausstrecken dorthin zu legen. So pilgerte er Körperlänge um Körperlänge in die Heilige Stadt, wahrscheinlich, um sich dann dort einäschern zu lassen. Das höchste Glück eines jeden Hindus ist, seine Asche dem Ganges zu opfern, um schneller ins Nirwana zu gelangen. Der rücksichtslose, oder wie Arnulf sagte, hirnlose Fahrstil der Inder, das Gewimmel an Menschen, Riksha-Fahrern, Mopeds, Autos und Ochsenkarren erforderten jede Sekunde seine volle Konzentration. Wie oft dachte ich, "jetzt kracht´s", aber immer kamen wir heil aus der Sache raus. Täglich strömten x-tausende Pilger in die Stadt, oder Menschen mit der Asche ihrer Verstorbenen, die sie dem Ganges opferten. Dieses hinduistische Glaubensritual besagte, dass es sie aus dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburten erlösen werde. Um die Toten an die Verbrennungsstätten am Ganges zu bringen, wurden sie mit allem fahrbaren durch die Stadt transportiert. An der Ampel neben unserem Bully hielt eine Riksha. Auf dem Rücksitz steckte eine in weißes Leinen verschnürte Leiche, die steil wie ein Brett in die Luft ragte. Ein ganz normales Straßenbild, für mich gewöhnungsbedürftig. Die ganze Stadt glich einem Ameisenhaufen, ein Gewusel von Menschen die es von hier nach dort trieb, besessen von Glauben, Tod und Nirwana.
Hier war das Sterben ein florierendes Geschäft von dem alle zu leben schienen. Jeder Hindu wollte hier verbrannt werden, um seine letzte Reise im Ganges Richtung Meer anzutreten.
Die Fahrt auf dem flachen Holzboot entlang der Ghats, den Verbrennungsstätten, war ein Ausflug in eine andere Welt - unwirklich, unglaublich, unfassbar. Der breite Ganges war ein gemächlich dahin fließender Strom, ein geduldiges Sammelbecken für Abfälle und Fäkalien einer Millionenstadt. Darin trieben tote Tieren, halb verbrannte Menschen und Undefinierbares. Unserem Boot trieb ein Tisch entgegen, der sich bei näherer Betrachtung als Kuhkadaver entpuppte. Aufgebläht und alle viere nach oben gestreckt zog er stinkend am Boot vorbei. Fassungslos beobachtete ich, wie sich die Menschen am Ufer mit dem Gangeswasser ihre Zähne putzten, sich einseiften und nach dem Reinigungsritual drei Mal untertauchten. So beichteten die Hindus - reingewaschen von allen Sünden. Unser Bootsführer redete nicht viel, er hatte verräterisch rote Augen.
„Rashid, würdest du auch das Gangeswasser trinken und dich hier einäschern lassen?“ fragte Ilse.
War sein marionettenhaftes Kopfwackeln nun als ja oder als nein zu deuten? Er lächelte milde. Ilse hatte seine Kopfbedeckung nicht registriert, Rashid war Moslem. Damit hatte sich die Frage beantwortet. Dicke Rauchschwaden schwebten gen Himmel und verhängten das Flussufer mit einem nebelig-milchigen Vorhang. Seltsamerweise roch es nirgendwo nach Verwesung oder Leichenverbrennung, ich konnte nur Holzgeruch wahrnehmen. Das tropische Sandelholz verbreitete sogar einen wunderbaren Duft. Auch stank es nirgendwo auf dem Ganges, nur stellenweise roch es ein wenig brackig.
An den Ufern der Ghats lagen die Leichen zur Verbrennung nebeneinander aufgereiht. Man hatte sie zwischen zwei Holzstangen gebunden, um sie schneller auf den Scheiterhaufen zu legen. Einäscherungen im Schnellverfahren. Wohlhabende Hindus kauften für die Verbrennung viel Holz, arme Hindus konnten nicht einmal vollständig verbrannt werden. Doch der Ganges ist gnädig, er ist die letzte Ruhestätte