Mein Amerika. Jürgen Wiener
waren Stromleitungen aufgrund der Schneemassen gerissen. Wir bekamen immer wieder die Aufforderung, möglichst umgehend eine Möglichkeit für den Heimweg zu nutzen und nicht weiter zu fahren als nötig.
Wir waren aber unerfahren mit diesen unwirklichen Umständen und entschieden uns nicht, vorher irgendwo auszusteigen, sondern nach NY-Grand Central weiter zu fahren, da wir glaubten, dort möglicherweise bessere Möglichkeiten, auch im Hinblick auf eine Übernachtung, zu haben.
Wir fuhren also weiter mit und waren bereits in den Gewölben des Grand Central angekommen, als auch unsere Stromversorgung zusammenbrach und wir im Dunkeln im Zug saßen. Hier lernten wir wieder mal den Unterschied zwischen Amerikanern und Deutschen kennen. Kein Amerikaner jammerte oder fluchte. Es wurden Witze gerissen und es wurde viel gelacht.
Nach einiger Zeit kam Personal mit Scheinwerfern und hat uns über irgendwelche Notausstiege aus dem Bahnhofuntergrund evakuiert. Wir fanden uns im Außenbereich des Grand Central im dichten Schneetreiben wieder und beschlossen in den Bahnhof zu gehen, etwas zu trinken und die weitere Strategie unserer Heimreise zu besprechen.
Im Grand Central war es rammelvoll und an jeder Stelle, wo Alkohol ausgeschenkt wurde, standen die Amerikaner in Reihen und tranken Schnaps und Bier. Es war eine Stimmung wie auf einer Riesenparty.
Nachdem die ersten Schritte zu einem erfolgreichen Leben in der neuen Heimat durchgeführt worden waren und wir unser Haus einigermaßen bewohnbar gemacht hatten, lernten wir von unseren Nachbarn, dass unser Sohn Markus mit seinen fast 4 Jahren in den Kindergarten sollte. Dieser Meinung waren wir auch, da Markus bereits vor unserem Amerika-Umzug in Deutschland ein paar Wochen im Kindergarten gewesen war.
Unsere Nachbarn, die uns diese Empfehlung aussprachen, waren ein nettes Paar in unserem Alter und sie hatten zwei Jungs im ähnlichen Alter wie Markus. Der Vater war ein moderner jüdischer Rabbi und seine Frau verkaufte als Teilzeitkraft im Edelkaufhaus Bloomingdale.
Unsere Nachbarn meinten, Markus könne doch in den gleichen Kindergarten gehen wie ihre beiden Jungs, sodass alle Kinder mit dem gleichen Schulbus transportiert werden konnten. Die Idee schien zunächst gut zu sein und wir stimmten zu.
Nach einigen Tagen fuhr Rita mal mit in den Kindergarten und war dann doch erschrocken, als sie unseren Sohn mit einem jüdischen Kippa auf dem Kopf sah. Dies war sicherlich eine gut gemeinte Aktion, unseren Sohn dem jüdischen Glauben nahe zu bringen.
Weil wir aber Christen sind, wollten wir diesen Wandel aber nicht bei unserem Sohn zulassen und so meldeten wir Markus dort wieder ab.
Unsere Nachbarn akzeptierten das klaglos und unsere Nachbarschaft litt nicht wirklich darunter; die 3 Jungs haben auch weiterhin nach dem Kindergarten zusammen gespielt.
Wesentlich problematischer sollte sich ein anderes Ereignis für uns darstellen. Zu dem Zeitpunkt unsres NY-Aufenthaltes wurden das Buch und auch der Film Holocaust öffentlich gemacht.
Wir wussten aus der Geschichte, dass außer unseren Nachbarn sehr viele Amerikaner jüdischen Glaubens in den USA lebten und dieses Werk somit zu einer traurigen Popularität gelangte. Seit wir die Veröffentlichung mitbekommen hatten, mochten wir unseren Nachbarn nicht mehr so recht begegnen, denn zu groß war unsere Beschämung.
Die 3 Jungs hat das aber nicht weiter gestört, sie haben auch weiterhin gut und ausgiebig miteinander gespielt
Ein großes Haus im NYC-Umland zu bewohnen macht eine Reise hierher für deutsche Verwandte und Freunde interessant. Meine Eltern lebten zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr und die Eltern von Rita konnten sich die Reise nicht erlauben.
Wir selbst hatten auch noch nicht so viel Geld, um die Reise meinen Schwiegereltern zu schenken, und so blieb für die beiden nur die Berichterstattung per Brief mit Bildern und hin und wieder mal das Telefonieren. Reisen nach Amerika und auch Überseetelefonate waren damals sehr teuer.
So kam als erster Besucher im Mai 1978 unsere Tante Ursel zu uns nach White Plains.
