Unter Freunden. Udo Staber

Unter Freunden - Udo Staber


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dachte, er war schon neben der Spur, als du ihn ansprachst.“

      „Ja, aber jetzt war er wirklich ratlos, völlig gaga. Willst du wissen, wie der Rest dieser Begegnung ablief? Wie, warum?, fragte er. Im Chez Louise, sagte ich. Er: Im Chez was? Was ist das? Ich: Ein Restaurant, in Tübingen. Er: Ach du grüne Neune! Das war doch so ausgemacht, Herr Himmelreiter, sagte ich. Er: Ausgemacht? Wirklich? Ich: Ja, und Sabine mit ihrem Neuen werden auch kommen. Er: Wer? Ich: Sabine. Er: Muss ich die kennen? Ich sagte, ja, ich denke schon. Sie ist eine gute Freundin von Regine. Er: Ach so, ja. Ich: Und Sie bringen doch Gundula mit. Er: Wen? Ich: Ihre Frau. Seine Antwort: Wie, meine Frau? Ach so, ja, Gundula. Regine, das war unser Gespräch, genauso lief es ab. Nach diesem kurzen Gedankenaustausch mit deinem verwirrten Ex fasste ich mir dann doch ein Herz und fragte ihn direkt ins Gesicht, ob die Blumen, die er kaufen wolle, für Gundula oder für dich bestimmt seien.“

      Regine kichert. „Das hast du ihn wirklich gefragt?“

      „Ja, hab ich. War das so schlimm? Ich wollte, dass er die Sache locker sieht. Vielleicht kann er darüber sogar lachen, dachte ich. Was glaubst du, wie er reagierte? Ausweichend, mit einer schlauen Gegenfrage, oder mit einer direkten Antwort? Nein, weder noch. Er sah mich an, als ob er keinen blassen Schimmer hatte, wovon ich sprach. Ich hätte ihn genauso gut nach dem Preis seiner Autoreifen fragen können. Ich muss sagen, deinem Ex fehlt auch jegliche Phantasie. Er hätte doch irgendetwas aus der Luft greifen können, um mich ruhig zu stellen, wenn es ihm so peinlich war, mit mir zu reden.“

      Ich hatte einen gestandenen Mann erwartet, so wie man sich einen Akademiker vorstellt, der seit dreißig Jahren in einem Labor arbeitet und komplexen chemischen Zusammenhängen auf den Grund geht. Aber vor mir stand ein Typ in Hausschlappen, ein Mensch, der offenbar vergessen hatte, dass er seit einiger Zeit wieder verheiratet ist. Und dabei hatte er den Blick eines Soldaten mit einer Schützengrabenneurose, der gerade herausbekommen hat, dass er seit zwei Jahren im falschen Graben sitzt. Vielleicht hat er vergessen, warum er in diesen Laden gegangen war. Immerhin ist er schon weit über sechzig. Ich vergesse auch manchmal Dinge, und ich bin erst fünfzig. Letzte Woche saß ich im Auto beim Rewe auf dem Parkplatz und ich brauchte eine geschlagene Viertelstunde, um mich zu erinnern, was ich kaufen wollte. Vielleicht ging es ihm in diesem Blumenladen auch so.

      „Plötzlich fing er an zu zappeln. Er sah zur Verkäuferin an der Kasse hinüber, dann zum Ausgang, und als er dann die Uhr an der Wand hinter der Kasse sah, schrie er, Ach du grüne Neune! Die Zeichen waren klar, er würde jetzt gehen und mich einfach stehen lassen. Ich sagte, ich will Sie nicht länger aufhalten, wir sehen uns ja heute Abend. Aber ich glaube, er hörte mir gar nicht mehr zu. Ja, ja, war seine Antwort. Um sieben, sagte ich. Ich wollte auf Nummer sicher gehen, weil er mich ansah, als hätte ich von der Verschiebung der Tagesschau gesprochen. Im Chez Louise, fügte ich hinzu, in Tübingen. Ich dachte, ich müsste das betonen, nicht dass er aus Versehen nach Nürtingen fährt.“

      Regine tätschelt meine Hand und grinst. „Gut gemacht. Er hat schon öfters Tübingen mit Nürtingen verwechselt. Und dann hat er sich aus dem Staub gemacht. Richtig?“

      „Ja. Ich sage dir, der Mann ist ein nervliches Wrack. Man könnte meinen, er glaubt, die Faschingsknaller, die er in der Hosentasche hat, sind Dynamitstäbe. Er schaute auf seine Uhr und stöhnte ein paar Mal, Ach du grüne Neune. Dann stammelte er irgendwas von spät dran sein und er wisse auch nicht, aber er müsse bei irgendwelchen Bekannten oder Nachbarn ein Dach decken helfen. Da war doch was, irgendwas mit Regenrinnen, stotterte er, als er sah, wie die Angestellte am anderen Ende des Tischs begann, die Blumen zu gießen. Dann rannte er los, in Richtung Ausgang. Ich sah, wie er von der Verkäuferin am Tisch neben der Kasse angesprochen wurde. Sie hielt ihm einen prächtigen Blumenstrauß ins Gesicht, an dem sie gerade arbeitete. Doch er blieb nicht einmal stehen, geschweige denn, sagte etwas zu ihr, obwohl die Dame mindestens so ansehnlich war wie ihr Blumenstrauß. Er hechtete an ihr vorbei und rannte aus dem Laden, so schnell wie eine Feldmaus in ein Loch verschwindet, wenn eine Katze hinter ihr her ist.

      Die falsche Krawatte

      Wir werden viel zu spät da sein, aber wie sage ich ihm das, ohne dass er sauer wird? Wenn ich zu einem besonderen Anlass nett angezogen sein will, denke ich schon Wochen im Voraus darüber nach, welches Outfit das Passende wäre, und zur Friseuse gehe ich einen Tag davor. Aber Detlef macht gar nichts, um sich vorzubereiten, und dann, eine halbe Stunde, bevor wir fahren müssen, gerät er in Panik. Wegen einer Krawatte! Er hat es furchtbar wichtig mit seinen Krawatten, wegen des guten Tons. Krawatten gehören zum guten Ton wie Lackschuhe zum Tanzunterricht, sagt er. Jeden Januar lässt er sich in seinem Lieblingsherrenladen erklären, welcher Stil in diesem Jahr für welchen Anlass angesagt ist. Er sagt, er will bei Regine und ihrem Neuen einen guten Eindruck machen. Das sei ihm sehr wichtig, weil es mir wichtig sei. Er wisse, wie nahe Regine und ich uns stehen, und deshalb wolle er für mich gut aussehen. Ich weiß das zu schätzen, und das sage ich ihm auch. Regine und ich haben uns seit unserer Studienzeit über die Männer ausgetauscht, mit denen wir gerade zusammen sind. Ich habe ihr gesagt, dass ich endlich einen Mann gefunden habe, der ganz anders ist als Rainer. Heute Abend wird sie es selbst sehen können.

      Auch ich will bei Regines Freund gut dastehen. Ich will nicht, dass sie glaubt, Detlef sei nur eine Übergangslösung für mich, oder dass ich ihm nur als Lückenbüßerin diene, zur Erholung von seiner Ex, die unmöglich gewesen sein muss, so wie er sie mir beschreibt, eine Furie, der er nie etwas recht machen konnte, die weibliche Schamlosigkeit in Person, wie er sagt. Hermann scheint ja furchtbar nett zu sein. Er hat einen gewissen Zauber an sich, sagt Regine. Nun ja, Zauber klingt schon etwas übertrieben, aber ich kann das verstehen, nach diesen vielen verhunzten Jahren, die sie mit Sigmund hatte.

      Mir geht’s ja auch nicht anders. Rainer war zuletzt nicht mehr auszuhalten, seine Sammelwut hat mich fast umgebracht. Jeden Tag hat er irgendetwas gekauft, was er nicht braucht, und dann hat er es irgendwo im Haus verstaut oder einfach herumliegen lassen. Der Keller war immer voll mit Toilettenpapier, sogar auf den Kellerstufen stolperte man über Klopapier. In allen möglichen Varianten, in rosa, weiß, und babyblau, einfarbig, getüpfelt und mit Blümchen Muster, weich und weniger weich, doppel- und dreilagig. Zum Kotzen. Jede Woche kauft er eine ganze Familienpackung für den Fall, dass Gäste unangemeldet an der Tür stehen, was praktisch nie geschieht, weil unsere Bekannten schon früh gelernt haben, dass er niemand ins Haus lässt, wenn er die Person nicht mindestens sechs Wochen vorher eingeladen hat. Auch unser Gartenschuppen ist gerammelt voll mit allem möglichen Zeug. Dachplatten, Zaundraht, Schrauben, Nägel, Glühbirnen, was weiß ich, was er sonst noch alles dort lagert. Wenn es im Baumarkt etwas zum Sonderpreis gibt, steht er viertel vor acht vor dem Eingang. Weil er im Schuppen Platz für seine Einmachgläser braucht, hat er den Rasenmäher, die zwanzig Schaufeln und Gartenrechen und die fünf Gartenschläuche in die Garage verfrachtet. Jetzt ist dort kein Platz mehr fürs Auto, also steht der Wagen auf der Straße vor dem Haus, was die Nachbarin furchtbar aufregt. Sie droht schon seit Jahren mit der Polizei, und als Gegenmaßnahme droht er ihr, seine Hecke zu ihrem Grundstück zu entfernen. Was sie maßlos ärgert, weil sie sich vor ihren Besuchern schämt, wenn die sehen, dass sie neben einem Irren wohnt, dem der Zustand seines Rasens egal ist. Den Rasen mähen kann er nicht, weil er an den Rasenmäher nicht mehr rankommt, der hinten in der Garage steht und mit Werkzeugen, Pfandflaschen, Gartengeräten und Streugut für den Winter zugemüllt ist. Vor ein paar Jahren hat er angefangen, Essiggurken zu kaufen, tonnenweise. Er sagt, er braucht die Gläser als Behälter für seine Dübel, Nägel und Schrauben. Wenn er wenigstens seine Gurken verzehren würde. Aber er kriegt nicht mehr als eine halbe Gurke am Tag runter, weil er sonst Durchfall bekommt, und er will nicht so viel Klopapier kaufen müssen, sagt er. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. Ich habe ihm das schon so oft gesagt, doch er will das einfach nicht einsehen. Die Essiggurken vergräbt er neuerdings im Garten, und weil er kein Loch buddeln wollte, hat er jetzt den Swimmingpool entfernt, wie Erich mir sagte, damit er eine Grube hat, in die er seine Gurken reinwerfen kann.

      Zwanzig Jahre lang habe ich das mitgemacht. Die Leute in der Nachbarschaft haben sich das Maul zerrissen, wegen mir, weil ich ihn nicht stoppte. Eine Freundin fragte mich oft, warum ich ihn machen lasse. Aber was heißt das, seinen Ehemann machen lassen? Soll ich ihn vielleicht in Ketten zum Psychiater schleifen? Ich weiß nicht, was mich endlich dazu brachte, auszuziehen. Wahrscheinlich war es etwas,


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