Mit Tante Ursel zogen wir unser Programm durch, d.h. alles Sehenswerte von Manhattan, Besuch der Kadettenschule in West Point, Circle Liner Tour, Besuch einiger Museen und als Abschluss ein Dinner im Windows of the World, 400 m hoch über NYC im damals noch relativ neuen World Trade Center. Im Windows of the World hatten wir auch ein nettes Erlebnis. Wir studierten die Speisekarte und wollten natürlich nicht übermäßig viel Geld ausgeben, denn das Restaurant war ohnehin alles andere als preiswert. Da eine Vorspeise nach unserem
Empfinden in diesem Restaurant eine Pflicht zu sein schien, fiel unsere Wahl auf eine „Lentil soup“. Wir bestellten diese, doch keiner von uns wusste, was „Lentils“ waren und so mussten wir dann doch lachen, als unsere „Linsensuppe“ kam, wo wir doch dachten, etwas ganz Besonderes bestellt zu haben. Dies ist so ein typisches Beispiel für Menschen in einem fremden Land, die die Sprache noch nicht richtig beherrschen. Dieses Erlebnis trug auch im Nachhinein noch viele Jahre zu Erheiterung bei, wenn wir von USA erzählten.
Die nächsten Besucher standen schon auf der Warteliste; im Juni1978 kam mein ältester Freund Manfred mit seiner Frau Christel zu Besuch.
Manfred war mein Freund bereits seit Schulanfang und wir freuten uns sehr auf diesen Besuch, zumal wir natürlich auch ein bisschen stolz auf unser Domizil waren, das soviel größer und schöner war als unsere vergleichsweise kleinen und bescheidenen Unterkünfte in Deutschland.
Mit den beiden spulten wir auch das klassische NYC-Programm ab, wobei sie aber auch sehr viel alleine unternahmen, da es ja einfach war, mit dem Zug nach NYC und zurück zu kommen. Die beiden trafen meistens völlig kaputt vom vielen Laufen und Besichtigen und der brutalen Sommerhitze in NYC wieder bei uns ein.
Wir hatten für unseren Sohn einen ca. 3 m im Durchmesser bemessenen Kinderpool im Garten aufgebaut; in diesem Pool schöpften wir bei einem kühlen Drink oder einem schönen Eisbecher wieder neue Kräfte.
Ein besonderes Ereignis war Manfreds 36. Geburtstag, an dem wir eine typisch amerikanische Grillfete feierten.
Wir hatten schöne große Steaks besorgt und gegrillt. Die beiden bekamen so richtig große Kinderaugen, als sie die Größe der
Steaks sahen, da sie solche Steakdimensionen aus Deutschland nicht kannten. Es war ein schöner Geburtstag und wir alle erinnern uns gerne an diesen Tag.
Im August 1978 kam dann richtig großer Besuch für 4 Wochen: mein großer Bruder Lutz mit Ehefrau Ingrid und den beiden halbwüchsigen Töchtern Astrid, 17 Jahre alt, und Doris, 13 Jahre alt.
Obwohl Lutz und Ingrid die erste Woche gerne am Haus bleiben wollten, weil es so schön war, pochte ich dennoch darauf, uns zumindest einiges anzuschauen.
Dies war richtig und glücklicherweise zogen wir das Minimalprogramm durch, denn nach der l. Woche bekam Lutz ein richtig schmerzhaftes Problem mit seinem Rücken und damit waren weitere Ausflüge mit den beiden nicht mehr möglich. Wir holten Lutz eine Matratze aus dem Schlafzimmer runter ins Wohnzimmer und so lag er immer mitten unter uns und wir versuchten, das Beste aus der unglückseligen Situation zu machen.
Die beiden Mädchen unternahmen von da an viel alleine und teilweise fuhren Rita und ich mit ihnen, um für alle das Optimale rauszuholen.
Einer der Ausflüge ging nach West Point und dort hatte unsere Nichte Astrid offenbar einen Kadetten kennengelernt. Wir hatten das gar nicht bemerkt, aber irgendwann hatte sie uns die Story erzählt.
Dieser Kadett war dann auch später in Deutschland und besuchte Astrid.
Die beiden hatten noch eine längere Zeit Briefverkehr, der aber im Laufe der Zeit einschlief.
Schade, dass nicht mehr daraus geworden ist, denn dann hätten wir in unserer Familie mal einen Kontaktpunkt in den USA gehabt.
Zwischen den anfänglichen Einkaufsorgien zur Einrichtung unseres Hauses und den Besuchen aus Deutschland lag natürlich noch viel Zeit für andere Freizeittätigkeiten, die natürlich auf die Wochenenden beschränkt waren.
Unsere Wochenenden waren immer lebhaft, entweder war Party, oder wir fuhren je nach Jahreszeit nach NY, an den